Immer mehr Content wird von KI erstellt, aber ohne Strategie – ein selbstzerstörerischer Prozess, meint Maximilian Miguletz.
In vielen Organisationen hat der Druck, mehr mit KI zu machen, die Content-Produktion massiv beschleunigt. In meiner Arbeit mit Kommunikationsteams sehe ich, wie schnell sich diese Geschwindigkeit wie Fortschritt anfühlt – bis sie es nicht mehr tut.
Laut
einer aktuellen Analyse werden mittlerweile mehr Artikel von KI als von Menschen erstellt – eine Statistik, die sowohl die Kraft als auch die Tücken dieser neuen Produktivität verdeutlicht: Masse ist nicht gleich Wirkung. Wenn Kommunikationssysteme beginnen, sich von ihren eigenen Outputs zu ernähren – indem sie alte Botschaften recyceln, kontextfreie Inhalte wiederverwenden und Algorithmen entscheiden lassen, was wichtig ist –, stehen wir vor einer stillen Krise der Verantwortung. Ich nenne das Message Autophagy.
Autophagie leitet sich vom griechischen Wort autóphagos ab, was „sich selbst verschlingend“ bedeutet. In der Biologie beschreibt es einen selbstzerstörerischen Prozess: Zellen recyceln ihr eigenes Material, um kurzfristig zu überleben, was den Organismus langfristig schwächen kann.
KI-Forscher verwenden einen ähnlichen Begriff, Model Autophagy Disorder, um zu beschreiben, was passiert, wenn generative Modelle wiederholt
mit ihren eigenen synthetischen Ergebnissen trainiert werden. Ohne frische, echte Daten verschlechtern sich Qualität und Zuverlässigkeit – oft als Halluzinationen wahrgenommen –, da sich selbst verstärkende Schleifen Wahrscheinlichkeiten in Fehlinformationen verwandeln.
Output ohne Verständnis
Ein ähnliches Muster lässt sich in der Kommunikation vieler Organisationen beobachten. Botschaften werden kopiert, umformuliert und über verschiedene Kanäle erneut veröffentlicht, bis die ursprüngliche Absicht verblasst. KI kann dies beschleunigen, indem sie Sprache erzeugt, die kohärent klingt, sich aber zunehmend vom strategischen Sinn entkoppelt – besonders wenn sie gar nicht erst mit einer klaren Strategie gefüttert worden ist.
Das Ergebnis ist eine Illusion von Produktivität. Ein Ökosystem von Inhalten, das lebendig wirkt, sich aber still und leise selbst auffrisst.
Teams produzieren mehr Inhalte als je zuvor, oft jedoch ohne zu verstehen, wie oder warum diese mit der Strategie zusammenhängen, beispielsweise wenn neue Social-Media-Posts alte Kampagnenslogans wiederholen, die nichts mehr mit aktuellen Prioritäten zu tun haben.
Diese Muster sind nicht neu – sie gab es schon vor generativer KI. Sie entstehen unter ständigem Effizienzdruck, wenn bei Höchstgeschwindigkeit das Denken auf der Strecke bleibt. Doch KI lässt diese Muster noch schwerer erkennen, weil sie vermeintlich Neues aus dem Material von gestern erzeugt.
Das Publikum hört Phrasen, die nichts mehr mit dem Kern des Unternehmens zu tun haben – Wiederholung statt Reflexion.
Ohne Verständnis wird Kommunikation mechanisch. Inhalte werden produziert, aber es entsteht keine Bedeutung. Kommunikation frisst sich selbst auf. Letztendlich schwinden Vertrauen und Engagement.
Die Lösung? Ein besseres System. Kommunikation wird oft fragmentiert gemanagt – nach Kampagne oder Kanal mit jeweils eigenen Tools –, doch die Strategie lebt von den Verbindungen zwischen den Einzelteilen. Wenn Ziele, Botschaften und Teams durch ein gemeinsames Framework aufeinander abgestimmt sind, wird Kommunikation mehr als reiner Output.
KI macht dies bereits jetzt immer dringlicher. Ohne vernetzte Strukturen sorgt jedes neue Tool für mehr Rauschen – doch mit ihnen wird KI zu dem, was sie sein sollte: ein Verstärker der Strategie, kein Ersatz dafür. Strategische Klarheit sorgt dafür, dass unser Berufsfeld sich weiterentwickelt, anstatt sich im Kreis zu drehen. Ohne sie würden selbst fortschrittliche Modelle Bedeutung nur halluzinieren – und Inhalte produzieren, die plausibel wirken, aber nicht der Wahrheit entsprechen.
KI + HI
Wenn Output das Verständnis dominiert, entstehen mehrere Risiken:
- Erosion von Verantwortung und Zuständigkeit. Teams können nicht erklären, warum bestimmte Botschaften existieren oder wie sie zu den Zielen beitragen.
- Verlust der Authentizität. Wiederholungen verwässern Persönlichkeit; Formulierungen klingen markenübergreifend immer gleich.
- Entscheidungslähmung. Bei so viel vorgefertigtem Content fällt es Führungskräften schwer, zu priorisieren, was wirklich zählt.
Dies sind keine technologischen Fehler, sondern Symptome einer Entkopplung. Die Lösung liegt darin, unsere Beziehung zur Technologie neu zu definieren – und ein Gleichgewicht zwischen KI und menschlicher Intelligenz (Human Intelligence, HI) herzustellen. Drei Vorgehensweisen können dabei helfen, dieses Gleichgewicht wiederherzustellen:
1) Strategie im Blick behalten. Jede KI-gestützte Aufgabe beginnt mit klaren Zielen, Zielgruppen und einer stimmigen Tonalität. KI ist nur so gut wie der Zweck dahinter.
2) Dem System frischen Input zuführen. Botschaften müssen auf echtem Feedback von Stakeholdern, Recherche und gelebter Erfahrung beruhen. Neues verhindert Stagnation.
3) Verantwortung behalten. Vor der Veröffentlichung sollte jemand erklären können, warum eine Botschaft wichtig ist und wie sie die Ausrichtung des Unternehmens unterstützt.
Der Weg nach vorn
KI kann beschleunigen, was wir bereits verstehen, aber Verständnis nicht ersetzen. Nutzen wir die Zeit, die wir sparen, nicht für mehr Output, sondern für tiefergehende Reflexion. Könnte ich die Logik hinter unserer jüngsten Kampagne erklären, ohne auf eine Vorlage oder einen KI-Vorschlag zurückzugreifen? Wenn ich ins Stocken gerate, ist das für mich das erste Anzeichen für Message Autophagy – und der Moment, gegenzusteuern.
In der Biologie halten gesunde Zellen Erneuerung und Recycling im Gleichgewicht. In der Kommunikation halten gesunde Systeme Produktivität und Sinn im Gleichgewicht. Sie spüren, was Resonanz erzeugt, passen sich an, wenn Botschaften ihr Ziel verfehlen, und lernen aus jeder Interaktion.
Kommunikation scheitert nicht, weil Technologie sich zu schnell entwickelt, sondern wenn wir aufhören, tief über Bedeutung nachzudenken. Die Disziplin, innezuhalten, nachzudenken und zu fragen, was eine Botschaft wirklich bedeutet, hält Kommunikation am Leben.
Nutzen wir die Werkzeuge. Lassen wir nicht zu, dass die Werkzeuge uns steuern. So halten wir unsere Botschaften lebendig – und unsere Geschichten menschlich.
Autor: Maximilian Miguletz ist Director Strategic Communications von Scompler Technologies