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News / Die kleinste Zielgruppe der Welt
Lars Rosumek, Kommunikationschef von Eon (Foto: Jörg Mettlach/Eon)
04.12.2025   Wissen & Praxis
Die kleinste Zielgruppe der Welt
Zum 60. Geburtstag des PR Reports haben wir renommierte PR-Profis nach Meisterleistungen der Kommunikation gefragt. Lars Rosumek schreibt über eine kreative Frühform des „Targeting“.
Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht und die Wiederherstellung der Wehrtüchtigkeit ist ein Streitthema. Das waren die Streitkräfte auch in den Anfangsjahren der Bundesrepublik. Mit einer meisterhaften Kampagne gelang es, die Mehrheit der Westdeutschen von der Notwendigkeit der Wiederbewaffnung zu überzeugen.
 
Deutschland verfügte nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst über keine Streitkräfte mehr. Die Bevölkerung, traumatisiert vom Krieg, den verheerenden Zerstörungen deutscher Städte, den Folgen von Flucht und Vertreibung und der eigenen Verantwortung für millionenfaches Sterben in Europa, lehnte in ihrer Mehrheit eine Wiederbewaffnung ab und stand allem Militärischen mit tiefem Misstrauen gegenüber.
 
Gleichzeitig war für die Regierung Adenauer die Westbindung von strategischer Bedeutung, um den Bestand Westdeutschlands vor der Bedrohung aus dem Osten zu schützen. Sie stand vor der Herausforderung, eine pazifistische Gesellschaft von der Notwendigkeit einer neuen Wehrfähigkeit zu überzeugen. Schon die Debatte darüber führte zur Gründung zahlreicher einflussreicher Protest- und Gegenbewegungen. Deshalb war es nötig, die Gesellschaft zunächst grundlegend auf diesen Schritt vorzubereiten.
 
Ein Meisterstück politischer Kommunikation
Der Aufstellung der Bundeswehr ging eine minutiös geplante Kampagne voraus – bis heute ein Meisterstück politischer Kommunikation. Adenauers Berater verschoben das öffentliche Meinungsfenster mit Sprache, Symbolen, Medien- und Öffentlichkeitsarbeit und Demoskopie. Eine besondere Bedeutung hatte die „Arbeitsgemeinschaft demokratischer Kreise“ (ADK), ein früher „Think Tank“, der mit Artikeln, Broschüren und Vorträgen die öffentliche Debatte beeinflusste.
 
Die Gefahr durch Sowjet-Russland wurde überzeugend als unmittelbare Bedrohung des gerade erst zurückgewonnenen Friedens dargestellt. Adenauer selbst nutzte die Medien als Arsenal seiner außen- und sicherheitspolitischen Ambition. In einem Hintergrundkreis, den „Tee-Gesprächen“, bereitete er NATO-Beitritt und Wiederbewaffnung vor. Das Bundespresseamt nutzte eine kreative Frühform des „Targeting“, indem Adenauer einem unbedeutenden US-Provinzblatt, dem Cleveland Plain Dealer, ein Interview gab, in dem er Deutschlands Bereitschaft zum NATO-Beitritt andeutete. Die Zielgruppe war ein einziger Stammleser: Harry S. Truman.
 
Trotz tiefer Skepsis in der Bevölkerung gelang es, Mehrheiten zu gewinnen. Das erste Bataillon der Bundeswehr wurde am 12. November 1955 aufgestellt. Die Kampagne zeigt, das grundlegende Veränderungen im gesellschaftlichen Meinungsbild möglich sind, wenn sie kommunikativ, auch im Vorfeld der parlamentarischen Auseinandersetzung, systematisch vorbereitet werden.
 
Wir stehen heute an einem ähnlichen Punkt. Deutschland soll wieder kriegstüchtig werden. Die Medien- und Kommunikationslandschaft hat sich zwar dramatisch verändert. Doch gilt damals wie heute: Die Gesellschaft muss darauf eingestellt werden. Und dazu braucht es überzeugende Kommunikationsansätze.


Tipp: Legendäre Kampagnen, ikonische Marken, mächtige Narrative und Worte, die die Welt bewegten: Unser Special zu den größten Meisterleistungen der Kommunikation lesen Sie im PR Report 5/2025. Wir zeigen darin auch, welche zeitlosen Lehren sich daraus für die Praxis ableiten lassen.
 

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