Wo Benedict Rehbein, Chef der Leipziger Agentur PIO, rote Linien zieht. Und was Unternehmen und Parteien anders machen sollten.
Ihre Agentur PIO sitzt im sächsischen Leipzig. Wie ist die Stimmung bei Ihnen nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland, speziell in Sachsen?Benedict Rehbein: Bescheiden, auch wenn mittlerweile der Alltag wieder eingekehrt ist. Wir haben uns bei PIO im Vorfeld intensiv mit den Wahlen beschäftigt. Diskussionen organisiert, Szenarien durchgespielt, Aufklärung geleistet, beispielsweise Grundlagen wie Erst- und Zweitstimme erklärt. Am Freitag vor der Wahl haben wir in unserem internen Call noch einmal darum gebeten, dass alle wählen gehen. Ziel war eine hundertprozentige Wahlbeteiligung in der Agentur. Als am Sonntag die Ergebnisse kamen, waren wir ziemlich ernüchtert. Das gilt auch für Leipzig, obwohl wir uns hier in den vergangenen Jahren ein wenig wie auf einer Insel der Glückseligen gefühlt haben.
In Leipzig haben rund 19 Prozent für die AfD gestimmt. Gehen Sie davon aus, dass auch ein Fünftel Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter AfD gewählt hat?Ich glaube und hoffe inständig, dass es bei uns deutlich weniger sind.
Macht es das Wahlergebnis für Sie schwieriger, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen?Aktuell nicht, aber ich bin überzeugt davon, dass das generell ein Standortnachteil sein kann. Wir positionieren uns klar als Leipziger Agentur, fest verwurzelt in Mitteldeutschland. Das macht es für uns nicht einfacher. Andererseits ist unsere Haltung ja sehr klar. Und es gibt sehr viele Menschen, Organisationen und Unternehmen, die diese Haltung teilen.
Sie arbeiten für öffentliche Auftraggeber, darunter Ministerien in Sachsen und Thüringen. Was würde eine Regierungsbeteiligung der AfD für Ihre Agentur bedeuten? Schwierige Frage. Rechtlich gesehen sind wir ja erst mal ein Auftragnehmer mit einem Dienstleistungsvertrag und stehen deshalb in der Erfüllungspflicht. Würde ein Ministerium, für das wir arbeiten, von einem AfD-Minister geleitet, müssten wir uns also fragen: Ändert sich dadurch die inhaltliche Ausrichtung unserer Arbeit? Wenn sich nichts Wesentliches ändert, gäbe es zunächst keinen akuten Handlungsdruck. Zumal ein Rückzug Platz für andere schaffen würde, die vielleicht bereitwilliger diese Arbeit übernehmen. Wären wir aber dazu verpflichtet, Dinge zu kommunizieren, die wir als fragwürdig oder antidemokratisch ansehen, würden wir in eine Helfershelferrolle rutschen. Das wäre unsere rote Linie.
Wie hart würde es PIO treffen, wenn diese rote Linie überschritten würde?Wir sind in der Wirtschaft zu Hause. Der Anteil öffentlicher Auftraggeber an unserem Umsatz liegt unter zehn Prozent. Tödlich wäre das also nicht, aber ein Wirkungstreffer. Jede Agentur muss natürlich für sich abwägen, wie moralisch flexibel sie ist, wenn es um Arbeitsplätze oder gar die Existenz geht. Wir sind aber an einem Punkt angekommen, an dem wir es für wichtig halten, den Anfängen zu wehren. Für uns wäre das die „Purpose over Profit“-Grenze.
Wer ist „wir“? Wir sind drei geschäftsführende Gesellschafter und haben eine erweiterte Geschäftsleitung. Wir entscheiden zwar nicht basisdemokratisch, aber wir legen Wert darauf, solche Grundsätze offen und im gesamten Team zu diskutieren. Da braucht es einen Konsens, solche Entscheidungen dürfen wir nicht von oben durchdrücken. Gemeinsam mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern haben wir auch unseren internen Ethikkompass festgelegt. Als Kommunikationsagentur, deren Geschäft Meinungsbildung ist, haben wir eine besondere gesellschaftliche Verantwortung. Wobei uns bewusst ist, dass wir als Agentur nicht ganz alleine die Welt retten können.
Verändert sich bei Ihren Kunden nach der Wahl die Haltung zur AfD? Unternehmen stellen sich zumindest die Frage, auf welcher Seite sie stehen und auf welcher Seite ihre Stakeholder, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Kundinnen und Kunden stehen. Ein Drittel davon könnte die AfD unterstützen. Ein Beispiel ist die gut gemeinte Edeka-Kampagne vor der Wahl. Viele Märkte haben die Plakate nicht aufgehängt oder darauf geschrieben, dass sie auch Blaubeeren verkaufen. Weil sie es sich mit einer bestimmten Klientel nicht verscherzen möchten. Wir sind da schon ein bisschen beim vorauseilenden Gehorsam angekommen, fürchte ich.
Wo verlaufen da Ihre roten Linien?Wenn ein Kunde auf uns zukommt und sagt: „Ich muss diese 30 Prozent der Bevölkerung erreichen“, ist das zunächst legitim, wir plädieren ja auch für die Wiedereröffnung des Dialogs. Wenn sich ein Unternehmen aber anbiedern will, um wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, wird es für uns schwierig. Und wenn es um das Propagieren von antidemokratischen Inhalten geht, sind wir raus.
In den vergangenen Monaten gab es viele Aktionen von Unternehmen und Verbänden, die sich direkt oder indirekt gegen die AfD richteten. Hat das alles nichts genützt? Oder hat es noch mehr Stimmen für die Partei verhindert?Grundsätzlich ist es richtig und wichtig, Flagge zu zeigen und Gegenpunkte zu setzen, um anderen Menschen Mut zu machen und zu zeigen, dass sie nicht alleine sind, dass sich auch viele andere für Toleranz und Vielfalt einsetzen. Aber vielleicht weniger strohfeuerartig, reaktiv, drohend und belehrend. In vielen Kampagnen wurden potenzielle AfD-Wählerinnen und -Wähler als doofe Nazis verunglimpft. Das verhärtet. Wir haben wenige Kampagnen gesehen, die dialogisch waren oder zum Nachdenken angeregt haben. Unterm Strich waren deshalb die meisten Aktionen wahrscheinlich relativ wirkungslos.
Was muss künftig anders gemacht werden?Wir müssen weiter offen und aktiv kommunizieren. Wir müssen stärker Social Media nutzen. Wie kann es sein, dass die AfD auf diesen Kanälen so stark ist? Am Budget dürfte es bei Unternehmen und anderen Parteien ja nicht hapern. Man kann auch cool und demokratisch sein. Wir müssen die Leute aktivieren, die hohes Vertrauen genießen. Unternehmerinnen und Unternehmer beispielsweise, die ihrer Belegschaft politische und wirtschaftliche Zusammenhänge erklären können. Aber ohne Drohkulissen und erhobenen Zeigefinger. Wir planen gerade einen Austausch zwischen Unternehmern, NGOs und anderen Marktteilnehmern, um antidemokratischen Bestrebungen entgegenzuwirken. Dabei geht es nicht nur um finanzielle Hilfe, sondern auch um Aufmerksamkeit und Reichweite. Das Engagement für Demokratie, Vielfalt und Toleranz darf nicht aufhören, nur weil die Wahl vorbei ist.
Dieses Interview erschien zuerst in der Ausgabe 5/2024 des PR Reports.
Exklusive und aktuelle Nachrichten aus der Kommunikationsszene gibt es jeden Mittwoch und Freitag in unserem Newsletter. Kostenlos abonnieren unter http://www.prreport.de/newsletter/