Über den Umgang mit Dilemmata in der Kommunikation. Eine Kolumne von Emilio Galli Zugaro.
Jenna Ramos, designierte Kommunikationschefin und
seit einigen Wochen meine Klientin, hat emsig zugehört, um schon vor ihrem Start beim neuen Arbeitgeber einen Überblick zu bekommen: Wo stehen die Eigentümer der Firma? Begleiten sie den Kurs des Wandels zu besserer, aber auch aufwendigerer Kundenfokussierung? Gibt es interne Fronten? Einerseits die IT für eine KI-dominierte Vertriebsstrategie und andererseits den Vertrieb, der wie bisher auf den persönlichen Kundenservice durch Firmenexperten setzen will?
Ramos erzählt lebendig von ihren Begegnungen mit der Aufsichtsratschefin und dem Service-Techniker im Blaumann, der ihr von einem Großkunden als der wichtigste Grund genannt wurde, weshalb man mit ihrer Firma zusammenarbeitet. Beeindruckend, wie sie systematisch die Positionen der Stakeholder abgefragt, strukturiert und zusammengefasst hat und dabei imstande ist, zu jedem Fakt eine Geschichte zu erzählen: über die Weichen, an denen sich entscheidet, ob das Unternehmen die Kurve bekommt und sich für die Zukunft aufstellen kann.
Denn das ist der Kern ihrer Story als angehende Kommunikationschefin. Das spult Ramos sicher runter. Und dennoch verrät ihre Körpersprache große Anspannung. Was ist los?
Sie stehe wie der Ochs vorm Berg, sagt Ramos. Ihre Listening-Tour bei den Stakeholdern habe sehr viele konfligierende Meinungen, Analysen und Erwartungen an das Management ans Licht gebracht. Was soll sie dem CEO zurückmelden?
Die Investoren fordern brutale Kostensenkungen und unterstützen die IT bei der Suche nach einem ausschließlich durch KI geleisteten Kundenservice. Währenddessen pochen die Produktion und vor allem viele Kunden darauf, dass der gute technische Service erhalten bleibt und man nicht mit Bots kommunizieren muss, um komplexe Probleme an ganzen Fabrikanlagen zu meistern. Was der Zweck sei, Stakeholdern zuzuhören, wenn man von denen A und das Gegenteil von A empfohlen bekomme
Ich lasse sie ausreden und schweige. Man kann ihr ansehen, dass sie noch nicht alles gesagt hat.
Das Ganze erinnere sie seltsamerweise an eine rein akademische Unterhaltung mit ihrer Doktormutter über den Unterschied zwischen dialektischer und dialogischer Kommunikation. Als Deutsche sei man – im Hegelschen Sinne – gewohnt, These und Antithese zu erarbeiten, um zu einer Synthese zu kommen, einem Kompromiss. Dem gegenüber stünde die dialogische Kommunikation, die zulässt, dass die Parteien ihre Position darstellen, belegen und die Konsequenzen des befürworteten Tuns aufzeigen. Dann müsse man entscheiden, tue es aber durch Übernahme von Verantwortung für die Konsequenzen des eigenen Handelns und mache dies und die verworfene Alternative transparent.
Ramos fragt sich, warum ihr diese total abstrakte Diskussion ausgerechnet jetzt einfalle …
Könnte es sein, dass das einen Weg aufzeigt, wie sie ihrem CEO zurückmeldet, wo die Stakeholder stehen? Damit Entscheidungen erleichtert werden, die Verantwortlichkeiten und Konsequenzen dieser Beschlüsse klar sind und dieses dann besonders gut erklärt wird? Ist die Begleitung der Strategie durch Zuhören, Klarheit über Dilemmata schaffen und sie transparent machen nicht genau das, was Ramos’ Mehrwert als Kommunikatorin ausmache?
Sie denkt nach. Sie schnauft: „Uff, das wird aber ein dickes Brett.“
Ich lächele und denke mir meinen Teil. Baff bin ich aber, dass sie mich liest: „Das ist auch der Unterschied zwischen einer guten Kommunikation und Propaganda“, strahlt sie. 1:0 für die Gedankenleserin.
Autor: Emilio Galli Zugaro liest an einer betriebswirtschaftlichen Fakultät und coacht Manager. Führungskräfte müssen täglich Dilemmata managen, etwa zwischen Interessen der Kunden und der Investoren. Wenige wissen, dass Blaise Pascal sich schon vor mehr als 350 Jahren mit Tetralemmata beschäftigt hat, den konfligierenden Interessen von vieren. Vielleicht sollten Unternehmen nicht nur Ingenieurinnen, BWLer und Juristen einstellen, sondern auch die eine oder andere Philosophin. Diese Kolumne ist von A bis Z erfunden, aber nicht realitätsfern …