MSL-Chef Wigan Salazar über das Dilemma großer Unternehmen, Haltung als Pose und die Wirkung der Worte eines fleischessenden, ältereren Konservativen aus der Fußball-Branche.
Im vergangenen Jahr gab es eine Debatte darüber, ob Agenturen für die „Bild“-Zeitung arbeiten oder das aus Haltungsgründen ablehnen sollten. Salazar: Ich würde jederzeit für Springer arbeiten. Es gibt eine überzogene Haltungsdebatte, in der versucht wird, Branchen, Medien und Teile des Meinungsspektrums in Misskredit zu bringen. Das passt nicht zu unserem pluralistischen Weltbild. Es braucht klare Kanten, beispielsweise in Richtung Rechtsradikalismus. Aber Meinungsvielfalt und eine gesunde Debattenkultur sind wichtig. Bei MSL arbeiten Mitglieder der Grünen, der FDP, der SPD. Ich bin seit fast 35 Jahren Mitglied der CDU. Wir sind uns politisch selten einig, streiten uns auch. Aber diese Diskussionen führen letztlich zu einer besseren Beratungsleistung.
Wie viel Haltung brauchen Unternehmen heute?Ich habe ein Problem mit dem Wort Haltung, weil es oft nur eine Pose ist. Ich finde es super, wenn Unternehmen definieren, für welche Werte sie stehen und wenn sie dafür einstehen, weil es Teil ihrer Strategie oder eines Handlungsprogramms ist. Aber Haltung zu zeigen oder Haltungskampagnen zu machen heißt leider zu oft, dass man etwas macht, weil es gut aussieht. Da bekomme ich eine Allergie. Wer in seinen Employer-Branding-Broschüren afrodeutsche Menschen und Transpersonen zeigt, muss auch in der gelebten Wirklichkeit für genau diese Menschen einstehen. Sonst kann man sich das sparen.
Angesichts der hohen Umfragewerte der AfD müssen Unternehmen damit rechnen, dass Teile ihrer Belegschaft oder Kundschaft die Partei wählen oder es zumindest erwägen. Wie sollten Unternehmen damit umgehen?Wenn Unternehmen die AfD klar ablehnen, sollten sie sich so positionieren. Nicht nur auf Plakaten, sondern auch im direkten Dialog mit ihren Mitarbeitern und Kunden. Teile unserer Gesellschaft brauchen die Stimmen von Autoritäten. Bei der Trauerfeier für Franz Beckenbauer hat Bayern-Ehrenpräsident Uli Hoeneß sinngemäß gesagt, dass er sich wünsche, dass wir wieder stolz auf Deutschland seien, aber die AfD dabei keine Rolle spielen solle. Wenn ein konservativer, fleischessender, älterer Mann mit Promifaktor so etwas sagt, hat das eine viel größere Bedeutung, als wenn das jemand tut, der sich ständig zu Diversity-Themen äußert. Denn die Wirkung auf die Gruppe der Unentschiedenen und der Unzufriedenen ist viel stärker. Solche Wortmeldungen braucht es viel mehr, beispielsweise von mittelständischen Firmenchefs.
Die Wirkung der Worte der CEOs von Dax-Unternehmen halten Sie also für begrenzt?Ich bin da zwiegespalten. Wenn wir davon ausgehen, dass nicht alle Wähler der AfD rechtsradikal sind, sondern dass es darunter auch viele Unzufriedene gibt, könnte das sogar kontraproduktiv sein. Die Antwort auf Elitenkritik ist nicht der erhobene Zeigefinger der Elitärsten der Elitären in den Chefetagen und Stabsabteilungen der Dax-Unternehmen. Das entbindet deren CEOs aber nicht von der Verantwortung, sich klar zu positionieren, weil ihre Worte bei der eigenen Belegschaft und beispielsweise bei Zulieferern Strahlkraft entwickeln können. Sie haben eine Vorbildfunktion. Wenn ein Vorstandsvorsitzender eines Weltkonzerns es nicht schafft, sich klar zu positionieren, wie soll das der Handwerksmeister schaffen?
Was sollten große Unternehmen also tun?Es ist ein echtes Dilemma. Eine gute Unternehmensführung unter Einbindung des Betriebsrats hat einen direkten Draht zu ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und kann entsprechend wirken. Aber sie müssen bereit sein, an der Grasnarbe zu arbeiten und ihren Leuten zu vermitteln, was für das Land, das Unternehmen und damit für die Mitarbeiter auf dem Spiel steht.
Es gab Kritik an Unternehmen, Verbänden und deren Chefs, dass sie sich lange zu wenig für Demokratie und Toleranz eingesetzt hätten. War die Wirtschaft zu feige oder hat sie das Problem nicht gesehen?Bei manchen mag es Feigheit sein, aber die Zurückhaltung hat viel mit dem Wandel der Rolle von Vorständen und der der Unternehmenskommunikation zu tun. Die heutige Manager-Generation weiß in der Regel genau, wie sie mit dem Kapitalmarkt und mit den Kunden umgehen muss. Aber die Herausforderung, politische Lagen zu lesen und sich dazu zu verhalten, ist relativ neu. Business kann sich eben nicht mehr nur um Business kümmern. Die Lage der Welt ist eine andere. Aber ich verstehe jeden, der Angst hat, bei politischen Themen auszurutschen. Selbst erfahrene Politiker agieren nicht immer 100 Prozent unfallfrei.
Als Gründe für ihr Schweigen zur AfD gaben Unternehmen in einem „Handelsblatt“-Bericht im Dezember 2023 an, sie hätten „kein Mandat, sich für oder gegen einzelne Parteien auszusprechen“ oder sie würden „Mitarbeiter nicht vor den Kopf stoßen wollen“ oder „vorschreiben, was sie wählen sollen“. Diese Argumente sind nicht haltbar. Unternehmen müssen wissen und klarmachen, für welche Werte sie stehen. Und unter Umständen in den robusten Dialog mit Teilen ihrer Belegschaft gehen. Ich finde sehr beeindruckend, wie Evonik-Chef Christian Kullmann sich im vergangenen Jahr zu Wort gemeldet hat. Da sieht man auch deutlich, dass Kullmann politisch sozialisiert ist und einst Kommunikationschef war.
Tipp: Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus einem längeren Gespräch mit Salazar
aus dem neuen PR Report. Darin erklärt er auch, wie seine Agentur MSL mit der AfD umgeht.
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