Warum Otto in der Kommunikation umsteuert, erklärt PR-Chef Martin Frommhold.
Die Kommunikation von Otto hat sich im Jahr 2023 neu aufgestellt. Vorangegangen war eine Stärken-Schwächen-Analyse, die unter anderem eine Disbalance zwischen gesellschaftspolitischen und geschäftsnahen Themen feststellte. Was genau ist in Ihrem Bereich aus dem Gleichgewicht geraten?Martin Frommhold: Wir haben uns in den vergangenen Jahren immer wieder eindrücklich zu Themen wie Nachhaltigkeit, Gleichstellung oder Gendern positioniert. Was durchaus auch kritisch gesehen wird, wie wir aus Reaktionen von Kund*innen wissen, die nicht einfach einer rechten Twitter/X-Bubble zugerechnet oder durch die zunehmende gesellschaftliche Polarisierung erklärt werden können. Und in kundenorientierten Unternehmen wie Otto werden solche Kommentare selbstverständlich aufmerksam registriert und es wird hinterfragt, auch im Dialog mit uns, warum wir Diversity so betonen. Andere Themen, so hat es die Analyse gezeigt, waren dagegen unterrepräsentiert. Beispielsweise die Transformation vom Händler zur Plattform, die unser Geschäftsmodell massiv erweitert. Und in deren Zusammenhang Otto Hunderte Millionen Euro in IT, KI und in die Weiterbildung von Mitarbeiter*innen investiert. Diesen Themenkomplex werden wir in der Kommunikation wieder stärker herausstellen.
Haben Sie auf die falschen Themen gesetzt?Das denke ich nicht. Wir sind als werteorientiertes Unternehmen bekannt, unsere mediale Präsenz ist weitestgehend okay. Es ist und bleibt enorm wichtig, für moralische und ethische Werte öffentlich einzustehen. Aber es ist genauso relevant zu kommunizieren, was wir tun, um ein zukunftsfähiges Unternehmen zu sein. Das dürfen wir nicht vernachlässigen. Mit mehr als 6.000 Kolleg*innen sind wir ein großer Arbeitgeber. Als größter deutscher Online-Händler mit mehr als elf Millionen Kund*innen sind wir zudem ein Stück weit Seismograph für gesellschaftliche Trends. Wie und was kaufen Menschen ein? Wie viel Geld haben sie dafür zur Verfügung? In den Antworten auf diese Fragen steckt viel Potenzial, damit haben wir uns zu wenig beschäftigt.
Haben Sie an den Interessen und Bedürfnissen mancher Zielgruppen vorbeikommuniziert?Nein. Diversität gehört zu unserem Markenkern, zu unserer Kultur. Es gibt dazu im Haus viele Interessengruppen und Netzwerke, die gefördert werden. Mitarbeitende fragen aber auch: Wir erkennen im operativen Geschäft Herausforderungen, bauen das Unternehmen um, setzen neue Technologien ein – wie kann Kommunikation dabei unterstützen? Und wo finden wir diese Themen abgebildet? Stimmt die Gewichtung? Unsere Kolleg*innen sind für uns wichtige Impulsgeber und Multiplikator*innen, da hören wir genau hin. Kund*innen interessieren sich dagegen vor allem für Preise, Angebote, Services. Auch das versuchen wir künftig stärker zu berücksichtigen. Aber Diversity bleibt ein relevantes Thema, das wir offensiv kommunizieren. Verlieren wir nennenswert Kundschaft, weil wir uns dafür stark machen oder gendern? Nein.
Was sind die Gründe für dieses von Ihnen festgestellte Ungleichgewicht?Vielfalt spielt auch in unserem Marketing eine wichtige Rolle, stark bezogen auf unser Sortiment, immer aber auch mit einer gesellschaftspolitischen Akzentuierung. Schaue ich auf mein Team, ist festzuhalten: Wir sind relativ divers besetzt, viele Kolleg*innen sind gesellschaftspolitisch sehr engagiert. Und es macht natürlich Spaß, wenn man in seine Arbeit persönliche Überzeugungen einbringen kann, vor allem in Zeiten wie diesen, in denen das Eintreten für eine offene, tolerante Weltanschauung immer wichtiger wird. Hinzu kommt, dass Haltung, zum Beispiel bei Linkedin, besser funktioniert als Wirtschaftsthemen, die oft noch mit Übersetzungsarbeit verbunden sind. Unser Geld verdienen wir aber im originären Geschäft, mit Handel und Services in einem harten Wettbewerb. Dieser Themenkomplex muss meiner Meinung nach Priorität haben.
Hat Ihr Umsteuern auch mit der wirtschaftlichen Lage zu tun? Im Geschäftsjahr 2022/23 verbuchte das Mutterunternehmen Otto Group einen Verlust von 413 Millionen Euro, in der ersten Hälfte dieses Geschäftsjahrs ein Umsatzminus von rund drei Prozent. Ich würde es anders formulieren. Unternehmenskommunikation muss ihren Fokus und ihre Themen immer wieder neu an den gesellschaftlichen Kontext anpassen. In wirtschaftlich herausfordernden Zeiten beschäftigen Menschen oft auch existenziellere Themen. Ich bin total stolz auf mein Team, wir machen in vielen Segmenten einen tollen Job. Und ich mag, wie meine Leute für unsere Themen brennen, ausdrücklich auch für die gesellschaftspolitischen. Trotzdem ist es wichtig, die Arbeit immer wieder zu reflektieren und Ziele neu zu definieren.
Wie stellen Sie die Kommunikationsabteilung jetzt auf? Strukturell haben wir korrigiert: An mich berichten nicht mehr 25 Kolleg*innen direkt – da musste ich in allen Themen drin sein, was mir irgendwann nicht mehr so gelungen ist, wie ich das von mir erwarte. Heute berichtet ein Steering Board mit sechs Personen direkt an mich. Zudem verzahnen wir uns enger mit dem Marketing, um möglichst kongruent in der Themenausspielung zu agieren, und stimmen uns intensiver mit dem Strategiebereich ab, um bestmöglich auf die Unternehmensziele abgestimmt zu kommunizieren.
Was machen Sie inhaltlich anders?Wir überlegen, wie wir Daten noch stärker nutzen können. Beispielsweise, um Geschichten erzählen zu können wie: „So kauft Baden-Württemberg ein, so kauft Sachsen ein“. Wir haben Themenkorridore definiert. Wir beobachten sehr viel konzentrierter, welche Themen die Öffentlichkeit tagesaktuell bewegen, um Anknüpfungspunkte im Sinne eines Agenda Surfings zu finden. Und wir intensivieren die Medienarbeit durch persönliche Kontakte und Pressemitteilungen.
Die klassische Medienarbeit bekommt wieder stärkeres Gewicht?Ja. Es ist zwar wichtig, in einer schrumpfenden Medienlandschaft auf Owned und Social Media zu setzen. Aber dieser Content ist oft sehr flüchtig. Wenn wir eine große Geschichte etwa im „Tagesspiegel“ unterbringen, ist die Reichweite größer, man kann darauf verlinken und sie als Referenzpunkt nutzen.
Wie überzeugen Sie Ihr Team davon, dass der Fokus nun weniger auf gesellschaftspolitischen Themen liegen soll, sondern mehr auf geschäftsnahen Inhalten?Mein Team identifiziert sich sehr stark mit Otto. Gerade weil meinen Kolleg*innen Werte so wichtig sind, arbeiten sie gern hier. Aber sie haben als Kommunikationsprofis auch eine ausgeprägte Sensibilität dafür, was das Unternehmen situationsbezogen braucht. Von der Haltungskommunikation werden wir also nicht lassen, aber andere Themen deutlicher in den Fokus rücken. Eine klare Haltung zu haben zeichnet uns aus, dafür stehen wir bei Otto und das ist auch für mich persönlich elementar. Aber dieses Unternehmen hat eben noch mehr und andere Geschichten zu erzählen. Deshalb achten wir nun stärker auf thematische Ausgewogenheit.
Tipp: Dieses Interview stammt aus dem neuen PR Report. Lesen Sie außerdem in dieser Ausgabe:
Die Tiktok-ChampionsWie Tamara Hirmann, Rebecca Amlung und Rainer Grill den Mittelständler Ziehl-Abegg als attraktiven Arbeitgeber positionieren. Und was andere Unternehmen von ihnen lernen können.
PR-Werkstatt: Wie gute Kurzvideos für Social Media gelingen16 Seiten Praxis-Leitfaden mit vielen Tipps und Empfehlungen von Expertinnen und Experten.
Der große CEO-VideocheckWelche Dax-Chefs machen vor der Kamera die beste Figur? Was können sich andere von ihnen abschauen, wo gibt es Verbesserungsmöglichkeiten?
Die 100-Tage-AgendaWie sich Führungskräfte in der Kommunikation optimal auf einen neuen Job vorbereiten und worauf es am Anfang besonders ankommt.
Wie umgehen mit der AfD?Wigan Salazar über die klare Kante seiner Agentur MSL, das Dilemma großer Unternehmen und die Wirkung von Uli Hoeneß.
Mit Sandkasten und ExperimentierfreudeKünstliche Intelligenz bedroht klassische Aufgaben von Agenturen. Wie Palmer Hargreaves darauf reagiert.
Fünf Trends, die die PR verändernWas kommt im KI-Zeitalter auf Kommunikationsverantwortliche zu? Ein Team um die Professoren Stefan Stieglitz und Ansgar Zerfaß gibt Antworten und Empfehlungen.
Stabile Seitenlage für die PsycheWarum Agenturen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Ersthelfern für mentale Gesundheit ausbilden lassen.