Wie Shannon Rountos und Matthias Reinig von Boehringer Ingelheim KI in der Kommunikation einsetzen und wo sie dadurch Kosten senken möchten.
Boehringer Ingelheim verwendet eine eigene Chat-GPT-Anwendung. Wie ist das angesichts der strengen Regularien in der Pharmabranche möglich?Matthias Reinig: Unsere Arzneimittelforschung und unsere Arzneimittelentwicklung sind seit jeher datengetrieben und haben früh in Künstliche Intelligenz investiert. Dadurch verfügt Boehringer Ingelheim seit dem Frühjahr 2023 über einen sicheren Zugang zu dem bekannten Chat GPT auf Basis von Microsoft Azure Open AI. Alle im Unternehmen können diese GPT-Anwendungen nutzen, auch wir in der Kommunikation. Laut unseren Umfragen wurden in den ersten 100 Tagen, in denen Chat GPT für unsere 53.000 Kolleginnen und Kollegen verfügbar war, insgesamt rund 200.000 Arbeitsstunden eingespart. Inzwischen sind wir weiter, haben die Lösung auch in Office-Produkten integriert und bieten allen Mitarbeitenden außerdem Zugang zu Bing Chat Enterprise.
Gibt es keine Bedenken bezüglich Datenschutz, Urheberrecht und der „halluzinierenden“ KI?Reinig: Sicher gibt es die. Deshalb brauchen wir ein Modell, das von vornherein allen ethischen und rechtlichen Standards gerecht wird. Alles ist so aufgesetzt, dass keine vertraulichen Informationen an Chat GPT zurückfließen, etwa zum Training der KI. Das hat eine Menge Geld gekostet, aber das ist es wert. Wir haben auch unternehmensinterne Richtlinien für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI entwickelt.
Wie funktioniert diese Chat-GPT-Anwendung genau?Shannon Rountos: Sehr einfach. In unserem Intranet gibt es einen Bereich mit dem Namen IQ Now. Dort können unsere Mitarbeitenden zwischen verschiedenen KI-Anwendungen wählen. Dabei handelt es sich um interne und externe Datenbanken, zum Beispiel zu Patenten oder für klinische Studien, die mit Large Language Models nutzbar sind. Auch Chat GPT ist dort zu finden. Man klickt darauf, es erscheint ein Eingabefenster und los geht’s. Dort gibt es auch Tutorials, zum Beispiel wie man einen guten Prompt schreibt. Das ist besonders am Anfang sehr wichtig, um nicht gleich wieder frustriert aufzugeben.
Wie setzen Sie KI in der Kommunikationsabteilung ein?Rountos: Immer öfter und bei immer mehr Aufgaben: von der Recherche über das Monitoring und die Analyse bis hin zum Übersetzen und dem Verfassen von Texten.
Reinig: Wir können durch KI Kosten senken, beispielsweise bei der Medienbeobachtung. Allein in diesem Jahr sind bislang rund 300.000 relevante Artikel mit Bezug zu Boehringer Ingelheim erschienen. Bei jedem einzelnen davon wird die Tonalität und das passende Thema bestimmt. Dabei hilft KI unserem Dienstleister Pressrelations schon heute – mit dem großen Vorteil, dass die Kosten der Codierung des einzelnen Clippings sinken und wir mehr Budget in die Analyse investieren können.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Chat GPT als Schreibwerkzeug gemacht?Rountos: Matthias hat mir vor einigen Wochen einen Textentwurf geschickt, der ziemlich gut war, obwohl er in sehr kurzer Zeit entstanden ist. Ich habe ihn gefragt, wie er das geschafft hat. Und er sagte: „Mit Chat GPT!“ Das wollte ich erst nicht glauben, aber ich habe mich dann mehr damit beschäftigt und festgestellt: Wenn man ein paar Minuten investiert, um den passenden Prompt zu entwickeln, spart man gewaltig viel Zeit beim Schreiben von Texten.
Reinig: Einmal sollte ich einen Artikel zum Thema Nachhaltigkeit für eines unserer Magazine schreiben. Dafür habe ich drei verschiedene Briefings von verschiedenen Fachleuten bekommen, sodass ich nicht wirklich wusste, wie ich starten sollte. Also habe ich Chat GPT mit diesen Briefings gefüttert, um zu sehen, was die KI vorschlägt. Und diesem Vorschlag bin ich dann weitgehend gefolgt. Der fertige Artikel wurde zu rund 60 Prozent von Chat GPT verfasst und zu 40 Prozent von mir selbst.
Wie viel Zeit haben Sie dadurch gespart?Reinig: Geschätzt rund 70 Prozent. Ohne Chat GPT hätte ich alle Briefings durchgehen müssen, um die wichtigsten Anforderungen und Informationen zu destillieren. Wahrscheinlich hätte ich ein oder zwei Stunden gebraucht, bevor ich das erste Wort geschrieben hätte. So lag nach fünf Minuten Prompten ein erster Entwurf vor. Und es war viel einfacher, diesen Entwurf zu überarbeiten, statt einen Text komplett selbst neu zu schreiben.
Und seitdem nutzen Sie Chat GPT intensiver?Rountos: Ja, für alle Arten von Texten. Das ist noch explorativ, war aber schon in mehreren Fällen sehr hilfreich. Wir haben beispielsweise Ende Oktober unsere neue Corporate Brand vorgestellt. Das war ein riesiges Projekt, in dessen Rahmen wir sehr viele Kernbotschaften und Inhalte verfasst haben. Irgendwann hatte ich das Gefühl, dass uns dazu nicht mehr viel Neues mit Relevanz und Mehrwert einfällt. Deshalb habe ich Chat GPT benutzt, um neue Impulse für die Aufbereitung und Gestaltung unserer Botschaften zu bekommen.
Dass Chat GPT manchmal halluziniert, stört Sie nicht?Reinig: Damit ist Chat GPT ja nicht allein. Wie bei jeder Veröffentlichung haben wir die Verantwortung, alles zu überprüfen. Die Sorgfaltspflicht liegt beim Menschen, nicht bei der Maschine. Im Impressum steht mein Name oder der meines Unternehmens, nicht Chat GPT.
Wird KI schon als Standardwerkzeug in der Kommunikationsabteilung eingesetzt? Rountos: Noch nicht. Bei ungefähr zehn Prozent des Contents, den wir produzieren, wird KI eingesetzt. Aber die Zahl steigt jede Woche. (...)
Tipp I: Welche Teams schon intensiv mit Künstlicher Intelligenz arbeiten, wie Boehringer Deep Fakes im Krisentraining einsetzt und wie Rountos und Reinig den digitalen Change ihrer Abteilung managen, erfahren Sie
im kompletten Interview mit beiden im PR Report. Darin gibt es auch 15 weitere Fall-Beispiele, die zeigen, wie Unternehmen KI in der PR-Praxis nutzen.
Tipp II: Auch
im PR Report 5/23 haben wir uns intensiv mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Lesen Sie darin:
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