Obigen Satz sagt Kai Strehler, Social-Media-Experte der Deutschen Bahn. Das Unternehmen, so beteuern er und Kommunikationschef Oliver Schumacher, habe seine Lehren aus dem Twitter-Fail vor drei Jahren gezogen, als es auf einen harmlosen Tweet von Greta Thunberg schlecht reagierte.
Seitdem haben sich Stil und Ton der Bahn in Social Media verändert, gibt es
Lob für schlagfertige Reaktionen. Aber wie viel Humor ist erlaubt, wenn so manchem Fahrgast angesichts des teilweise herrschenden Chaos auf den Schienen nicht zum Lachen zumute sein dürfte? Ein Auszug aus dem Gespräch, das
in unserer aktuellen Ausgabe erschienen ist.
Im Dezember 2019 twitterte Greta Thunberg ein Bild, das sie im Gang eines angeblich überfüllten ICEs vor Gepäckstücken sitzend zeigt. Die Bahn reagierte mit einem Dank für Thunbergs Unterstützung im „Kampf gegen den Klimawandel“ und schob nach: „Noch schöner wäre es gewesen, wenn Du zusätzlich auch berichtet hättest, wie freundlich und kompetent Du von unserem Team an Deinem Sitzplatz in der Ersten Klasse betreut worden bist“.
Schumacher: Das mag abgedroschen klingen, aber aus dieser Niederlage haben wir gelernt.
Das Ganze passierte kurz nach dem Wechsel von Herrn Strehler zur Bahn. Was genau ist schiefgelaufen?
Schumacher: Kai ist damals wochenlang nicht vor die Tür gegangen, weil er sich so gegrämt hat. (lacht) Nein, Kai konnte nichts dafür. Ich nehme das einfach mal hierarchisch bedingt auf meine Kappe. Damals wurde klar: Wir verstehen Social Media nicht. Und die, die es damals schon verstanden haben, haben Leute wie mich nicht im Griff gehabt, um uns das richtig zu erklären. Deshalb hatte diese kleine Pleite ...
Strehler: Das war schon eine große Pleite.
Schumacher: Na gut. Also diese große Pleite hatte etwas Gutes.
Strehler: Das Greta-Debakel war das Beste, was uns Social-Media-seitig passieren konnte. Auch wenn sich das in dem Moment nicht so angefühlt hat. Dieser Fall hat ein enormes Umdenken ausgelöst und den Grundstein für das große Vertrauen gelegt, das wir heute intern genießen. Für die Deutsche Bahn war das ein krasses Learning. Meist werden alle nach solchen Erfahrungen noch viel vorsichtiger, bei der Bahn ist das Gegenteil der Fall.
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Was sind die zentralen Lehren?
Schumacher: Wir haben damals beleidigt reagiert. Das war falsch. Greta hat uns eine Steilvorlage geliefert, die wir völlig anders hätten nutzen müssen. Selbst Schweigen wäre besser gewesen. Heute kann ich das sehr entspannt sagen, damals hat es natürlich ein paar Tage gedauert, bis sich alle dieser Erkenntnis angenähert haben. Wir haben dann angefangen, das Team neu aufzubauen, neue Leute einzustellen. Aber am wichtigsten ist die Einstellung. Auch den Platzhirschen in der Organisation muss klar sein, dass Social Media wichtig ist und dass es dafür Expertinnen und Experten braucht, denen man nicht ständig in ihre Arbeit reinquatschen kann. Das ist ein Lernprozess im Konzern, nicht nur in der Kommunikationsabteilung, der schon ein, zwei Jahre gedauert hat.
Strehler: Und auch noch nicht beendet ist. Natürlich kommen immer noch viele mit ihren Terminen und Themen zu uns und sagen: So, das kann jetzt auch auf Social Media laufen. Aber das funktioniert halt nicht.
Schumacher: Wir halten Kai und seinem Team den Rücken frei. Sonst würden am Tag zig Leute bei ihm auf der Matte stehen, die wollen, dass er einen Tweet macht oder irgendwas auf Tiktok. Das passt aber nicht in unser Konzept.
Es gab zuletzt besonders große Probleme bei der Deutschen Bahn mit Verspätungen und Zuverlässigkeit. Wie viel Humor und Schlagfertigkeit, wie viel Provokation sind vor diesem Hintergrund erlaubt?
Strehler: Wir stoßen damit auch auf Kritik, klar. Manche hinterfragen, ob ein Unternehmen mit unpünktlichen Zügen und in wirtschaftlich schwierigen Zeiten überhaupt einen Witz machen darf ...
Ein Bahn-Mitarbeiter hat vor einigen Monaten auf Twitter geschrieben: „Was ich mir für 2023 wünsche: Weniger BVG-isierung der Social-Media-Kommunikation von Unternehmen und wieder mehr Ernsthaftigkeit und vertrauensfördernde Maßnahmen.“ Das konnte man als Anspielung auf die Deutsche Bahn lesen.
Strehler: Ich habe diesen Tweet gesehen. Und ja: Es ist ein Balanceakt. Über die witzigen, schlagfertigen Sachen wird am meisten geredet. Aber dazwischen gibt es 20 andere Posts, die nichts mit Humor und Selbstironie zu tun haben.
Schumacher: Unser Tiktok-Kanal ist wirklich sehr erfolgreich. Die meisten Inhalte dort sind eher informativ und finden keinen Niederschlag in anderen Medien, obwohl nicht selten zehntausende Menschen mit den Videos interagiert haben.
Der Kanal des Personenverkehrs twitterte Ende Oktober: „WhatsApp ist down. Glück für alle in der Bahn, die das gerade gar nicht mitbekommen.“ Dafür gab es bis heute knapp 22.000 Likes, aber nicht alle Kundinnen und Kunden dürften so etwas angesichts der Probleme des Unternehmens lustig finden. Sind Witzigkeit, Ironie und Bissigkeit der Versuch, die Probleme der Bahn zu überdecken?
Schumacher: Das ist nicht die Hauptintention. Das wäre auch zu durchsichtig. Wir haben teilweise erhebliche Probleme, über die sprechen wir auch ganz offen. Ohne das kleinreden zu wollen: Aber vielleicht gibt es auf der Welt noch deutlich größere Probleme als einen Zug, der 20 Minuten zu spät kommt. Die Dinge leicht augenzwinkernd ins richtige Verhältnis zu setzen, ist legitim.
Strehler: Natürlich darf die Bahn auch selbstironisch sein. Das heißt aber nicht – und dieser Vorwurf kommt oft –, dass dieses Unternehmen und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Aufgabe nicht sehr ernst nehmen würden. Man kann nur selbstironisch sein, wenn man weiß, was das eigene Problem ist. Und an diesen Problemen arbeiten wir. Kein Tweet, kein Tiktok wird dafür sorgen, dass niemand mehr sagt, die Bahn sei unpünktlich.
Was möchten Sie dann mit diesem Kommunikationsstil erreichen?
Schumacher: Unsere Analysen zeigen: Die Wahrnehmung der Deutschen Bahn vor allem bei jüngeren Zielgruppen hat sich stark verändert. Tiktok spielt dabei eine wichtige Rolle. Junge Menschen würden wir mit unserer nach wie vor wichtigen traditionellen Medienarbeit und mit unserem klassischen Kommunikationsstil schlicht nicht erreichen.
Strehler: Mein Team und ich setzen kaum Paid Media ein, machen sehr viel organisch. Mit einer humorigen und selbstironischen Verpackung schaffen wir Reichweite für Themen, bei denen wir es mit der klassischen Art der Kommunikation schwer hätten. Aber es muss insgesamt ein Mix zwischen Ernst und Witzigkeit sein.
Wie weit gehen Sie? Wie viel Risiko ist vertretbar, um Reichweite zu bekommen?
Strehler: Es gibt keinen Druck, ständig neue Brüller rauszuhauen, um die Teamgröße zu rechtfertigen. Wenn das so wäre, sollte man kein Social Media für ein großes Unternehmen machen.
Das komplette Interview lesen Sie in der aktuellen Ausgabe des PR Reports. Außerdem darin:
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