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Mirko Kaminski (Foto: Johannes Arlt)
15.11.2022   Wissen & Praxis
"Homeoffice hat viele Vorteile, sorgt aber auch für große Schäden"
Achtung-Chef Mirko Kaminski sagt, warum er seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wieder öfter im Büro sehen möchte.
Telekom-Chef Tim Höttges hat im Sommer an seine Belegschaft appelliert: „Kommt zurück in die Büros.“ Schließen Sie sich an?
Ja. Wir haben bei Achtung seit Mitte September eine gemeinsame Basis, die mindestens 50 Prozent Anwesenheit im Büro vorsieht. Zuvor konnte jeder kommen, wann er mochte. Das hat nicht allen gut getan – schon gar nicht der Kultur, dem Teamspirit und der persönlichen Entwicklung.

Die Arbeitswoche hat fünf Tage, die lassen sich schlecht durch zwei teilen.
Wir beziehen das nicht auf eine Arbeitswoche, sondern auf den Monat. Und wir machen keine Strichlisten, sondern vertrauen unseren Leuten. Aber wir hatten das Gefühl, mehr Orientierung geben zu müssen.

Gibt diese Regel genug Orientierung? Der eine Mitarbeiter kommt jeden Montag, Dienstag und Mittwoch ins Büro, die Team-Kollegin am Donnerstag und Freitag, andere kommen in einer Woche gar nicht – man begegnet sich also kaum. Das würde keinen Sinn ergeben.
Es obliegt der jeweiligen Teamleitung, das so zu organisieren, dass sich alle begegnen und echter Mehrwert entsteht. Wenn alle da sind, sollte etwas Inspirierendes passieren. Da sollte über Dinge gesprochen werden, die man über Zoom oder andere Tools so nicht besprochen hätte. Ich glaube fest daran, dass die Leute merken werden, wie cool und produktiv es ist, mit anderen zusammen in einem Raum zu arbeiten. Das motiviert auch, nicht auf die 50:50-Regel zu gucken, sondern öfter ins Büro zu kommen. Studien zeigen, dass die Leute gern ins Büro gehen, wenn sie dort inspiriert werden und mit Menschen zusammenarbeiten, von denen sie etwas lernen können.

Statt eine Regel vorzugeben, könnten Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Aktionen und Goodies ins Büro locken.
Das haben wir versucht und machen wir ja auch weiter. Wir hatten tolle Veranstaltungen, wir hatten regelmäßig einen Foodtruck vor der Tür. Aber das hat nur dazu geführt, dass punktuell und vorübergehend sehr viele da waren, aber eben nicht auf Dauer.

Wie haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die Einführung der 50:50-Regel reagiert?
Überwiegend positiv. Wir konnten gut darlegen, dass es im großen Interesse der Mitarbeitenden ist, wieder zusammen zu sein, gemeinsam zu lernen, Informationen und Wissen zu teilen. Und eine Reihe von Mitarbeitenden hat sich diese Orientierung gewünscht. Viele schätzen es, dass der Abstimmungsaufwand untereinander geringer ist, als wenn alle im Homeoffice sind. Schon in den Wochen vor Einführung der neuen Regelung waren die Räume deutlich voller.

Aber es gab auch kritische Stimmen?
Klar. Wie in anderen Unternehmen und Agenturen auch. Wer eine Stunde ins Büro braucht und eine Stunde wieder nach Hause, bleibt vielleicht lieber im Homeoffice. Andere müssen sich um ein Familienmitglied kümmern. Wieder andere sagen von sich aus, dass sie im Büro besser arbeiten können. Deshalb ist es so schwierig, eine Lösung für alle zu finden und eine starre Ansage zu machen, die allen passen soll. Homeoffice hat ja auch viele Vorteile. Aber dadurch entstehen auch große Schäden. Nicht nur bei uns.

Welche Schäden meinen Sie?
An der Kultur, am Teamgeist, am gemeinsamen Verständnis, an einer gemeinsamen Haltung. Diese Schäden sind in den vergangenen Monaten signifikant geworden. Und wir stellen fest, dass besonders jüngere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Homeoffice weniger gelernt und sich weniger stark entwickelt haben als das üblicherweise vor der Pandemie der Fall war. Es fehlt die Routine im Umgang mit Redaktionen, um ein Beispiel zu nennen.

Wie kommt das?
Wer im Büro ist, lernt viel von anderen, auch nebenbei: Man hört, wie die Teamleitung mit einem Kunden telefoniert oder mit einem Journalisten. Man bekommt mit, wie sich zwei Leute über eine Kalkulation unterhalten. Oder jemand schaut einem zufällig über die Schulter und gibt Tipps. Die Dichte an Informationen und Beziehungen, die man in einem Raum oder auf einer Etage aufnehmen und knüpfen kann, ist viel höher. Noch so viele Online-Meetings können das nicht ersetzen. Nur remote funktionieren Agenturgeschäft und Agenturleben nicht.

Warum nicht?
Agenturen haben kein Produkt, in das man sich stolz hineinsetzen kann wie in einen BMW. Sie haben nicht so bekannte Marken wie Google. Agenturen haben ihren besonderen Ansatz, ihre besondere Kultur. Dazu gehört die Möglichkeit, zusammenzukommen – vielleicht informeller und entspannter als bei einem Dax-Konzern. In der Agentur hört man abends einen coolen Vortrag, isst eine Pizza, trinkt ein paar Bier, vielleicht wird auch mal eine Party daraus. Ein kreatives, sprühendes, inspirierendes Miteinander zeichnet Agenturen aus. Diese Differenzierung zu anderen Unternehmen wird aber nicht erlebbar, wenn man zu Hause auf dem Sofa sitzt. Wir haben bei Achtung eine ganz ­starke Kultur: durch unser traditionelles Grünkohlessen, durch sagenhafte Weihnachtspartys, durch tolle Wochenendausflüge. Aber in den vergangenen zweieinhalb Jahren haben wir von unserem Kulturkonto permanent abgehoben. Jetzt müssen wir wieder anfangen, darauf einzuzahlen.

Dann müsste die Konsequenz doch sein, alle an fünf Tagen in der Woche zurückzuholen.
Dann würden wir Leute verlieren. Das ist ja die große Sorge von Unternehmen und Agenturen. Bei der derzeitigen Lage auf dem Arbeitsmarkt gibt es immer eine Firma, die 100 Prozent remote anbietet. Zudem: Homeoffice ist ja auch cool. Wenn ich mal von Fehmarn aus arbeite, genieße ich das. Würde ich das aber permanent machen, würde ich nach und nach Kontakt zu Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden und den Mitarbeitenden verlieren.

Bei mancher Diskussion auf Linkedin könnte man auf die Idee kommen, dass jeder Chef, der bei 100 Prozent Homeoffice nicht in Jubel ausbricht, völlig von gestern sei.
Wenn durch eine Rückkehr ins Büro Teamgeist, Kultur und die Entwicklung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter revitalisiert werden, lasse ich mich gerne als alten Traditionalisten beschimpfen.
 


Tipp: Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus dem aktuellen PR Report 5/2022. Neben dem vollständigen Gespräch mit Mirko Kaminski lesen Sie darin:
 
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