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26.02.2015   News
Hängepartie um Heimbach
 
Restrukturierung bei Siemens Der Technologiekonzern Siemens baut um – schon wieder. Die neue Struktur schlägt auch auf die Kommunikationsabteilung durch. In Zukunft soll alles schneller, besser, effizienter laufen. Ein zentrales Problem löst der Umbau allerdings nicht: Das System Heimbach geht weiter. Von Bijan Peymani Als Siemensianer muss man ziemlich leidensfähig sein. Seit einer gefühlten Ewigkeit befindet sich der eigene Konzern mit Doppelsitz in Berlin und München im Umbaumodus – stets verbunden mit dem Wegfall von Strukturen, Tätigkeiten und letztlich Arbeitsplätzen. Das latente Bedrohungspotenzial eines schier nicht enden wollenden Change-Prozesses erstickt mithin fast jede Eigeninitiative im Haus. Um langfristig erfolgreich zu agieren, haben gerade große Organisationen zu atmen und sich an die jeweiligen Marktgegebenheiten anzupassen.
Doch irgendwann muss man auch mal ankommen. Und es gelingt Siemens einfach nicht zu vermitteln, welche Strategie hinter dem größten Konzernumbau seit einem Vierteljahrhundert steht. Noch dazu wirken die jüngsten Umbesetzungen im Vorstand eher aktionistisch, mit dem Ziel, die Position von CEO Josef „Joe“ Kaeser intern zu stärken. Schon lange hat der mit dem „Corporate Core“ ein veritables Machtzentrum um sich errichtet, mit sieben Vertrauten, die dafür sorgen, dass Kaesers Richtlinien in allen Konzernleitfunktionen umgesetzt werden.


Die Einflüsterin

Die zweifellos Einflussreichste in diesem Schattenkabinett ist Mariel von Schumann (ehemals von Drahten). Sie tritt seit kurzem wieder unter ihrem Mädchennamen auf. Ende 2013 war der langjährigen Investor-Relations-Chefin von Siemens bereits mehr Machtfülle zuteil geworden. Als „Head of Governance and Markets“ bereitet sie unter anderem auch Vorstandssitzungen vor und leitet Kaesers Büro. Vorlagen aus sämtlichen Abteilungen gehen über ihren Tisch. Kaeser teile mit der Deutsch-Belgierin nicht nur alle wichtigen Entscheidungen, munkelt die Wirtschaftspresse.
Um den CEO zu schwächen, werden solche Delikatessen an die Medien durchgesteckt, wie Siemens überhaupt seit langem eher mit sich selbst und internen Ränkespielen beschäftigt ist. Kaeser etwa holte die Münchner Agentur CNC wieder an Bord, die bereits Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld beriet und später von Aufsichtsratsboss Gerhard Cromme vom Hof gejagt wurde. Eine Drohgebärde gegenüber Cromme, vor allem aber ein Affront gegen Kaesers Chefsprecher Stephan Heimbach. Der muss notieren, dass sein Rat kaum noch gefragt ist.
Kaeser und Heimbach hätten keinen besonderen Draht zueinander, verraten Beobachter. Wohl auch, weil sich letzterer früh mit Cromme vernetzte, der sich wiederum von Heimbach in dem Maße zu distanzieren versucht, wie sich das Machtgefüge in Richtung Kaeser verschiebt. In einem Klima gegenseitigen Misstrauens, in dem sich vor allem Heimbach zusehends isoliert sieht, arbeitet jeder auf eigene Rechnung. Dagegen lässt Siemens, im Wettbewerb mit Rivale General Electric hoffnungslos zurückgefallen, eines vermissen: eine echte Vision.




Das neue Leitbild

Die glaubt Kaeser unter dem Schlagwort „Siemens 2020“ endlich formuliert zu haben (siehe Kasten Seite 12). Allein, er kann sie nicht erklären. Das liegt zum einen daran, dass er in der Öffentlichkeit gegen jeden Rat vergleichsweise ungeschickt agiert. Das Antichambrieren bei Russlands Präsident Vladimir Putin auf einem vorläufigen Höhepunkt der Ukraine-Krise ist nur ein Beleg. Die Kommunikationstruppe konnte letztlich nur Schadenbegrenzung betreiben. Auch Kaesers Alleingänge in der bayrischen Provinz bringen sie wiederholt in Erklärungsnot.
In der Medienöffentlichkeit erntet Kaeser inzwischen vor allem Kritik und Häme („Kaum noch Applaus für die ,Joe-Show’“, Manager Magazin). Nach einem noch knapp positiven Tenor im vergangenen Jahr droht die Stimmung gegen den Niederbayern – befeuert durch sein unverhohlenes Machtstreben, befremdliche Selbstinszenierung und zuletzt enttäuschende Geschäftszahlen – nun auch intern zu kippen. Der 57-jährige Familienvater braucht dringend Erfolg und wieder bessere Presse. Letzteres obliegt Heimbach und seinen Getreuen.


Ist Joe Kaeser positionierbar?

Als Leiter Communications und Government Affairs wäre es Heimbachs Aufgabe, eine von der Unternehmensstrategie abgeleitete Kommunikationsstrategie zu entwickeln, deutlich zu vermitteln, warum und mit welchen Maßnahmen der Konzern den gewählten Weg geht und seinen Chef Kaeser entsprechend zu positionieren. Doch wie soll man einen CEO ins rechte Licht rücken, der eigene Interessen über die des Konzerns stellt, mehr als Taktiker denn als Stratege auffällt und ohnehin nicht auf das hört, was ihm andere wohlwollend zuflüstern?
Also verhält sich Heimbach eher still, bügelt kritische Nachfragen von außen brüsk ab und beißt nach unten. Angeblich soll er im Rahmen der Restrukturierung seiner Abteilung eine Powerpoint-Präsentation vorgestellt haben, in der für die verschiedenen Posten jeweils das Kürzel N.N. eingetragen war. Nur sein eigener Name stand über dem Tableau, nach dem Motto: Ich bin hier der Boss, und wer sonst noch dabei ist, werden wir sehen. Der Ton in Heimbachs Abteilung soll rauer geworden sein, die Nervosität bei ihm zunehmend steigen. Würde der Kommunikationsboss statt des (mithin erodierenden) Vertrauens des Aufsichts-rats vielmehr das Vertrauen des Konzernchefs genießen, könnte er sicher besser performen. Doch weil Kaeser von Journalisten nicht allzu viel hält und unter dem Primat der Investor Relations ein technokratisches Informationsverständnis pflegt, kommt Heimbach nicht zum Zug. Dabei könnte man gerade in der jetzigen Phase spannende Geschichten erzählen – ein Ansatz, für den im Sommer 2011 eigens Oliver Santen von der „Bild“-Zeitung engagiert worden war.
Denn Siemens strengt sich wirklich an. Mit der neuen Ausrichtung wurden die dezentralen Strukturen aufgelöst, die Zügel konzernweit gestrafft. Im Ergebnis soll schon bald die Flexibilität zunehmen, die Qualität in allen Einheiten und auf allen Stufen steigen und am Ende ein signifikanter Effizienzgewinn zu verbuchen sein. Der Umbau, der im Oktober 2014 in Kraft trat, hat insbesondere massive Auswirkungen auf die Querschnittsfunktionen. Neben Human Relations oder der IT zählt dazu auch der Kommunikationsbereich unter Heimbach.
Die Querschnittsaufgaben innerhalb des Unternehmens werden international gebündelt. So stellt jeweils nur noch eine Führungseinheit („Governance“) sicher, dass eine gemeinsame Kommunikationsstrategie entwickelt und über alle Funktionen umgesetzt sowie einheitliche Prozesse genutzt werden. Das Know-how für die einzelnen Kommunikationsaufgaben ist in „Centers of Expertise“ konzentriert. Sie bestehen überall dort, wo betreute Geschäftseinheiten angesiedelt sind. Analog gilt das für Dienstleistungsprozesse („Functional Shared Services“).
Die „Business Partner“ sind das vierte Element der neuen Struktur. Sie betreuen jeweils die Kommunikation für eine der insgesamt neun Siemens-Divisionen, von Power and Gas über Mobility bis zu Building Technologies. Die Business-Partner-Teams setzen sich meist aus Marketingexperten zusammen, die aus dem jeweiligen Geschäftsumfeld stammen. Sie sollen dafür bürgen, dass die globale Kommunikationsstrategie in eine spezifische Strategie für jeden Bereich transferiert wird und die Kommunikation die nötige Geschäftsnähe sicherstellt.
Die Einheiten von jeweils zehn bis 20 Personen fungieren als Schnittstellen zum operativen Geschäft und steuern ihre Kommunikationsanforderungen über die „Centers of Expertise“ ein. Hierfür wurden beispielsweise für die Kommunikationsarbeit nicht weniger als 17 Kernprozesse definiert. Zuständigkeiten und Abläufe, etwa bei Freigaben, fallen ebenso darunter wie standardisierte Briefings für externe Dienstleister. Im Rahmen eines Agenturtages hatte Siemens den Partnern im Februar diesen neuen Briefingprozess vorgestellt und erklärt.
„Die Standardisierung wird die Zusammenarbeit mit unseren Agenturen verbessern sowie Abstimmungsbedarf und Fehlerquote reduzieren“, ist Gerald Odoj überzeugt. Odoj zeichnet bei Siemens verantwortlich für die Marketingkommunikation und leitet das Umbauprojekt in der Kommunikationsabteilung. Doch der Umbau ändert nichts an der Grundhaltung im Unternehmen. Es gilt die Direktive: Erst mal abwarten, was „Joe“ sagt. Bis dahin wagt sich niemand aus der Deckung, denn das könnte den eigenen Kopf kosten.


Die Frage der Arbeitsplätze

Immerhin: Die neue Struktur führt nicht zwangsläufig dazu, dass die in Deutschland gut 600 und international etwa 1.500 Mitarbeiter der Unternehmenskommunikation um ihre Jobs bangen müssen. „Der Wegfall bestimmter Tätigkeiten ist nicht eins zu eins gleichbedeutend mit dem Wegfall von Arbeitsplätzen“, betont Odoj. Sein Chef Heimbach sagt dazu lapidar, Siemens habe die globale Kommunikationsfunktion wie alle großen Zentralfunktionen des Konzerns „umfassend neu aufgestellt“. Zu personellen Implikationen sagt er noch nichts.
Zunächst einmal müsse man ein Prozedere abwarten, „das vom Betriebsverfassungsgesetz fest vorgegeben ist und einen Interessenausgleich als Ziel hat“, so Heimbach, „erst danach gibt es konkrete Ergebnisse“. Ein Ergebnis aber steht bereits: Heimbach bleibt der Kapitän auf der Kommunikationsbrücke. Vorerst. Denn hört man sich unter Journalisten um, dann gilt der Meister des politischen Taktierens als angezählt. Allein seine enge Verbindung zum Chef des Siemens-Aufsichtsrates halte Heimbach noch im Amt, heißt es unisono.
Cromme, dessen Bild als Lichtgestalt der deutschen Industrie spätestens seit dem Rauswurf als Thyssen-Krupp-Chefkontrolleur zertrümmert ist, hatte in jenem Seuchenjahr 2013 – mit wenig Widerspruch – angekündigt, auch den Posten als Siemens-Aufseher vorzeitig räumen zu wollen. Zum Entsetzen vieler im Umfeld des Konzerns will der 1,94-Meter-Hüne seinen bis Januar 2018 laufenden Vertrag nun doch erfüllen. Seine Rolle beim Löscher-Abgang im Sommer des vorvergangenen Jahres wird ebenso kritisch gesehen wie die von Heimbach.
Cromme, heißt es, habe Löscher zunächst im Aufsichtsrat Rückendeckung gegeben. Als aber der Wind in seine eigene Richtung drehte, habe der Chefaufseher seinen damaligen CEO mit einer erzwungenen Gewinnwarnung ans Messer geliefert. Weil in der deutschen Wirtschaft Aufsichtsrats- und Konzernchef praktisch nie gemeinsam ihren Hut nehmen müssen, konnte Löscher seine Sachen packen und Cromme so seine Haut retten. Der Kommunikationsstab unter Heimbach machte in dieser Phase – höflich formuliert – keine allzu glückliche Figur.


Wie lange hält sich Heimbach?

Kaeser allerdings, Löschers Nachfolger und seit August 2013 an der Siemens-Spitze, hat ein anderes Kaliber. Noch traue er sich nicht recht an Heimbach heran, sagen Eingeweihte. Zu sehr fürchtet Kaeser dessen Seilschaft zu Cromme. Dabei war Heimbach vor gut zwei Jahren bereits entmachtet. Ihm sollte Michael Inacker, heute Chef der Kommunikationsagentur WMP Eurocom, vorgesetzt werden. Doch der konnte seinen Posten bei Siemens nach der Löscher-Demission nicht mehr antreten. Heimbach muss sein Glück kaum gefasst haben.
Dabei galt das Tuch zwischen ihm und Ex-CEO Löscher schon lange als zerschnitten. Wie man hört, soll letzterer ein Jahr vor seinem Abgang Hill + Knowlton beauftragt haben, die gesamte Kommunikationsarbeit zu durchleuchten. Das Ergebnis der Analyse sei für Löscher niederschmetternd gewesen. Von mangelnder Loyalität war die Rede und kommunikativer Sabotage. Einzelne Mitarbeiter aus dem Heimbach-Stab sollen in Redaktionen nachgefragt haben, wie deren positive Berichterstattung zur tatsächlichen Verfassung des Konzerns passe.
Ernst Primosch, CEO und Chairman von Hill + Knowlton Strategies Deutschland, blockt auf Nachfrage ab. Ein anderer, der Siemens gut kennt, aber ungenannt bleiben will, wird deutlich: „Heimbach ist in erster Linie sich selbst gegenüber loyal, und in zweiter Linie Cromme.“ Ist dem so, müssen sich die Siemens-Verantwortlichen fragen lassen, ob es compliance-gerecht ist, wenn der Kommunikationschef faktisch an den Chef des Aufsichtsrates berichtet. Kaeser muss dieser besonderen Liaison hilflos zusehen, so lange er in einer Defensivposition ist.
Noch kann sich Heimbach, seit 1992 im Haus und seit 2007 an der Kommunikationsspitze, in Sicherheit wiegen. Dass Kaeser bei Europas größtem Industriekonzern scheitert, mag sich heute niemand vorstellen und die wenigsten wünschen. Gelingt ihm die Wende, sind die Tage des Chefaufsehers gezählt. Doch kann der CEO nicht schon sehr bald Erfolge vorweisen, wird Cromme sein eigenes Überleben einmal mehr mittels Opfergabe zu sichern versuchen. Egal aber, ob Kaeser fällt oder doch Cromme – eine Ära dürfte bei Siemens dann zu Ende sein.
Fotos: Siemens
 

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