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News / Kein Geld für Nachhaltigkeit
Emilio Galli Zugaro (Foto: Oliver Soulas)
11.11.2022   Kolumne
Kein Geld für Nachhaltigkeit
Wenn in harten Zeiten gestrichen wird. Eine Kolumne von Emilio Galli Zugaro.
Der CEO schüttelt den Kopf. Er sei doch neulich sehr klar gewesen: Wir haben Krieg in Europa und echte Probleme mit den Energiekosten, die wegen Covid geschlossenen Häfen in China erschweren die Lage, die Lieferketten sind immer noch nicht ersetzt. Dass die Inflation zurück ist und die Unsicherheit vorsichtig machen muss, merkt jeder. Und wie die Berater von Smith & Wesson gern sagen: „Zehn Prozent Kosten runter geht immer.“ Ist ja nicht das erste Mal, dass wir an die Budgets rangehen, meint er.
 
Aber was lässt ihn dann seinen Charakterkopf schütteln, frage ich. Dr. Jürgen Martin ist erstaunt, dass drei Leistungsträger Ärger machen. Die Personalvorständin Julia Schuftviel und das PR-Gespann Hartmut Althase und Jessica Tweet verlangen, nicht bei ESG zu sparen: Hilfe für die Flüchtenden aus der Ukraine, freie ÖPNV-­Tickets für die Belegschaft, Spenden bei Naturkatastrophen, Nachhaltigkeitsreport und vieles mehr – alles wichtig für die Reputation und um Talente zu gewinnen.
 
Ich muss nachdenken. Der bisherige „Natürlich-haben-Schuftviel-und-Co-recht!“-Impuls fühlt sich nicht gut an. Und zwar aus einer zunehmenden Skepsis gegenüber allem, was als „nachhaltig“ oder „ESG“ bezeichnet wird. Oft ist es ein Sammelsurium gesetzlicher Mindestanforderungen und mehr oder weniger konsistenter und gut gemeinter Aktivitäten. Dazu viele Schwüre zu Vielfalt und Inklusion, nachhaltigem Wirtschaften und andere vage Versprechen, die das Böse in mir als White- und Greenwashing bezeichnen würde.
 
Das Utopie-Programm
Dr. Martin wartet. Mir kommt eine Frage: Was ist aus dem Vorschlag des ESG-Boards geworden, das Geschäftsmodell der Firma zu ändern, um nachhaltiger zu sein? Angebote aus dem Sortiment nehmen, deren Produktion zu energieintensiv ist. Insourcing von Prozessen, deren ESG-Konformität intern besser gesichert werden kann. Und vieles mehr, was an die Substanz des Unternehmens geht ...
 
Martins Augen rollen. Ja ja, das Utopie-Programm damals. Hätte man das gemacht, wäre man für einen Apfel und ein Ei von der Konkurrenz übernommen worden.
 
Ich frage, ob er wisse, wie Unilever 2017 die feindliche Übernahme von Heinz abgewehrt hat. In einer Nussschale: Die Aktionäre von Unilever nahmen dem Management ab, dass es seinen Weg zum saubersten Waschmittelhersteller besser unabhängig gehen könne als mit neuen Mehrheitseignern. Also nichts anderes als gelebte ESG-Strategie: Es dauert länger, sauber zu werden, es sind Milliarden Investments nötig und deshalb viele Jahre geringerer Rendite – aber man sei dann der Marktführer, weil man der sauberste ist. Mal sehr kurz gesagt.
 
Aber lang genug, um Martin ins Grübeln zu bringen. Ob nicht die Not an den Flughäfen im Sommer auch Ausdruck einer wenig nachhaltigen Personalpolitik gewesen sei, die Leute niedrig bezahle und schnell vor die Tür setze? Kein Wunder, dass es so schwer ist, bei guter Konjunktur neue Leute einzustellen!
Genau! Und wenn man seinen Job richtig mache, könne man auch an manchem Programm sparen, das dem – gut gemeinten – Lippenstift auf dem Gorilla entspricht, damit der Affe so aussähe wie Marilyn Monroe.
 
Ich fürchte, dem PR- und dem Personalteam könnten diese Gedanken nicht gefallen ... und packe meine Sachen.
 
Autor: Emilio Galli Zugaro hat diesen Sommer „Winners take all“ von Anand Giridharadas gelesen und steht noch immer unter Strom. Das beste Buch über White- und Greenwashing, das er gelesen hat. Als Geschäftsführer der Orvieto Academy for Communicative Leadership und Executive Coach erlebt er, wie schwer sich Management tut, Ambidextrie zu leben: die Fähigkeit, ein Unternehmen zu entwickeln und dabei sparsam zu managen. Diese Kolumne ist von A-Z erfunden, aber realitätsnah …
 
Tipp: Im aktuellen PR Report gibt es einen Schwerpunkt zum Thema Nachhaltigkeit. Darin:

So werden Events grün: Was zu beachten ist, um Live-Veranstaltungen ökologisch und sozial nachhaltig zu machen.

Ranking: Mit welchen Reporting-Agenturen die Unternehmen aus Dax, MDax und SDax arbeiten – und warum es auf diesem Markt einen großen Umbruch gibt.

 

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