"Der Transparenzdruck wird weiter wachsen"
Das Lobbyregister ist eine Chance, darf aber kein Bürokratiemonster sein, fordern die Public-Affairs-Berater Michael Wedell und Cornelius Winter.
Jetzt gilt es: Das Lobbyregister des Deutschen Bundestages ist gestartet und füllt sich – der Zug rollt. Bis zum 1. März müssen sich Interessensvertreterinnen und -vertreter darin eintragen. Nach jahrelangen Debatten muss man sagen: Endlich!
Dieses Regelwerk ist ein richtiger und wichtiger Schritt für die demokratische Kultur und die Nachvollziehbarkeit von politischen Entscheidungswegen. Denn eine plurale Gesellschaft lebt vom freien Blick unter die politische Motorhaube und auf die Transmissionsriemen der Willensbildung. Dazu gehört, dass alle Interessensvertreterinnen und -vertreter ihre Anliegen verantwortungsvoll, offen und transparent in den politischen Diskurs einbringen.
Das Transparenzregister ist auch eine Chance für die Beratungsbranche. Es ist ein Weg, um einer (kritischen) Öffentlichkeit zu zeigen, dass die allermeisten Beraterinnen und Berater ihren Job professionell, seriös und ebenfalls transparent machen – und das seit Jahren. Gut ist deshalb auch, dass das Lobbyregister für jene, die sich nicht an die Regeln und den Verhaltenskodex halten, deutliche Sanktionen vorsieht.
Viele stoßen an Grenzen
Der nächste Halt des „Zugs“ ist bereits absehbar: Die Ampel-Koalition hat angekündigt, das Lobbyregistergesetz noch in diesem Jahr nachzuschärfen. Kern wird der sogenannte legislative Fußabdruck sein, der auch Kontakte zu Ministerien ab der Referentenebene einbezieht. Zudem soll der Kreis der eintragungspflichtigen Interessenvertretungen erweitert werden.
Auch dieser Schritt ist grundsätzlich nachvollziehbar, wenn Transparenz bei Kontakten mit Regierung und Parlament vollständig erreicht werden soll. Allerdings ist dabei auch der Gesichtspunkt der praktischen Umsetzung und Umsetzbarkeit für alle Seiten zu beachten. Schon jetzt zeigt sich, dass viele Beteiligte auch bei gutem Willen mit den Details der Umsetzung zeitlich und juristisch an Grenzen stoßen.
Zudem muss Transparenz für alle gelten. Es kann keine Unterscheidung zwischen „guten und bösen“ Interessen geben. Auch darum ist eine Registerpflicht ebenso für Arbeitgeber, Gewerkschaften, Kirchen und NGOs erforderlich. Ein unverhandelbarer Grundsatz eines jeden Lobbyregisters muss sein: gleiches Recht für alle.
Der Druck steigt weiter
Die wirklich spannende Frage für die Zukunft der organisierten Interessenvertretung lautet aber: Wie geht es weiter? Denn der Transformations- und Transparenzdruck auf Unternehmen, Verbände, NGOs und die Beratungsbranche wird weiter wachsen. Allein die immer präsentere und spürbare Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels wird dazu führen, dass noch viel genauer hingeschaut wird, welche Stakeholder ihrer Verantwortung nachkommen – das gilt gleichermaßen für alle am legislativen Prozess Beteiligten, ob Abgeordnete oder Interessenvertretende.
„Verantwortliche Interessenvertretung“ ist dabei transparent und konsistent. Sie trägt zu besseren politischen Entscheidungen bei. Die Ziele, die sie verfolgt, und die Instrumente, die sie nutzt, sind klar erkennbar. Allen Gesprächspartnerinnen und -partnern gegenüber wird im Kern die gleiche Botschaft kommuniziert; mit offenem Visier. Damit ermöglicht der Austausch von Sichtweisen und Argumenten den Raum für besseres Verständnis und manchmal auch Annäherung. So ergänzt verantwortliche Interessenvertretung die Transformations- und Nachhaltigkeitsstrategie des jeweiligen Unternehmens und der Beitrag zu gesamtgesellschaftlichen Zielen wird sichtbarer.
Es wäre nicht im Sinne der demokratischen Willensbildung, wenn künftig etwa Unternehmen und Verbände mehr Zeit für die Pflege von Registern aufwenden müssen als für die Interessenartikulation ihrer Branchen und ihrer Belegschaften. Denn so sehr Abgeordnete und Ministerialbeamte – entgegen der landläufigen Meinung – oft tief in ihrer Materie stecken, sie wissen eben nicht alles.
So könnte es sinnvoll sein, im Rahmen einer inhaltlichen Verschärfung bereits erste Erfahrungswerte der registrierten Interessenvertretungen abzufragen und ggf. eine administrative Entschärfung an den Stellen vorzunehmen, an denen das Register in seiner jetzigen Form für mehr Aufwand als für tatsächliche Transparenz sorgt. Gerade mit Blick auf den angestrebten exekutiven Fußabdruck muss daher klar sein, dass der öffentlichen Verwaltung eine wesentliche Rolle bei der Erfassung und Dokumentation empfangener Interessenvertretung zukommt, um diesen zu ermöglichen.
Die Politik darf nicht ablenken
In diesem Zusammenhang braucht ein gelingendes Miteinander aller an der Interessenvertretung Beteiligten auch ein stärkeres Selbstbewusstsein der Interessenvertreterinnen und -vertreter. Besonders die Beratungsbranche hat viele gute Gründe, offen für ihre Arbeit einzutreten. In einer Dekade der Transformation brauchen nicht nur Unternehmen Pfadfinderinnen und Pfadfinder im Interessen- und Regulierungs-Dschungel. Als Beraterinnen und Berater bringen wir hier mehr Licht ins Dickicht und tragen zu Begegnung auf Augenhöhe bei – auf allen Seiten. Das ist eine gute und ehrenwerte Arbeit – auch für die politische Willensbildung. Diese Reputation und Expertise bringen wir gerne ein.
Und schließlich muss klar sein, dass transparenter Lobbyismus nur ein Puzzleteil für die Vertrauensbildung in die Demokratie, ihre Institutionen, Repräsentantinnen und Repräsentanten, Mitspielerinnen und Mitspieler ist. Die Politik darf nicht von ihrer Verantwortung ablenken. Sie hat zunehmend selbst Schwierigkeiten, mit der Geschwindigkeit des Wandels substanziell mitzuhalten und Wandel aktiv zu gestalten. Politik ist deshalb bei Entscheidungen auf Rat und Information von Externen stärker angewiesen denn je.
Nach einer Umfrage der Körber-Stiftung haben nur noch 50 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger Vertrauen in die Demokratie, lediglich 32 Prozent haben noch Vertrauen in den Bundestag – das können wir nicht so stehenlassen. Es braucht eine große Kraftanstrengung aller Beteiligten, um diesem Trend entgegenzuwirken.
Die Beratungsbranche leistet – nicht nur über ein sich nun entwickelndes Lobbyregister – ihren Beitrag zur Steigerung des Vertrauens in unsere Demokratie. Der Zug fährt in die richtige Richtung. Tempo verleihen wir ihm gemeinsam.
Die Autoren: Michael Wedell ist Partner bei Brunswick. Cornelius Winter ist Gründer und Principal Partner der 365 Sherpas. Beide sind Gründungsmitglieder der Degepol (Deutsche Gesellschaft für Politikberatung e.V.).