Mädchen für alles
Kommunikationschefs in der Schweiz Wer hauptverantwortlich für ein Unternehmen spricht, hat im Allgemeinen eine Fülle auch strategischer Aufgaben und steht im engen Dialog mit den anderen Abteilungen. Nicht so in der Schweiz. Hier darf der Kommunikationschef zwar allerhand aus-, aber selten anführen. Die eigentliche Richtlinienkompetenz haben externe Berater. Von Bijan Peymani „Gango“ – der Begriff fällt immer wieder, wenn man mit Experten über Rolle und Funktion der Kommunikationschefs in der Schweiz spricht. „Gango“, das ist Schweizerdeutsch und die Kurzform für „gang go hole“, wörtlich übersetzt: „geh holen“. Im übertragenen Sinn meint es „Wasserträger“,„Mädchen für alles“. Denn anders als hierzulande finden sich Unternehmens Sprecher im Alpenland zu oft in der Rolle des Ausführungsgehilfen. „Selbst Chief Communications Officers haben in manchen Fällen nicht den gewünschten Einfluss in der Firmenleitung“, sagt Cyril Meier von der Hochschule für Wirtschaft Zürich.
Meier, an der HWZ Studienbereichsleiter Kommunikation, ist Mitglied im „Harbour Club“ (siehe Kasten Seite 14) und bekommt vor allem dort wohl einiges mit: „Der Sprecher ist bei uns nicht selten derjenige im Unternehmen, den man in strategischen Dingen als letzten ruft“, so Meier. Stattdessen hier noch schnell eine Pressemitteilung, bitte, dort die Drucksache eilt, und da wäre auch noch was online zu machen. Regelmäßig beklagen sich die Betroffenen, sie würden zu wenig einbezogen, dürften zwar aus-, aber praktisch nie anführen.
Laut Meier sind das heute jedoch „frustrierende Ausnahmen“, das große Bild habe sich gerade in den vergangenen 15 Jahren sehr positiv entwickelt. Doch die „Gango“-These wird von den Ergebnissen des „Practice Monitor 2013/2014“ gestützt – eine gesamtschweizerische Umfrage, die die Universität Lugano zusammen mit den großen Branchenorganisationen des Landes durchgeführt hat. In der bemerkenswerten Studie geben die Kommunikationsverantwortlichen tiefe Einblicke in ihr Seelenleben. So glauben gerade einmal ein Drittel der Befragten, dass ihre Empfehlungen von der Unternehmensleitung ernst genommen werden. Seit der letzten Erhebung im Jahr 2011 hat sich hier nichts verändert.
Selbst unter den CCOs ist der Wert nur unwesentlich höher. Von diesen ist nicht einmal jeder Dritte Mitglied im Vorstand und weniger als ein Viertel Teil des erweiterten Führungskreises. Während die Kommunikationsabteilung häufig eng mit dem Marketing zusammenarbeitet, hat sie laut Studie mit anderen Abteilungen wenig zu tun. Das führt dazu, dass zentrale Themen wie Public Affairs, Investor Relations, Corporate Social Responsibility, ja sogar bisweilen die interne Kommunikation nicht unter Kontrolle des CC/PR-Departments stehen.
Aus deutscher Sicht unvorstellbar. Da hilft ein Blick auf die Corporate-Governance-Struktur der Schweiz. Demnach stellt der von den Aktionären bestimmte Verwaltungsrat die Mitglieder der Unternehmensleitung ein, beschließt das Jahresbudget, fällt strategische Entscheidungen und begleitet die Unternehmensleitung bei deren Umsetzung. „Der Verwaltungsratspräsident ist der erste Ansprechpartner des CEO und Bindeglied zum Verwaltungsrat“, ergänzt Franz Egle, Senior Partner der Dynamics Group, einer externen Beratungsgesellschaft in Bern.
Zwar mit inzwischen abnehmender Tendenz, aber immer noch mehrheitlich kümmert sich der Verwaltungsrat auch ums Reputationsmanagement des Unternehmens. Insbesondere der VR-Präsident hat im Gegensatz zum hiesigen Aufsichtsratschef eine zentrale Rolle. Rein rechtlich darf er in Personalunion – außer im Bankwesen – auch den Vorsitz der Geschäftsleitung innehaben. Diese Praxis ist aber in der Schweizer Öffentlichkeit zusehends verpönt, unter dem Eindruck heftiger Medienschelte findet sich diese Konstellation immer seltener.
Im Zuge der veränderten Gesetzgebung hinsichtlich der Corporate Governance – demnächst wird das Schweizer Parlament das neue Aktienrecht behandeln – wird dem Präsidenten des Verwaltungsrates gleichwohl noch mehr Macht zuteil. Trat er bis vor wenigen Jahren meist nur einmal jährlich auf der Generalversammlung in Erscheinung, muss er künftig permanent Transparenz herstellen. Das heißt, regelmäßig kontrollieren und kommunizieren, um die ihm und seinem Verwaltungsrat auferlegte strategische Führungsaufgabe angemessen auszufüllen.
Dass der dabei auch stärker die Leitlinien der Unternehmenskommunikation vorgeben könnte, sieht Peter Eberhard, Präsident des Berufsverbandes pr suisse, jedoch nicht: „Auch in der Schweiz wird die strategische Kommunikationsarbeit in erster Linie vom Top-Management respektive vom CCO geleistet und eher selten vom Verwaltungsrat.“ Andreas Hugi, Präsident des Agenturverbandes BPRA, sekundiert, wo der Verwaltungsrat in solche Grundaufgaben einbezogen werde, handele es sich „in der Regel dann eher um Genehmigungsprozesse“.
Probleme bei der strategischen Arbeit
Andere sind da kritischer. Einer, der den Markt gut kennt, aber ungenannt bleiben will, spricht dem Gros der CCOs in der Schweiz strategische Fähigkeiten ab. Das sei nicht zuletzt mit ihrer Vita zu erklären. Tatsächlich kommen viele Kommunikationsverantwortliche ursprünglich aus dem Journalismus, verfügen nicht über die entsprechende strategische Ausbildung. Berater Egle erklärt: „Kommunikationschefs sind in der Regel zuständig für die tägliche Kommunikation des Unternehmens“; zumeist seien diese Personen dabei „ausgezeichnete Sprecher“.
Häufig aber würden sie „von der täglichen Arbeit dermaßen eingedeckt, dass sie nicht in der Lage sind, längerfristig ausgerichtete Strategien entwickeln zu können“, ergänzt Egle. Diese Rolle nähmen dann Profis von außen wahr: „In der Schweiz bauen vor allem Verwaltungsräte auf die Unterstützung erfahrener externer Konsulenten.“ Da, wo die Geschäftsleitung mit dem Verwaltungsrat diskutiere, da sei das Machtzentrum des Unternehmens, ergänzt ein Insider, „und da kommen die Kommunikationschefs nicht hin – da sind die externen Berater“.
Angesichts extrem vieler kleiner Firmen in der Schweiz könne es natürlich „schon mal sein, dass ein Kommunikationschef höheres Gewicht oder auch nur das Gefühl hat, in Projekte und Entscheidungen eingebunden zu sein“, so der Branchenkenner weiter. Seine Erfahrung aber sei: „Sobald Sie auf das Top-Level im Unternehmen stoßen, haben die alle ihre eigenen Leute – alle!“ Und zwar auch und gerade für strategische Kommunikationsberatung. Kolportiert wird, dass VR-Präsidenten hierfür eigene Jahresbudgets von bis zu 500.000 Franken haben.
BPRA-Chef Hugi bezeichnet es „eher als Ausnahme“, wenn externe strategische Berater auf Verwaltungsratsstufe Kommunikationsstrategien entwickeln. „Was bei uns sicher vorkommt und häufig ist, sind die persönlichen Coachings für VR-Präsidenten.“ Hugi sieht den Grund in einer besseren Aufgabenteilung: Die Unternehmenskommunikation ist für alle Belange des Unternehmens da, und ein persönlicher Coach für persönliche Belange des Leitungsteams. In der Tat treten die Berater auch in der Schweiz situativ in Erscheinung, etwa im Krisenfall.
Anderer Zeithorizont
„Grundsätzlich begleiten sie – anders als in Deutschland – aber nicht nur taktische Manöver der Führungsebenen, sondern haben Mandate, die 18 Monate oder länger dauern“, illustriert Klaus Lintemeier, Chef von Lintemeier Stakeholder Relations, München. Da werden Prozesse definiert, persönlichen Vorlagen für den VR-Präsidenten erstellt, das jeweilige Unternehmen mittel- bis langfristig ausgerichtet. Oft sind Kommunikationschefs in der Schweiz lediglich zwischen der dritten und vierten Ebene angesiedelt, noch unter dem HR-Verantwortlichen.
Die Schaffung einer Austausch- und Best-practive-Plattform in Gestalt des „Harbour Club“ war dazu angelegt, die Skills von Unternehmenssprechern in der Schweiz bis hoch zum CCO und damit ihre Position im Unternehmen nachhaltig zu verbessern. Doch viel wurde davon in den letzten eineinhalb Jahrzehnten offenbar nicht eingelöst. „Man kennt sich, meist noch aus der Militärzeit, und man trifft sich“, frotzelt einer. Ansonsten werde in diesem sich selbst gern zum exklusiven Kreis hochstilisierenden Klub „viel Banales diskutiert“.
Ob dem so ist, lässt sich aus der Ferne kaum beurteilen. Einen Hinweis mag aber der jüngst publizierte „CCO Compass“ geben. Für ihn ließ der Harbour Club durch das in der Schweiz sehr renommierte Forschungsinstitut gfs.bern untersuchen, welche künftigen Entwicklungen die Kommunikationsverantwortlichen in der Alpenrepublik antizipieren müssen. In einer Mitteilung von Anfang Dezember 2014 äußert sich Harbour-Club-Präsident Dominique Morel. Er spricht von „vier richtungsweisenden Erkenntnissen“.
Morel: „Zur Weichenstellung für die Zukunft tun CCOs gut daran, diese Erkenntnisse mit der Ist-Situation ihrer Organisation abzugleichen.“ Die Transformation der Kommunikation sei in vollem Gange. Wer daraufhin Bahnbrechendes erwartet, dürfte enttäuscht sein. Die vier so „richtungsweisenden“ Findings lauten: Kommunikation im Unternehmen besser steuern, aktiver, glaubwürdiger und auf Augenhöhe mit Anspruchsgruppen sprechen, im eigenen Haus enger (oder endlich) mit IT, HR und Marketing zusammenarbeiten, innovativer sein.
Fotos: Lukas Schnellmann