Nachfassen in Redaktionen lohnt sich, sagt Nadja Amireh (links). Nachfassen nervt, kontert Annika Schach (rechts). Ein Pro und Contra.
Nadja Amireh sagt: Es ist ein Mythos, dass Redaktionen jedes Hinterhertelefonieren hassen.
Ende Oktober ging es
im PR Report Podcast um die Aussage von Wigan Salazar (Deutschland-Chef der Agentur MSL), dass der PR-Nachwuchs in Agenturen etwas „mundfaul“ sei und ungern Telefonate führe, sondern bevorzugt per Mail kommuniziere.
Salazar beschreibt, dass es bei allen persönlichen Kommunikationsvorlieben der Young Professionals im Arbeitsalltag Situationen gebe, die einen schnellen und persönlichen Kontakt erfordern, und spricht sich dafür aus, dann zum Hörer zu greifen. Das gelte besonders für die Ansprache von Journalistinnen und Journalisten.
Zitiert wird in dem Podcast auch der frühere Daimler-Kommunikator Sascha Pallenberg, der wiederum genervt ist, wenn er unvorbereitet und ohne Terminvereinbarung angerufen werde. Seine Begründung: Man wisse nicht, wo man ihn in dem Moment erreiche und ob ihm ein Gespräch in dieser Situation passe. Er empfiehlt daher, vorab Termine zu vereinbaren.
Im Agenturalltag ist das absolut unrealistisch! Agenturen haben meist einen Kommunikationsauftrag. Sie sollen Themen medial inszenieren, so aufbereiten und vermitteln, dass sie für die jeweilige Zielgruppe spannend, aktuell und relevant sind. Eine Zielgruppe sind die Medien.
Ja, wir alle wissen, Journalistinnen und Journalisten werden zugeschüttet mit gelegentlich guten und oft weniger guten Pressemitteilungen und Informationen. Sie haben viel zu tun, Redaktionen werden kleiner, der Druck wächst. Dann kommen auch noch Agenturen um die Ecke und fassen nach. Das kann nerven – muss es aber nicht.
Ein großer Mythos der Kommunikationsbranche ist, dass Journalistinnen und Journalisten jeden Nachfass hassen. In der Resonanz des PR Report Podcasts auf Twitter wurde die Praktik konträr diskutiert. Es gab Gegenstimmen: Das ginge gar nicht, niemand würde Nachfass gut finden, und wenn „Praktis“ (nicht meine Bezeichnung) das machen, sei es ja noch schlimmer.
Meine langjährige Erfahrung ist anders. Wir sprechen regelmäßig mit Medien und es läuft top. Nie wurden wir beschimpft, niemand hat genervt aufgelegt oder unsere Nummern gesperrt.
Ein Nachfass funktioniert nicht, wenn Anrufende Rückfragen nicht beantworten können, das Medium und dessen Themenplanung nicht kennen oder die falschen Journalistinnen und Journalisten kontaktieren, die zum entsprechenden Thema keinen Bezug haben.
Wir haben es neulich bei einem Projekt erlebt. Für die App Wahl-O-Meter haben wir PR gemacht. Die Schwierigkeit: Der Wahl-O-Meter hat nichts mit dem Wahl-O-Mat zu tun. Letzteren kennen alle, den Wahl-O-Meter (das Tool vergleicht das tatsächliche Abstimmungsverhalten von Parteien und Politikern mit deren Stellungnahmen bei konkreten Gesetzen/Anträgen des Bundestags) kaum jemand.
Wir haben zuerst den klassischen Weg gewählt: Das Pressematerial mehrfach an Redaktionen geschickt – keine Rückmeldung, nur wenige Veröffentlichungen! Dann begannen wir nachzufassen. Und das hat sich gelohnt.
Denn Redaktionen angebotene Themen konkurrieren miteinander und werden deswegen manchmal nach Bekanntheit aufgegriffen. Da hilft es, im Gespräch noch mal zu informieren und womöglich neue Ansätze aufzuzeigen. E-Mails gehen oft verloren. So werden auch relevante Themen übersehen. Vor allem bei zeitkritischen Inhalten auf einen Termin oder allein auf eine Mail zu setzen, hat kaum Aussicht auf Erfolg.
Nur dank unseres konsequenten Nachfassens haben wir es mit dem Wahl-O-Meter letztlich sogar bis in die „Tagesschau“ geschafft. Darum: Es lebe der Nachfass!
Autorin: Nadja Amireh ist Inhaberin der Agentur Wake up Communications.
Annika Schach appelliert: Bitte nur in Redaktionen anrufen, wenn es etwas Relevantes zu erzählen gibt!
Seit vielen Jahren betreue ich Studierende in unserem Studiengang Public Relations bei der Suche nach einem geeigneten Praxisphasen-Partner, vermittle Praktika und lese danach die Praxisphasen-Berichte – mit vielen ehrlichen Einsichten. Oft ermutige ich den Nachwuchs, eine Stelle in einer Agentur anzutreten, denn die Lernkurve ist dort besonders steil.
In der letzten Zeit fällt mir allerdings immer wieder auf, dass Praktikantinnen und Praktikanten zum Nachfass bei Redaktionen verpflichtet werden. Neulich las ich zum Beispiel: „Es war mir sehr unangenehm, einer Pressemitteilung hinterherzutelefonieren, denn die Journalistinnen und Journalisten haben doch immer so wenig Zeit.“
Gut aufgepasst in unserer Veranstaltung „Grundlagen der Presse- und Medienarbeit“, möchte ich beipflichten. Ich fühle mich bei derartigen Berichten in lange zurückliegende Zeiten versetzt. Denn ich war der Ansicht, dass Nachfassen heute nicht mehr gemacht wird. Gleichermaßen fühle ich mit den Redakteurinnen und Redakteuren in personell ausgedünnten Verlagen. Sie werden nicht nur auf diversen Kanälen belagert, sondern offenbar immer noch mit telefonischen Nachfass-Aktionen behelligt.
Ich möchte dabei klarstellen: Nachfassen, das ist das Hinterhertelefonieren nach einem unbeantworteten Kommunikationsversuch. Es geht nicht um das professionelle und erfolgreiche Anbieten von Themen und Geschichten bei handverlesenen Journalistinnen und Journalisten – aus meiner Sicht die hohe Kunst der PR.
Es geht auch nicht um den Aufbau rhetorischer Fähigkeiten seitens des Nachwuchses, den Wigan Salazar im PR Report Podcast beschrieben hat. Beides sind essenzielle Kompetenzen, die es zu erlernen gilt, die wertvoll sind, die Kommunikationsfachleute auszeichnen.
Daher sollte allen Menschen in der Kommunikationsbranche daran gelegen sein, dass Chancen zum persönlichen Gespräch bestehen bleiben, um Redaktionen mit guten Aufhängern und Geschichten zu erreichen. Wenn diese aber am Tag zehn Anrufe bekommen, ob diverse Pressemitteilungen angekommen seien, werden die Anschlüsse wohl öfter besetzt sein und die Möglichkeiten auf ein Durchkommen sinken.
Mit Sicherheit gibt es Praktis, die gerne zum Hörer greifen und ihnen unbekannte Menschen anrufen. Dann aber bitte mit einem sinnvollen Gesprächsanlass. Das kann aus meiner Sicht hauptsächlich eine Rückvergewisserung sein, wenn explizit eine Rückmeldung gefordert war – wie bei einer relevanten Veranstaltungseinladung.
Grundsätzlich gilt: Persönliche Gespräche sind fruchtbar. Public Relations leben, wie der Name schon sagt, von guten Beziehungen. Diese sollte man auch langfristig zu wichtigen Stakeholdern aufbauen. Das können aber in der Regel keine Praktikantinnen und Praktikanten, die nur wenige Monate in einer Agentur sind.
Wir sprechen dabei hauptsächlich von Agenturen. Denn ich höre selten, dass Pressestellen von Unternehmen einen Nachfass machen – vermutlich ist es ihnen ebenso unangenehm wie den Praktikantinnen und Praktikanten in der Agentur.
Wenn ich meinen Studierenden die Rückmeldung gebe, dass ich einen Nachfass ebenfalls als wenig zielführend erachte, kann ich die Erleichterung spüren. Und ihnen zugleich die Sorge nehmen, dass ihr Unwohlsein unberechtigt sei.
Wir arbeiten in unserem Studienschwerpunkt Sprache am guten schriftlichen und mündlichen Ausdruck, an Rhetorik und Argumentation, damit kommunikationsstarker Nachwuchs unsere Hochschule verlässt und gerne den Telefonhörer in die Hand nimmt – wenn es etwas Relevantes zu erzählen gibt.
Autorin: Annika Schach ist PR-Professorin an der Hochschule Hannover und Geschäftsführerin der Agentur Segmenta Futurista.