Warum das persönliche Gespräch so wichtig ist und wieso man in der Beratung trotz des Segens von Teams und Zoom die Extra-Meile gehen, fahren oder fliegen sollte. Ein Gast-Kommentar von Christian Stenzel.
Wäre die Balkon-Szene von Romeo und Julia auch als Zoom-Call im kollektiven Bewusstsein verankert? Der Gang nach Canossa als Teams-Meeting?
Ich frage, weil ich in der Quasi-Post-Corona-Zeit vor einer gewissen Bequemlichkeit warnen möchte. Natürlich ist es ökologisch wie ökonomisch Schwachsinn, weiterhin ganze Tage für kurze Follow-up-Termine zu reisen, nur um sich gegenseitig Powerpoint-Folien im Konferenzraum „Homburg“ zu zeigen.
Für diese Art Termine, die jeder kennt und niemand liebt, ist die Videokonferenz Glück und Segen der Kommunikationsbranche. Doch dieses Glück kann zum Grab werden, ehe man sich versieht. Wenn es um viel geht – machmal geht es für Kunden um alles – sollte es für Berater weiter absolut zwingend sein, sich auf den Weg zu machen. Wissenschaftler haben herausgefunden: Ein einsekündiger Händedruck schafft soviel Vertrautheit wie 20 Minuten Video-Call.
Ich bin fest überzeugt: Das Gespräch – und zwar das persönliche Gespräch – ist der Goldstandard der Kommunikation und wird es noch lange bleiben. Vielleicht für immer?
Es geht um Beistand. Tage großer Verkündungen sind Tage großer Anspannung. Ich verstehe jeden Unternehmer oder Kommunikationschef, der den Berater physisch neben sich und eben nicht in einem Zoom-Fenster wissen möchte, wenn gleich eine Firmenfusion verkündet werden soll.
Es geht um Sicherheit. Nehmen Sie den gesamten Bereich der Litigation-PR: Auch der unschuldigste Kunde wird sich am Telefon nicht ungezwungen äußern, wenn er befürchtet, dass eine (übereifrige) Justiz eine Telefonüberwachung angeordnet hat. Er wird nicht mehr daran denken, was er eigentlich sagen möchte, sondern nur daran, ob er vielleicht abgehört wird. Das Telefonat können sich beide sparen (die Justiz übrigens auch).
Es geht um Begeisterung und Begegnung. Wie will man langfristig ernsthaft die Interessen einer Gründerin vertreten, wenn man nie persönlich den magischen Optimismus in ihrem Start-up miterlebt hat? Kann ich wirklich verstehen, wie ein Unternehmer tickt, wenn ich nie mit ihm durch seine Fabrik geschlendert bin?
Europa ist so klein. Man kann mittags in Zürich sein und nachmittags schon mit dem Auto in München. Im schwer skalierbaren und hart umkämpften Bereich der Beratung wird wahrscheinlich nur bestehen, wer trotz des Segens der Videotelefonie die Extra-Meile geht, fährt oder fliegt.
Der Autor: Christian Stenzel (36) ist Co-Gründer von Storymachine New Classic in Berlin.
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