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19.08.2021   Karriere
Wenn der Kragen platzt
Warum der Abgang von Mirjam Berle beim DFB so viele bewegt hat und wieso PR-Profis in ihre persönliche Unabhängigkeit investieren sollten. Von Daniel Neuen, Chefredakteur PR Report
Normalerweise laufen Personalwechsel ja so ab: Zugänge werden euphorisch in den Rang von Halbgöttinnen und Halbgöttern elogiert, ­Abgänge entweder ganz verschwiegen, dezent versteckt (die Meldung steht zwar irgendwo auf der Website, die Agentur oder das Unternehmen hat aber „vergessen“, diese an die Medien zu schicken) oder mit den wohlklingendsten Floskeln verabschiedet.
 
Rausschmisse kommen fast nicht vor. Selten hat jemand die Nase voll. Die meisten gehen „im gegenseitigen Einvernehmen“ oder „auf eigenen Wunsch“, um sich wahlweise „neuen Herausforderungen zu stellen“ oder aus „familiären“ beziehungsweise „persönlichen“ Gründen. Was oft stimmen mag. Aber eben nicht immer. Und dann schweigen beide Seiten über die wahren Motive für die Trennung und manchen Verdruss, der sich angestaut hat. Zumindest öffentlich.
 
Einen Nerv getroffen
Umso bemerkenswerter war der Abgang von Mirjam Berle beim DFB. An einem Sonntag im Mai bestätigte sie ihr Ausscheiden mit einem Kragenplatzer-Post bei Linkedin, nachdem ihr Abschied an die Medien durchgestochen worden war: „Heute bin ich fassungslos … über eine weitere Indiskretion, eine von unzähligen der letzten Monate, eine, die einmal mehr zeigt, wie wenig es möglich ist, in einem solchen Umfeld Veränderung zu leben sowie Unternehmenskommunikation professionell anzugehen und umzusetzen.“
 
Der Eintrag machte schnell die Runde und bewegte die Branche. Etwa 1.000 Reaktionen und mehr als 200 Kommentare mit viel Zuspruch sammelten sich darunter. Offenbar traf Berle einen Nerv. Und womöglich sprach sie vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen aus der Seele, die schon einmal mit einem künstlichen Lächeln und der Faust in der Tasche abtreten mussten.
 
Berle selbst erklärt die große Resonanz im Interview in der aktuellen Ausgabe des PR Reports so: „In Social Media reden wir meist über die Dinge, die vermeintlich oder in Wirklichkeit super laufen. Es läuft im Leben aber nicht immer super. Manches geht schief oder belastet uns. Das ist menschlich und darüber kann man auch mal sprechen.“
 
Das „Fallback“-Konto
Gesprochen habe ich mit ihr auch über Unabhängigkeit. Im Kopf und auf dem Konto. So legt Berle seit Jahren Geld auf die Seite – für Zeiten, in denen es mal nicht super läuft. Es handelt sich obendrein um Geld, das zumindest ein wenig für Freiheit sorgt. Für die Freiheit, nicht alles mitmachen, sich nicht alles gefallen lassen zu müssen.
 
Ein solches Polster – Berle nennt es „Fallback“-Konto, weniger vornehme Menschen sprechen von „Fuck-you-Money“ – ist generell eine gute Investition in die persönliche Autonomie. Die muss man sich leisten können, aber für PR-Profis, vor allem jene in Leitungspositionen, ist sie vielleicht sogar eine besonders gewinnbringende Anlage. Dasselbe gilt übrigens für Agenturen.
 
Externe wie interne Berater müssen gesunde Distanz zum Arbeit- oder Auftraggeber halten und im Zweifel auch unangenehme Dinge sagen können. Sie brauchen eine gewisse Unabhängigkeit, um wirklich gut in ihrem Job zu sein. Und um Spaß zu haben. Eher weniger lustig dürfte es für jene werden, deren Umstände und Lebensstil sie dazu zwingen, Untragbares mitzutragen.
 
Durch das Interview mit Berle kam mir übrigens das Gespräch mit dem PR-Chef eines großen Unternehmens vor einigen Jahren in den Sinn. Ein Satz von damals, der auf die für Top-Kommunikationsprofis so immens wichtige, aber sich bei verändernden Machtverhältnissen auch gefährliche Nähe zum CEO anspielte, blieb mir besonders in Erinnerung: „Ob ich Mist gebaut habe oder nicht: In mein Gehalt ist eingepreist, dass jederzeit jemand in mein Büro kommen kann, um mich zu erschießen.“
 
Auch aus diesem Grund ist man also gut beraten, zumindest ein wenig vorzusorgen. Wenn man es kann.
 
Autor: Daniel Neuen, Chefredakteur PR Report
 
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