Was bringen die originellsten Tweets und coolsten Insta-Storys, wenn die Ministerin oder der CEO sie stoppt? Social-Media-Teams sind nur so gut wie ihre Chefinnen oder Chefs. Und die können toxisch sein. Eine Typologie von Gast-Autor Wolfgang Ainetter (Foto).
Wenn mir befreundete Kommunikationsprofis Vertrauliches aus den Chefetagen erzählen, bin ich immer wieder erstaunt, dass nur wenige Führungskräfte Digitalkompetenz haben. Es fallen Sätze wie: „Ich habe vorgestern etwas Spannendes in der Zeitung gelesen. Können Sie das auf allen unseren Kanälen twittern?“
Einige berichten von einem Klima der Angst: Bei Tweets oder Posts, die der Behörden- oder Unternehmensleitung missfallen, droht ein analoger Einlauf. Viele Spitzenpolitikerinnen und Top-Manager bestehen darauf, jeden noch so harmlosen Instagram- oder Facebook-Beitrag persönlich abzusegnen (als ob sie sonst nichts zu tun hätten). Womit wir bei Typ 1 der Albtraum-Bosse wären:
Typ1: Der Kontroll-Chef... umgibt sich mit Ja-Sagern. Vertrauen kommt in seinem Wortschatz nicht vor. Bevor etwas online geht, gibt es den ultimativen Chef-Check: Jeden Text, jedes Foto lässt er sich vorlegen. Selbst beim Retweeten muss man den Allmächtigen um Erlaubnis bitten. Das Social-Media-Team bekommt von oben vorgegeben, vorsichtig und zurückhaltend zu formulieren. Statt Kreativität ist kontrollierte Langeweile erwünscht. Wer widerspricht, wird rundgemacht.
Typ 2: Der Hierarchie-Chef... denkt wie ein Kaiser im Mittelalter: Welcher Untertan verdient eine Audienz bei mir? Neulich hat mir eine geschätzte Kollegin aus einem Ministerium ihr Leid geklagt. Die Freigabe eines Tweets dauert dort doppelt so lange wie der längste Nonstop-Flug der Welt (eine Airline benötigte für die Strecke New York-Sydney 19 Stunden und 16 Minuten). Die Kollegin spricht von einem Genehmigungsmarathon: Ein Social-Media-Manager formuliert einen Tweet (Schritt 1), schickt diesen (Schritt 2) an den Leiter des Pressereferats, der mailt das Ganze an den Leiter der Kommunikationsabteilung (Schritt 3), der wiederum bittet einen Staatssekretär, auf den Tweet zu schauen (Schritt 4). Der Staatssekretär sendet den Text weiter an die Ministerin oder den Minister (Schritt 5). Von da zurück zum Staatssekretär (Schritt 6), dann zum Leiter der Kommunikationsabteilung (Schritt 7). Schließlich darf der Tweet erscheinen (Schritt 8) – falls er noch aktuell sein sollte.
Typ 3: Der Zauder-Chef... lebt das Prinzip: Keine Entscheidung ist besser als eine falsche. Er lässt die wunderbarsten Social-Media-Kampagnen und Story-Ideen so lange auf seinem Schreibtisch liegen, bis sie wie eine Blume verwelken. Wenn seine Leute nachfragen, weicht er aus: „Erst mal abwarten.“
Typ 4: Der analoge Chef... liebt nichts mehr als Broschüren und Pressemitteilungen. Sein Standard-Satz: „Wenn wir noch Kapazitäten frei haben, können wir ja etwas posten.“ Für ihn ist Social Media kein Muss, sondern höchstens Nice-to-have. Statt Stellen für die digitale Kommunikation zu schaffen, bestellt er lieber neue Drucker.
Typ 5: Der Pseudo-Twitter-Chef... vertritt keine eigene Meinung. Auf seinen persönlichen Profilen postet nicht er, sondern das Social-Media-Team. Alle Beiträge wirken seelenlos und nicht authentisch – weil sie austauschbar und unpersönlich sind. Jeder Dialog mit den Nutzerinnen und Nutzern wird abgewürgt. Bekanntlich sind im Netz meist die erfolgreich, die nahbar und humorvoll sind. Wer sagt’s ihm?
Typ 6: Der Bauch-Chef... schaltet regelmäßig den Verstand aus. Seine Emotionen können zu unkontrollierten Social-Media-Detonationen führen. Nach einem hämischen Kommentar gegen seine Organisation oder seine Person verwandelt er sich in „Dirty Harry“: „Auf allen Kanälen wird zurückgeschossen! Jeder, der uns attackiert, wird geblockt!“ Sich selbst twittert er um Kopf und Kragen, wenn er – als „Unguided Missile“ – zu später Stunde Widersacher beschimpft. Für ihn gilt eine schmerzliche Weisheit der Börsen-Legende Warren Buffett: „Man braucht 20 Jahre, um sich einen Ruf zu erarbeiten. Und es braucht nur 5 Minuten, um ihn zu ruinieren.“
Typ 7: Der unerreichbare Chef... beamt sich in brenzligen Situationen einfach weg. Stellen Sie sich vor, Ihre Firma oder Behörde befindet sich im Auge eines Shitstorms – und Sie als Social-Media-Manager erreichen Ihren Chef nicht. Weil dieser mal wieder seit Stunden sein Handy ausgeschaltet hat. Sie übernehmen die alleinige Verantwortung, reagieren klug und besonnen auf die Kritik, schaffen es, die Empörungswelle zu stoppen. Am nächsten Tag ruft der Boss zurück: „War was?“
Typ 8: Der Chef mit den 1.000 Freunden... ist mit allen auf Du und Du – außer mit seinen Kommunikatoren. Das Social-Media-Team fürchtet seine täglichen Besuche. Denn jedes Mal nervt er mit neuen Freundschaftsdiensten: „Ich habe einem Kumpel versprochen, dass wir auf unseren Kanälen Werbung für ihn machen.“ Dass nach jedem stumpfsinnigen Gefälligkeits-Post Follower flüchten, ist ihm egal.
Typ 9: Der Baldrian-Chef... wäre so gerne Rockstar – doch wenn er die Bühne betritt, ist er einschläfernd wie das Sandmännchen. Seine monotone Stimme ist effizienter als Schäfchen zählen. Auf Fotos wirkt er so verloren wie ein Paket, das niemand abholt. Keines seiner Social-Videos erntet mehr als 12 Likes (die Hälfte davon kommt von den eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern). Als Chef ohne Charisma hat er einen Gähn-Defekt.
Und wie gelingt es, aus Albtraum-Bossen digital kompetente Traum-Chefs zu machen? Mit täglicher Überzeugungsarbeit. Mit gut aufbereiteten Daten, die den Erfolg in den sozialen Netzwerken dokumentieren. Und nicht zuletzt mit viel Gefühl: Die besten Online-Handwerker kennen nicht nur die Emotionen der Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch die ihrer Chefs.
Autor: Wolfgang Ainetter ist Leiter Presse und Kommunikation des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Er wird
das Ministerium demnächst verlassen. Dieser Gastbeitrag erschien zuerst
in der Ausgabe 5/2020 des PR Reports.
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