Der Graben zwischen PR und den Menschen
ComGap-Studie
Für Kommunikationsexperten ist oft schon eine Krise, was die Verbraucher lediglich als ein laues Lüftchen in der medialen Landschaft wahrnehmen, meint Thomas Helfrich, bei der Bayer AG für Social Media und Executive Support verantwortlich. Das ist nur ein Beispiel für die unterschiedliche Bewertung von Entwicklungen durch PR-Leute und Konsumenten. Wie groß diese Kluft genau ist, hat ein internationales Forscherteam der Universitäten Leipzig, Leeds, Amsterdam, Ljubljana und Madrid auf Initiative von Ketchum Pleon untersucht. Ein Augenmerk galt dabei der Social Media-Kommunikation. Die ComGap-Studie in Deutschland zeigt, dass für 44 Prozent der Bevölkerung auf diesen Kanälen Informationen zu Ereignissen oder Krisen eine bedeutsame Rolle spielen. Auf PR-Seite ist die Zahl deutlich höher: 77 Prozent der Profis halten die Informationen für besonders wichtig.
Für die Studie steuerten knapp 1350 Kommunikationsverantwortliche aus Deutschland, Österreich, Dänemark, Norwegen, Schweden, den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien Antworten bei. Ergänzt wurde ihre Sichtweise durch die Meinungen von mehr als 4000 Verbrauchern. Für Deutschland kam heraus, dass sich 49 Prozent der Menschen auf Social Media-Plattformen über neue und künftige Produkte und Services schlau machen. Für 47 Prozent ist Produktsicherheit ein wichtiges Thema. Ebenfalls fast jeder zweite Deutsche erwartet in den Social Media Informationen über Corporate Social Responsibility-Aktionen von Organisationen – deutlich mehr als in anderen europäischen Ländern. Eine grundlegende Tendenz in Sachen Social Media: Zwar erwarten beide Gruppen der Umfrageteilnehmer, dass Unternehmen in den sozialen Medien Dialogangebote machen. Aber die PR-Profis neigen dazu, den tatsächlichen Dialogbedarf der Adressaten zu überschätzen.
Die Studie zeigt, dass PR-Praktiker ihren Zielgruppen zunächst den Bedarf und das Potenzial jedes Kommunikationsansatzes untersuchen sollten. Eine Voraussetzung ist, sich mit den verschiedenen Social Media-Kanälen vertraut zu machen Joachim Klewes, Senior Partner von Ketchum Pleon und Studienautor, sieht in dem zwischen PR-Profis und Bevölkerung verlaufenden Graben eine der größten Herausforderungen für Unternehmen. Es gelte, sich genauer mit den wirklichen Präferenzen der Konsumenten auseinandersetzen und die Chancen sozialer Medien besser zu nutzen.
Herr Helfrich, woran kann es liegen, dass viele PR-Praktiker die Wichtigkeit von Kriseninfos im Netz im Vergleich zur Bevölkerung so sehr überschätzen?
In Krisen verdichtet sich unser Berufsalltag, da kommt alles auf die richtige Reaktion an. Im schlimmsten Fall kann sich die Zukunft einer Marke oder eines Unternehmens entscheiden. Deshalb ist es auch verständlich, dass PR-Profis in der Umfrage darauf ihren Akzent legen. In der Bevölkerung dagegen sind Krisen doch eher abstrakt, und durch die gestiegene Informationsflut werden manche erst gar nicht wahrgenommen. Wenn Sie das Wort Skandal in der Suchmaschine Google eingeben, kommen Sie auf über 50 Millionen Ergebnisse. Für den PR-Profi ist da die eigene Krise eine riesige Herausforderung, für den Nutzer dagegen oft nur ein Rauschen im Krisenwald.
Herr Klewes, immerhin ein Drittel der Deutschen gibt an, gern gemeinsam mit Unternehmen an Produkt- und Serviceverbesserungen zu arbeiten. Warum sollten Unternehmen das aufnehmen?
Eine Riesen-Chance. Ich verstehe nicht, dass nicht viel mehr Unternehmen versuchen, über Crowd Sourcing ihre Kunden an Produkt- oder Service-Entwicklungen beteiligen. Oder sie wenigstens in häufigen Kundenumfragen nach ihrer Meinung fragen. Dabei gibt es zahlreiche Instrumente dafür, das gesamte Know-how steht bereit. Der größte Vorteil: Kunden entwickeln besondere Loyalität zu einem Unternehmen, das sie ernst nimmt. Und es ist gar nicht schwer, eine Community aufzubauen, die gemeinsam mit den Spezialisten im Unternehmen über die Zukunft nachdenkt. Das sollten wir nutzen.