Warum Fränzi Kühne bei TLGG ausgestiegen ist und was sie jungen Agenturen in der Corona-Krise rät.
Rund ein halbes Jahr nach Ihrem Ausstieg bei TLGG sind Sie nun bei der Public-Affairs-Beratung 365 Sherpas als Beirätin eingestiegen. Können Sie nicht ohne die Agentur-Welt?Nicht wirklich. Das Wissen, das ich in zwölf Jahren TLGG sammeln durfte, möchte ich gern weitergeben. Zumal ich den Sherpas persönlich verbunden bin. Das Management-Team um Cornelius (Cornelius Winter ist Gründer der 365 Sherpas – Anm. d. Red.) ist nicht nur divers aufgestellt, sondern auch noch unglaublich sympathisch. Die Agentur macht viele Dinge anders als andere – genau wie ich selbst. Da bringe ich mich gern ein.
Bei welchen Themen brauchen eine Agentur für politische Kommunikation und deren Kunden Ihre Impulse am nötigsten? Bei den Themen, für die ich stehe: Digitalisierung, Vielfalt, Frauen in Führungspositionen – konkret heruntergebrochen auf die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden. Das wird sehr Hands-on, ich werde richtig mit in die Beratung gehen.
Vor anderthalb Jahren haben Sie im PR Report gesagt, dass es den deutschen Unternehmen zu gut gehe: alles sei schön bequem und gemütlich. Zugleich gebe es Angst vor Veränderung und eine Trägheit in allen Bereichen. Zwingt die Corona-Krise nun auch die Ängstlichen, Trägen und Bequemen zur Veränderung?Die Corona-Krise zwingt alle zur Veränderung. Wenn es etwas Positives an dieser Pandemie gibt, dann das: Die Krise hat vieles beschleunigt und bewiesen, dass erstaunlich viel möglich ist. Angefangen vom Homeoffice bis hin zu flexibleren Rahmenbedingungen von Arbeit insgesamt. Und viele Unternehmen haben angefangen, ihr Geschäftsmodell zu überdenken und anzupassen, um am Markt zu bleiben. Ich hoffe, dass sich möglichst viele Unternehmen diese Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und diesen inneren Zusammenhalt auch künftig bewahren.
Reizt es Sie in diesen herausfordernden Zeiten nicht besonders, TLGG und deren Kunden zu helfen? So denke ich nicht. Ich habe alles in gute Hände übergeben und meinen Ausstieg noch keinen einzigen Tag bereut.
Warum sind Sie ausgestiegen?Zum einen wiederholt sich nach rund zwölf Jahren vieles und zum anderen ist der TLGG-Weg der Internationalisierung zwar total richtig, aber nicht mein Antrieb und auch nicht meine Expertise. Das können andere besser.
Hängt der Zeitpunkt Ihres Ausstiegs mit dem Ende Ihrer Earnout-Periode nach dem Verkauf von TLGG an Omnicom zusammen?Nein. Die Earnout-Periode war lange vorher beendet.
In „Brand eins“ haben Sie zu Ihrem Ausstieg gesagt: „Im Unternehmen zu bleiben, ist gerade nicht mehr richtig, fast wie ein Ballast.“ Was hat so schwer auf Ihnen gelastet? Die Verantwortung für 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, für eine renommierte Agentur? Die Erwartungen von Omnicom?Die Größe der Agentur und die steigende Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich mit der Zeit entwickelt, daran gewöhnt man sich und im Tagesgeschäft habe ich diese Verantwortung nicht so stark wahrgenommen. Und Omnicom hat irgendwann gemerkt, dass es besser ist, wenn sie uns machen lassen. Das Wort „Ballast“ klingt jetzt auch so schwierig. Es war eher so, dass ich zunehmend das Gefühl hatte, dass außerhalb von TLGG auch noch andere Dinge auf mich warten. Darauf bin ich neugierig. Aber die Entscheidung, TLGG zu verlassen, die war sehr schwer.
Warum?Ich war lange wahnsinnig unsicher, ob ich gehen soll oder nicht. Sonst entscheide ich gern und schnell. Durch meine Coachin wurde mir klar, dass meine Unsicherheit daher kam, dass meine privaten und beruflichen Rollen so eng miteinander verknüpft waren. TLGG ist und bleibt mein Herz, das ist wie mein erstes Kind. Und ich hatte zum Beispiel das Gefühl, Christoph (Christoph Bornschein ist Mitgründer von TLGG – Anm. d. Red.) hängen zu lassen, wenn ich TLGG verlasse. Der ist nicht nur mein Geschäftspartner, sondern auch mein bester Freund und Patenonkel meiner kleinen Tochter. Wir haben jahrelang zusammengewohnt. Ich dachte: Wenn ich die Firma verlasse, verlasse ich auch ihn. Dann verstand ich: Das stimmt gar nicht. Meine Beziehung zu Christoph hängt nicht an TLGG.
Kann eine Gründerin oder ein Gründer erfolgreich sein, ohne der Firma und den Partnern ganz eng verbunden zu sein?Nein. Vor allem in den Anfangsjahren müssen sie ihre ganze Leidenschaft in die Firma stecken. Da muss alles andere zurückstehen. Sonst kann nichts Großes entstehen. Aber wenn man irgendwann ein Team aufgebaut hat und Verantwortung abgibt, kann man auch wieder anderen Leidenschaften folgen, was dann auch wiederum eine Bereicherung für die Arbeit sein kann. Alles eine Frage der Organisation. Bei mir hat sich das mit den langen Arbeitstagen erst geändert, als ich meine Tochter bekommen habe. Die Verantwortung, die ich zu Hause habe, hat meinen Blick auf die Arbeit verändert. Ab dem Moment habe ich Job und Privatleben klar getrennt und meinen Alltag so organisiert, dass ich eine normale Fünftagewoche hatte.
Was würden Sie jungen Agentur-Gründerinnen und -Gründern raten?Eine Nische zu besetzen und mit dieser Spezialisierung in die Breite zu wachsen, ist sicher ein guter Weg. Außerdem muss das Gründerteam gut harmonieren, sich aber auch streiten können. Eine diverse Aufstellung ist dabei wichtig, damit unterschiedliche Perspektiven eingebracht und zugelassen werden können.
Was raten Sie Agentur-Gründerinnen und -Gründern in der Corona-Krise?Positiv bleiben, anders denken und den Kunden Chancen aufzeigen. Ich glaube, dass viele Kunden derzeit eher als sonst bereit sind, neue Konzepte und neue Ideen auszuprobieren.
Eigentlich wollten Sie nach Ihrem TLGG-Ausstieg auf Weltreise gehen. Dann kam Corona. Wie haben Sie die Pandemie erlebt? Ich muss zugeben, dass ich mich emotional mit dieser Veränderung nicht leicht getan habe, obwohl ich Veränderung seit vielen Jahren predige. Corona war der totale Stopper: Ich war fast nur noch zu Hause, habe aufgeräumt und ausgemistet. Zugleich war ich sauer: Auf einmal befanden sich alle in diesem Stillstand, den ich gerade erst als Zwischenzustand für mich ganz persönlich geschaffen hatte. Es sollte ja nicht gleich die ganze Welt stillstehen, sondern nur ich, während alles andere normal weiterläuft.
Bei Ihrem Ausstieg haben Sie betont, dass offen sei, was Sie künftig machen. Haben Sie inzwischen konkretere Pläne?Nein, da ich immer noch hoffe, irgendwann eine Weltreise mit meiner Familie zu machen. 2020 werde ich eher nichts Festes machen. Ich habe meine Aufsichtsrats- und Beiratsmandate. Und ich werde ein Buch über die Gender-Debatte schreiben. Dazu möchte ich aber noch nicht allzu viel verraten.
Per E-Mail sind Sie weiter über Ihre TLGG-Adresse erreichbar. Können Sie sich eine Rückkehr vorstellen?Die E-Mail-Adresse habe ich mir auf Lebenszeit gesichert. Das war mir sehr wichtig, weil ich TLGG so stark verbunden bin. Für die Zukunft kann ich nichts ausschließen, aber das tue ich generell nicht.
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Tipp: Dieses Interview stammt
aus dem PR Report 4/2020. Im vergangenen Jahr haben wir noch ausführlicher mit Fränzi Kühne gesprochen: Wofür Anzugträger sich bei ihr entschuldigen, wieso sie sich bei einem früheren FBI-Experten Tipps holt
und warum es in der Agentur ein großes Drama gab, als sie schwanger wurde.