Please wait...
News / "Es darf nie passieren, dass wir hyperventilieren"
Patrick Kammerer (Foto: Jan Zappner)
23.12.2019   Menschen
"Es darf nie passieren, dass wir hyperventilieren"
Patrick Kammerer, PR-Chef von Coca-Cola und Kommunikator des Jahres, über Haltung, Konflikte, Robert Habeck und Reisen auf russische Pazifik-Inseln.
Bei den PR Report Awards 2019 wurde Patrick Kammerer als „Kommunikator des Jahres“ ausgezeichnet. Aus diesem Anlass haben wir mit ihm ein ausführliches Strategie-Gespräch geführt.


PR Report: Muss jedes Unternehmen „Haltung“ zeigen, braucht jedes Unternehmen einen „Purpose“?
Patrick Kammerer: Ich meine, ein großes, global tätiges Unternehmen braucht eine Verortung jenseits der Finanzkennzahlen. Die Marktforschung zeigt, dass Konsumenten ihre Kaufentscheidungen zunehmend nicht nur nach Qualität und Nutzen von Produkten und Dienstleistungen treffen, sondern auch die Corporate Brand dahinter bewerten. Und wenn Unternehmen die Werte, auf denen ihre Angebote basieren, sichtbar machen wollen, müssen sie Gesicht und Haltung zeigen. Auch die weltweit mehr als 700.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wünschen sich von Coca-Cola eine wertebasierte Verwurzelung. Und zwar keine saisonal behauptete, sondern eine kontinuierlich gelebte. 
 
In einem zunehmend polarisierten Deutschland und in einer globalisierten Welt denken Menschen teilweise sehr gegensätzlich über bestimmte Themen: Wie werden Marken zwischen den Polen nicht zerrissen?
Indem sie sich auf die fundamentalsten, auf die universell gültigen Werte fokussieren. Kampagnen, die sich beispielsweise für die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, für den Respekt vor religiöser Orientierung oder für gleichgeschlechtliche Partnerschaften einsetzen, mögen in dem ein oder anderen Land auf Widerstand stoßen. Sie bleiben aber richtig – auch wenn Coca-Cola dann Strafe für ein Plakat zahlen muss, das homosexuelle Paare zeigt. Das Eintreten für universelle Werte kann sich nicht nach Landesgrenzen richten. Unternehmen müssen raus aus der Harmoniefalle: „Everybody’s darling is everybody’s depp.“ Allen gefallen zu wollen, wird Marken nicht mehr wachsen lassen.
 
Sie sind auch sonst jemand, der offensiv Position bezieht, etwa gegen manche NGOs und manche Journalisten. Machen Kommunikatoren das zu wenig?
Neulich hat Sascha Pallenberg von Daimler bei uns vorbeigeschaut. Klasse Kerl, der sich auch nicht scheut, Position zu beziehen. Sein wichtigster Rat im Umgang mit Angriffen war: immer sachlich und freundlich bleiben. Das deckt sich mit unseren Erfahrungen. Es darf nie passieren, dass wir hyperventilieren. Das wäre für ein börsennotiertes Unternehmen viel zu gefährlich. Aber sollte sich der Gesprächspartner in der öffentlichen Diskussion keinen Millimeter bewegen und sein Ton immer weiter entgleisen, ist es völlig in Ordnung, klar Position zu beziehen und sich damit auch Feinde zu machen. Showkämpfe beispielsweise, bei denen Gegner und Ringrichter dieselbe Person sind, machen wir nicht mit.
 
War die Pressekonferenz von Foodwatch im April 2018 anlässlich der Vorstellung des sogenannten „Coca-Cola-Reports“, in dem die Organisation Ihr Unternehmen massiv kritisiert hat, ein solcher Showkampf? Der Einladung zur Pressekonferenz sind Sie nicht gefolgt.
Wir sind immer offen für eine konstruktive Diskussion. Wirklich! Nach unserer Erfahrung der letzten Jahre geht es Foodwatch aber nicht um einen lösungsorientierten Dialog. Die Einladung zur Pressekonferenz war in Wahrheit eine Vorladung an den von Foodwatch aufgestellten Pranger. Vier Leute auf der Bühne. Drei von Foodwatch. Und ein Stuhl für uns. Deshalb sind wir nicht hingegangen. Wir haben aber unsere eigene Kommunikation gemacht, haben parallel viele TV-Interviews gegeben und unsere Argumente in breiter Pressearbeit, über Social Media und in unserem Online-Magazin erklärt.
 
Kommunizieren die PR-Profis von NGOs besser als die PR-Profis von Unternehmen?
Nein, sie haben nur einen viel leichteren Job. Attacke ist einfacher als Verteidigung. Erst recht in einer Welt, die mehr und mehr durch kleine digitale Snippets geprägt ist. Einige NGOs sind Skandalisierungsprofis, die Feindbilder aufbauen und pflegen, um ihre Mitglieder zu mobilisieren. Das klappt mit plakativen Hauptsätzen ziemlich gut. Vor allem über Social Media. Wir Kommunikatoren bei Unternehmen müssen deshalb noch konziser und präziser argumentieren. Es wird nicht mehr reichen, auf eine zugespitzte Frage zu antworten: „Das ist komplex, dafür muss ich weiter ausholen ...“ Dass an dieser Anforderung selbst erfahrene Profis scheitern können, haben wir etwa an Robert Habeck gesehen.
 
Sie haben auf dem Kommunikationskongress 2016 einen Vortrag mit dem Titel „Die Macht der Wenigen“ gehalten. Sie meinten damit die Macht von NGOs, öffentliche Debatten und Regierungshandeln zu beeinflussen. Wie sieht die Machtbalance zwischen NGOs und Unternehmen heute aus?
Unverändert. Grundsätzlich haben NGOs in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle: Sie sind Innovatoren, Impuls- und Taktgeber, damit sich Dinge zum Besseren wenden. Für uns gibt es in der Auseinandersetzung mit ihnen aber eine Demarkationslinie: Geht es wirklich um die Lösung eines tatsächlichen Problems oder ist die Veränderung eines erklärten Missstands weniger wichtig als die öffentliche Aufmerksamkeit dafür und für die NGO selbst, um Spenden zu akquirieren? Denn Aufmerksamkeit bedeutet Cash. Falls Letzteres zutrifft, spreche ich lieber von Kampagnenorganisationen. Und in der Auseinandersetzung mit Kampagnenorganisationen ist es für Kommunikatoren wichtig, auf Augenhöhe in die Debatte gehen zu können. Das heißt auch: Wir müssen die Fakten und die Wirklichkeit aus eigener Anschauung kennen. Das geht nicht, wenn wir nur am Schreibtisch sitzen.
 
Was meinen Sie konkret?
Ein Beispiel: Im Sommer 2005 bin ich auf die russische Insel Sachalin im Nordpazifik gereist, wo Shell als Teil eines internationalen Konsortiums an einem großen Öl- und Gasförderprojekt gearbeitet hat. Einige NGOs, darunter Greenpeace Deutschland, warfen dem Unternehmen vor, mit dem Projekt die Umwelt zu gefährden, während der Sommermonate Lachse in den Flüssen und die Grauwale im Meer zu bedrohen und die indigenen Einwohner über den Tisch gezogen zu haben. Ich habe mir das selbst angesehen, mich vor Ort mit Umweltschützern und Vertretern der Ureinwohner getroffen und mit meiner eigenen Kamera Bilder gemacht. Mit diesem Wissen konnte ich anders etwa mit den deutschen Campaignern von Greenpeace sprechen. Ich konnte nicht zuletzt bekräftigen, welche Sorgen das Konsortium anerkennt. So sollte die Pipeline im Meer zum Schutz der Grauwale anders verlegt werden als geplant. Auf der Insel waren inzwischen auch mehrere Vorschläge zum Schutz der Flussläufe erfolgreich umgesetzt. Meine Bilder, wenige Tage alt, konnten das beweisen. In der geplanten NGO-Kampagne an der Hamburger Großen Elbstraße, 8.000 Kilometer entfernt vom russischen Korsakow, wurde die Wirklichkeit auf Sachalin aber noch anders dargestellt. Mein Eindruck war: Die waren selber nie dort oder jedenfalls lange nicht mehr. Letztlich gab es in Deutschland keine Grauwal-Kampagne von Greenpeace. Ein Kommunikator hat eine andere Überzeugungskraft, wenn er selbst gesehen hat, worüber er spricht.


Tipp: Bei diesem Interview handelt es sich um einen Auszug aus einem ausführlichen Strategie-Gespräch mit Kammerer in unserer aktuellen Ausgabe. Darin ging es nicht nur um Haltung und klare Kante, sondern auch um einen ganz besonderen Tweet und um die Rolle von Kommunikation als Navigations-Gerät und Bullshit-Detektor. Außerdem erklärt Kammerer, warum Coca-Cola "eine Art Mikrojournalismus" betreibt.

Magazin & Werkstatt