„Der heutige Investigativjournalist ist aggressiver“
Medienrechtler Stefan Engels über Journalismus und PR Medienanwalt Dr. Stefan Engels über Skandalisierungstendenzen in den Medien, die Reaktion der Unternehmen darauf und die Mittlerrolle von Juristen. Sein Rat: Medien sollten wieder häufiger versuchen, ihr Publikum durch nachhaltige und hintergründige Berichterstattung zu finden. Interview: Bijan Peymani
Herr Engels, wie würden Sie aus Ihrer Erfahrung heraus das derzeitige Verhältnis zwischen Unternehmen und Journalisten beschreiben? Was hat sich hier im Vergleich zu früheren Jahren verändert?
Früher haben insbesondere Wirtschaftsjournalisten Unternehmen eher positiv und langfristig redaktionell begleitet, geprägt durch inhaltliche Erläuterungen. Heutzutage steht oft eine skandalisierende Betrachtung im Vordergrund, die sich regelmäßig auf einzelne Teilbereiche des unternehmerischen Handelns oder Einzelfälle fokussiert. Dabei wird der – bedauerliche – Einzelfall gerne zu der vermeintlichen Regel hochstilisiert oder eben skandalisiert. Sicher spielt hier auch die schwierige Lage von Journalisten und Produktionsfirmen mit hinein: Sender und Verlage verlangen Auflagen- und Quotenbringer. Da kann es schon passieren, dass die Geschichte nicht ganz fair und ausgewogen ausfällt.
Schlampige Recherchen, Zeitnot und Erwartungsdruck gab es im Journalismus immer schon. Was aber bewirkt die auch in Deutschland mittlerweile etablierte, neue Kultur der Whistleblower?
Das ist für die Unternehmen eine Herausforderung. Es suchen ja nicht nur Insider den Weg über die Medien, sondern etwa auch Gewerkschaften oder Staatsanwaltschaften. Da werden von früheren Mitarbeitern, Mandats- oder Amtsträgern Unternehmensinterna durchgesteckt. Es geht aber auch darum, statt auf eine strafrechtliche Verurteilung auf die – viel schnellere und effektivere – Verurteilung eines Verdächtigen durch die Öffentlichkeit zu setzen. Oder im Vorfeld einer Auseinandersetzung mit dem Unternehmen öffentlich Druck aufzubauen. Das wissen Unternehmen und Entscheider, sie wissen auch um die Auswirkungen. Daher sind sie heute auch eher und früher bereit – oder genötigt –, anwaltliche Unterstützung zu nutzen.
Welchen Einfluss hat das Aufkommen immer neuer Formate mit Investigativanspruch auf den Alltag einer Kommunikationsabteilung? Herrscht täglich Alarmstimmung?
Davon kann längst keine Rede mehr sein, schließlich hat jeder schon die eine oder andere Krise bewältigt. Und die Kommunikationsabteilungen haben reagiert, sich insbesondere personell entsprechend aufgestellt und sind heute vorsichtiger im Umgang mit Journalisten. Die Vereinbarung von bestimmten Rahmenbedingungen für einen Dreh oder ein Interview wird für die Kommunikatoren wichtiger. Auch Vorstände absolvieren Kameratrainings und sogar Mitarbeiter erkennen schneller versteckte Kameras – deren Einsatz sie im TV gesehen haben. Man versucht also, sich zu wappnen und gleichzeitig gute und vertrauensvolle Beziehungen zu Journalisten zu pflegen.
Was unterscheidet denn die klassischen Investigativjournalisten von jenen moderner Prägung? Lassen sich letztere heute von einem anderen Ethos, anderen Motiven leiten?
Der Investigativjournalist von heute nutzt für die Recherche, aber auch für seine gestufte Kommunikation sämtliche modernen Medien. Er ist regelmäßig aggressiver – im Vorgehen und im Ton. Immer häufiger ist ihm die Geschichte – auch aus Ressourcen-Gründen – wichtiger als die Richtigkeit beziehungsweise die Berechtigung der Vorwürfe. Und das wiederum führt dazu, dass Kommunikationsabteilungen sich wappnen und Vertrauen verloren geht. Namen werden Sie von mir nicht hören. Da investigativer Journalismus eine Institution sein sollte, will ich keine Persönlichkeiten eigens benennen.
Welche Mittel lassen sich Investigativjournalisten entgegensetzen? Und wer kann dabei unterstützen? Herrscht in dieser Auseinandersetzung überhaupt noch Waffengleichheit?
Nein, schon wegen der Drohung von Journalisten mit Öffentlichkeit nicht. Waffengleichheit herrscht auch deshalb nicht, weil der Schaden, den eine Berichterstattung anrichten kann, selbst durch eine juristische Aufarbeitung oft nicht vollständig wieder gut zu machen ist. Gerade deshalb müssen Unternehmen sich zur Wehr setzen, wenn sie falsch dargestellt oder mit rechtswidriger Recherche unter Vortäuschung falscher Tatsachen regelrecht ausgespäht werden beziehungsweise werden sollen. Zu häufig haben wir es erlebt, dass Unternehmen, die sich aus Angst, „verbrannte Erde“ zu hinterlassen, nicht gewehrt haben, immer wieder zum Ziel wurden. Anwaltliche Unterstützung wird zunehmend wichtig – etwa bereits im Vorfeld einer Berichterstattung in Form von sachlichen Gesprächen mit den Juristen des betreffenden Medienunternehmens.
Wie reagieren die Redaktionen, wenn da von außen jemand so hineingrätscht und ihnen gar noch das Folterbesteck zeigt? Welche Konsequenzen lassen sich daraus ziehen?
Gute Investigativjournalisten kennen die Spielregeln und gehen mit Abwehrmaßnahmen der Unternehmen professionell um. Gerade im Vorfeld von Berichterstattung sind sie bereit und klug genug, von gewissen Zuspitzungen oder etwa der Verwendung rechtswidrig erstellten Materials Abstand zu nehmen. Gerade bei letzterem sind die Justiziare in den Medienhäusern aufmerksam, sie kennen die Grenzen zulässiger Recherche. Aber natürlich stehen sie auch hinter den Redaktionen und versuchen, diese vor überzogenen oder grundlosen Angriffen zu schützen. Wenn man es als Angreifer übertreibt und wegen banaler Nebensächlichkeiten aus vollen Rohren schießt, kann das leicht nach hinten losgehen. Unsere Maxime lautet: Wer sich professionell verhält, wird auch professionell behandelt. Das gilt für Journalisten und Juristen.
Juristische Tipps für den Umgang mit Undercover-Recherche
Recherche ist die unabdingbare Grundlage von Berichterstattung. Doch weder die Freiheit der Meinungsäußerung noch die Pressefreiheit schützen die rechtswidrige Beschaffung von Informationen. Deren publizistische Verwertung kann jedoch unter Umständen zulässig sein. Unternehmen, die begründet annehmen müssen, dass sie Ziel einer verdeckten Recherche (geworden) sind, sollten möglichst schon vor der zu erwartenden Veröffentlichung aktiv werden, rät die Hamburger Kanzlei Bird & Bird.
Zeit gewinnen: Häufig stellen Journalisten umfangreiche Fragen zu komplexen Sachverhalten mit kurzen Antwortfristen. Eine fundierte interne Klärung ist mit solch engen Deadlines unvereinbar, Antworten nur innerhalb angemessener Frist zu erwarten. Bis dahin muss Berichterstattung unterbleiben, will das Medium eine Verletzung seiner journalistischen Sorgfaltspflicht vermeiden. Abläufe nutzen: Sender und Verlage haben juristische Workflows eingerichtet. Sobald ein Unternehmen Fachanwälte einschaltet, die berechtigte Belange, aber auch Bedenken hinsichtlich der Recherchemethoden kommunizieren, wird sich die medieninterne Rechtsabteilung vor Veröffentlichung mit der Sache befassen – und auf die jeweilige Redaktion einwirken. Transparenz herstellen: Berichterstattung wird dann rechtlich angreifbar und kann verhindert werden, wenn die relevanten und richtigen Tatsachen bekannt sind, seitens des Mediums gleichwohl unterschlagen werden (sollen). Es ist daher empfehlenswert, dass das betroffene Unternehmen möglichst viele Fakten möglichst frühzeitig zur Verfügung stellen, um verkürzte oder einseitige Berichterstattung zu erschweren, wenn nicht unmöglich zu machen. Nach erfolgter Veröffentlichung bleibt hinsichtlich Inhalt oder Art und Weise, wie ein Beitrag erstellt wurde, das klassische juristische Instrumentarium. Das Spektrum reicht von der Unterlassung und Gegendarstellung über die Folgenbeseitigung (etwa in Form einer Richtigstellung) bis hin zur Forderung nach Schadensersatz. Ziel muss es insbesondere sein, die Reputation des Unternehmens wiederherzustellen und für die Zukunft die Grundlage für eine faire Berichterstattung zu schaffen.