Programmatic Planning, Data-driven campaigning, Predictive Targeting. Die Online-Marketing-Messe Dmexco 2014 stand ganz im Zeichen von Big – und Smart – Data. War in den letzten Jahren noch Social Media in aller Munde, musste man dieses Jahr schon mit der Lupe danach suchen. Zu übermächtig waren die Performance-getriebenen Angebote, die darauf abzielen, das Individuum passgenau zu tracken und anzusprechen. PR-Agenturen schienen sich von diesen Themen jedoch wenig motiviert zu fühlen.
"Agency Lounge" ohne PR-Player...Ohne Papier geht auch auf der größten deutschen Messe für Online-Marketing nichts. Wer sein Ticket nicht ausgedruckt hat, muss draußen bleiben, bzw. anstehen. Dabei war "BIG" doch angesagt: Noch größer (60.000 qm/3 Messehallen), noch mehr Aussteller (800), noch mehr Besucher (32.000) – die Dmexco lebt vom Überfluss. Dennoch – oder gerade deswegen – war der Anreiz für die Kommunikationsbranche gering, sich dort sehen zu lassen. Zu stark scheint die Übermacht der Mediaagenturen, der Vermarkter, der Technology-Firmen. PR-Agenturen in der "Agency Lounge"? Fehlanzeige.
Woran liegt das? An den Themen auf dem Kongress sicher nicht. "The future of advertising", "Innovating the way brands are built" oder "Building brands in the digital world" sollten sehr wohl geeignet sein, Berater und Kreative nach Köln zu lotsen. Oder wird die Relevanz nicht erkannt? Für den Kreativchef einer Düsseldorfer Agentur gab es auf der Messe "nichts zu sehen, was ich nicht schon kannte. Und alles andere hat für meine Arbeit keine Bedeutung". Deutlich wurde diese Einstellung bei den Podiumsteilnehmern. Unternehmen neben Vermarktern neben Mediaagenturen neben Plattformen wie Facebook, Google, Tumblr und AOL sowie den Vertretern der "alten Medien".
Die Diskussionen darüber, wie Journalismus revolutioniert (Buzzfeed, Huffington Post) oder bewahrt (Axel Springer, Süddeutsche, FAZ, Handelsblatt) werden kann, schienen die PR'ler bereits zu oft gehört zu haben. Dabei sind es gerade Themen wie "Native Ads" und "Branded Content", die in den letzten Wochen und Monaten für Gesprächsstoff gesorgt haben. Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti beispielsweise berichtete begeistert davon, wie eng die Plattform mit Agenturen zusammenarbeitet, um gebrandete Inhalte zu erstellen und zu verbreiten.
"Maschinen verteilen den digitalen Content"Für Gunnar Brune, Inhaber Tricolore Marketing, ist die Abwesenheit von PR-Agenturen "erschreckend". Dabei wäre die Dmexco gerade für die Kommunikationsbranche eine relevante Messe. Doch die Agenturen strafen sie mit Nicht-Erscheinen und lassen andere auf der Party tanzen: "Der Trend von 2013 hat sich fortgesetzt: Maschinen verteilen den digitalen Content an die Zielgruppe, Algorithmen treten im Netz an die Stelle von Storytelling, der KPI ist die neue PR."
Den einen oder anderen Big Player verschlug es dennoch auf die Messe: "Wir müssen uns gerade als Agentur mit den digitalen Kommunikationstrends auseinandersetzen", beschreibt Susanne Liedtke, Senior Strategist bei achtung, das Engagement. "Dazu zählt auch der Austausch mit neuen und bestehenden Partnern über Tools und Services für Monitoring, SEO und Bewegtbild." Allgemeiner Tenor der wenigen Branchenvertreter: Mehr Touchpoints dürfen nicht dazu führen, Budgets noch weiter aufzuteilen.
Die Aussagen der Podiumsdiskussion "Break down silos for brands" spielt den Agenturen in die Karten: Damian Burns, Director of Global Strategic Partnerships bei Google betonte, dass Unternehmen die Innovatoren in den Agenturen definieren und mit ihnen Seite an Seite an der Markenführung arbeiten müsse. Real-Time Story-Telling würde für PR-Agenturen existenziell. Dazu brauche es aber das Know-how, die richtigen Tools auszuwählen und zu nutzen. Schließlich lebe man zunehmend in einer "Software-driven world".
"Next big thing"?Wer nach Neuigkeiten Ausschau hielt, wurde jedoch meist enttäuscht. Zumindest das "Next big thing" war nicht zu finden. Google versuchte es mit Räumen, in denen die Google-Produkte in den täglichen Lebensablauf eingebettet waren. Andere mit halbnackten Hostessen im Dirndl-Look oder halbnackten Männern im Wrestling-Dress. PayPal dagegen holte ein fast vergessenes und dennoch umso aktuelleres Thema auf die Messe: Mobile Payment. Spätestens seitdem Apple am Dienstag sein neues Bezahlsystem eingeführt hat, steht dieses ganz oben auf der "next things"-Liste. Und so präsentierte die ebay-Tochter auf der Dmexco seine "Selling Machine" inklusive Mobile-App, mit der man mittels Smartphone Süßigkeiten und Getränke bezahlen kann.
"Die Deutschen lieben Bargeld", kommentiert Sabrina Winter, frisch gebackene PR-Chefin von PayPal, die kommunikativen Herausforderungen ans Mobile Payment. "Um sie dazu zu bringen, künftig das Portemonnaie daheim zu lassen und mit dem Smartphone zu bezahlen, muss Kommunikation ganz klar die Vorteile des mobilen Bezahlens vermitteln. Darüber hinaus ist es wichtig, an allen Ecken und Enden auf Aufklärung zu setzen. Der Markt für mobiles Bezahlen steht noch relativ am Anfang, Kommunikation muss deshalb einfach und verständlich vermitteln, wie mobiles Bezahlen konkret funktioniert."
Player Netflix und Buzzfeed bieten Agenturen künftig SpielfelderDie "typisch deutsche Haltung gegenüber der Freigabe von Daten" verlangt also weiterhin nach intensivem Agenda Setting und Aufklärung. Für Agenturen gilt es, diese Lücke in der Zukunft zu füllen. Viel entscheidender dürfte jedoch die Frage sein, welche Themen nächstes Jahr die Dmexco – und damit den Markt – dominieren werden. Nach Aussagen einiger Besucher und Podiumsteilnehmer werden 2015 Plattformen wie Netflix und Buzzfeed eine relevante Rolle spielen, die Agenturen Kooperationen und kreative Spielfelder zur Verfügung stellen.
Um Agenturen den Mehrwert der Messe zu kommunizieren, bedarf es allerdings wohl noch jeder Menge Überzeugungsarbeit. Dabei wird es dringend Zeit. Ansonsten passiert das, wovor eine PR-Beraterin deutlichst warnte: "Wir dürfen den Performance-Anbietern nicht das Feld überlassen."
Autor:
Markus Mayr war unter anderem Kommunikationschef der Agenturgruppe Scholz & Friends, bevor er sich kürzlich unter dem Namen
Mayr PR Consulting in die Selbstständigkeit wagte.