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22.05.2014   News
Angriff auf die Markenindustrie
 
Lebensmittelhandel Um sich aus der Umklammerung der Hersteller zu lösen und die eigene Klientel enger an sich zu binden, bauen Deutschlands Händler ihre Eigenmarken-Range massiv aus. In der Industrie schrillen die Alarmglocken, Trümpfe wie Innovationskraft oder Qualitätsführerschaft stechen beim Verbraucher nur noch selten. Der Showdown am Regal ist eröffnet. Von Bijan Peymani

Da hatte Edeka-Chef Markus Mosa aber ein mächtiges Fass aufgemacht. Immer größer werde die Preiskluft zwischen Marken und Private Labels, keilte er Mitte Mai in Richtung Industrie, die sich zudem als viel zu innovationsscheu erweise. Die fortschreitende Konzentration unter den Lieferanten bewirke im Übrigen, dass dem Handel in manchen Produktgruppen nur noch zwei Regalalternativen blieben. Edekas Geduld ist aufgebraucht. Jetzt gilt die Losung: mehr Eigenproduktion, mehr Eigenmarken. Mosa: „Wir gehen Kategorie für Kategorie durch.“

So unvermittelt die Attacke des größten deutschen Lebensmittelhändlers auf die Phalanx der Markenhersteller manchem erschienen sein mag, so wenig überrascht die Strategie dahinter. Seit geraumer Zeit bauen Edeka, Aldi, Lidl & Co. ihre Private-Label-Portfolios aus, um sich von der Industrie unabhängig zu machen und ihr Eigenprofil zu schärfen. Was zunächst eher für Preiseinstieg und Mittelpreislage galt, bricht sich zunehmend im Premiumsegment Bahn. Diese Mehrwert-Eigenmarken haben für die Industrie dabei das größte Bedrohungspotenzial.

Schon heute können die Verbraucher in punkto Qualität und Anmutung den von der Industrie kommunizierten Abstand zwischen Marke und Private Label nicht mehr nachvollziehen. Auf Basis des 2014 zum sechsten Mal erstellten „Handelsmarkenmonitors“ – eine Auftragsstudie der Hamburger Marktforscher von Metrixlab für die Lebensmittelzeitung – sehen 88 Prozent der Befragten die Händler-Labels auf Augenhöhe mit den Markenartikeln. In Sachen Qualität schneiden demnach die Eigengewächse von Edeka, Rewe und Aldi Süd besonders gut ab.

Beim Marktführer dient der Name „Edeka“ zugleich als Marke und Absender. Zuletzt wurden seit Herbst 2013 Obst und Gemüse gelabelt – in dem Segment sind namhafte Markierungen bisher Mangelware. Sukzessive soll auch die Convenience-Range eingemeindet werden. Den Anfang machen Fertigsalate, Schnellgerichte, Gemüsekonserven – eine Strategie, die Rewe-Discounter Penny mit der jungen Brand „to go“ bereits fährt. Im Detail will sich Edeka weder zum eigenen Haus noch zur Discount-Tochter Netto („wettbewerbssensible Daten“) äußern.

Auch Aldi Süd will zu Absatz, Umsatz oder Strategien keine Auskunft geben. Mit Brands wie „Tandil“ (Waschmittel), „Auerbach“ (Sekt) oder „Grandessa“ (Eis) sei es jedoch möglich, die „Qualität besser zu steuern, zu kontrollieren und zu günstigen Preisen anzubieten“, bekräftigt Sprecherin Kirsten Geß. In der Private-Label-Range finden sich zudem Bio- und Fairtrade-zertifizierte Produkte sowie solche zur bewussten Ernährung („be light“). Studien zeigen, dass Aldi Süd sein Profil als Preisführer mit dem Ausbau der Eigenmarken nochmals geschärft hat.


Eigenmarken-Vorreiter: Aldi Nord
Ähnliches gilt für die Schwester Aldi Nord mit Sitz in Essen. Mit einem Standardsortiment von ungefähr 950 Artikeln bietet das Unternehmen nach eigenen Angaben „das bei Weitem konzentrierteste Angebot in der gesamten Handelslandschaft“. Mit Kreationen wie „Château“, „Biocura“, „Markus Kaffee“ oder „Nusskati“ verfolgt Aldi Nord seit je her eine konsequente Eigenmarkenpolitik. Längst ist das Unternehmen auch auf den Bio- und Öko-Zug aufgesprungen. Allein unter der Marke „Gut Bio“ sind aktuell rund 40 Produkte im Sortiment zu haben.

Im Herbst 2013, neun Monaten nach Mitbewerber Lidl, startete die Schwester Aldi Süd ihr eigenes Kapselsystem „Expressi“ und lieferte die passenden Kaffeeautomaten gleich dazu. Anders als Lidl handelt es sich um ein geschlossenes System – um Kompabilitätsprobleme zu vermeiden, wie sie Lidl mit seiner Kapselmarke „Bellarom“ lange plagten. Mit dem Schritt gelang es Aldi Süd, den Kaffeekapselmarkt zu demokratisieren. Schätzungen zufolge hat der Discounter in den ersten drei Monaten seit Verkaufsstart über 300.000 Maschinen abgesetzt.

Um Kunden stärker an sich zu binden, betritt Aldi Süd für sich neue Pfade: Facebook-User konnten zuletzt erstmals über den Look einer Sonderedition der „Kokett“-Taschentücher abstimmen. Das Ergebnis liegt ab Juni in den Filialen. Weil aber die Eigenmarkenstrategie gerade in jüngeren Zielgruppen nicht immer verfängt, listet Aldi Süd regelmäßig ausgewählte Markenartikel ein. Waren es in den beiden Vorjahren etwa Coca-Cola und Nivea, so kommt nun mit Blend-a-med erstmals eine Marke von Procter & Gamble in die Regale. Weitere dürften folgen.

Um das eigene Preisimage nicht zu gefährden, bietet der Discounter die namhaften Produkte wiederholt als Aktionsware an – eine Strategie, mit der Lidl erfolgreich operiert. Hierzulande umfasst das Sortiment rund 1.600 Artikel. Sprecherin Eva Groß beziffert das Verhältnis von Eigen- zu Herstellermarken für ihr Haus auf 70 zu 30. Zu ersteren zählen etwa „Freeway“ (Softdrinks) oder „Fischerstolz“, aber auch „W5“ (Haushaltsreiniger) und „Esmara“ (Textil). 2009 hat Lidl in Bayern die heute national präsente Brand „Ein gutes Stück Heimat“ lanciert.

„Seit Januar 2014 besitzen diese Produkte eine verlässliche Kennzeichnung ihrer regionalen Herkunft und erfüllen damit den Verbraucherwunsch nach mehr Transparenz“, erklärt Groß. Und wird darin durch den aktuellen „Handelsmarkenmonitor“ bestätigt: Mehr als drei Viertel der Befragten wünschen sich mehr Eigenmarken, die in ihrer Region produziert werden. Und zunehmend erwarten sie auch, dass Ihnen die Händler eigene Angebote im Premiumbereich unterbreiten. Die Branche spricht in diesem Zusammenhang von Mehrwert-Eigenmarken.


Wachstum im oberen Preissegment
Und diese bauen ihren Marktanteil stetig aus. Während Premiummarken der Hersteller 2013 laut GfK Consumerscan nur noch auf 9,5 (2007: 9,9) Prozent kamen und Marktführer bei 19,1 Prozent verharrten, konnten die Mehrwert-Eigenmarken des Handels von 9,2 Prozent im Jahr 2007 auf 12,9 Prozent in 2013 zulegen. Mit Brands wie „Gourmet“ (Aldi), „Deluxe“ (Lidl), „Selection“ (Edeka) oder „Feine Welt“ (Rewe) gelinge es (sogar Discountern), kaufkräftige Zielgruppen zu erreichen, analysiert Günter Lewald, Chef der Kölner Agenturgruppe B+D.

„Volumen steht hier zunächst nicht im Vordergrund, sondern der Qualitätsbeweis schlechthin, also eine Imagefrage, die auch auf den Preiseinstiegsbereich abstrahlt“, erklärt Lewald. Der Handel wolle noch mehr selbst zur Marke, sprich zu der „zentralen Orientierungsgröße“ für die Verbraucher werden. Laut Lewald ist er – alarmierend für die Markenhersteller – damit auf dem Weg, sich zum eigentlichen Markenpartner der Konsumenten aufzubauen. Und er kann mit den Private Labels den größeren Teil des Wertschöpfungspotentials für sich nutzen.

Die Bedeutung des Eigenmarken wächst rasant, 2013 stieg ihr Anteil am Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels laut Nielsen auf fast 41 Prozent. Anders ausgedrückt: Vier von zehn Euro wurden in der Branche mit Handelsmarken erlöst. Am geringsten ist die Durchdringung bisher noch im Drogeriemarkt. Das wird nicht so bleiben, wie das Beispiel der vor allem im Großraum Hamburg aktiven Kette Budnikowsky zeigt. Nach der aus Wettbewerbsgründen zum 31. März beendeten Kooperation mit dem Branchenriesen „dm“ musste die Nummer vier im Markt nach Ersatz vor allem für „Balea“ suchen.

Kurzerhand kreierte Budnikowsky gut ein halbes Dutzend Eigenmarken für die verschiedenen Warengruppen, von „Budni Care“ über „Budni fem“ und „Budni kids“ bis zur Naturkosmetik-Brand „Aliqua“. Doch der drittgrößte Drogist im Land, Müller, zeigt der Industrie so richtig, was eine Harke ist. Mit einem Kompaktdeo fahren die Ulmer gerade dem Unilever-Konzern in die Parade. Der hatte vor Monaten mit einem zuvor bereits in England mit Erfolg lancierten „Compressed Deo“ hierzulande die größte Innovation im Deo-Markt seit 40 Jahren avisiert.

Seit April stehen Deos der Marken „Rexona“, „Dove“ und „Duschdas“ in den Müller-Regalen – und daneben ein Me-too des Händlers aus seiner „Aveo“-Linie. Dank des gegenüber Müller erheblich höheren Werbedrucks nehme der Verbraucher das eigene Unternehmen dennoch als First Mover wahr, trösten sich die Unilever-Verantwortlichen. Es sei aber „richtig, dass der Handel das Geschäft mit den Eigenmarken über das gesamte Preispiano deutlich ausgebaut hat. Immer mehr also treten die Eigenmarken in Konkurrenz mit Markenprodukten“, sagt Unilever auf Nachfrage. Im Stammhaus in der Hamburger Hafencity geht man davon aus, dass diese Entwicklung „mit Sicherheit weiter anhalten wird“. Erschwerend komme hinzu, dass der Handel zur Differenzierung im Wettbewerb stärker als vorher auf Markenbindung setze. Unilever ärgert, dass die Hersteller von Eigenmarken „häufig Innovationen nur übernehmen und adaptieren“. Auch die Wachstumstreiber einzelner Kategorien seien „nach wie vor im Wesentlichen Markenprodukte. Diese Stärken müssen Markenhersteller zukünftig noch deutlicher ausspielen“, ermahnt Unilever die Industrie.

Umso mehr, als viele Markenartikler auch aufgrund der deutschen Handelsstrukturen „existenziell abhängig von einigen wenigen Handelspartnern“ seien, wie es B+D-Chef Lewald formuliert. Die veränderte Rolle und das wachsende Selbstbewusstsein der Händler bescherten ihnen „in Verbindung mit dieser Abhängigkeit Margenverluste, die noch dadurch verstärkt werden, dass der Handel den Herstellern die kostenintensiven Felder Entwicklung/Forschung und klassische Kommunikation überlässt“. Tatsächlich hat die Markenindustrie laut Lebensmittelzeitung mit Kreation, Listung, Distribution, Handzettel- sowie Endverbraucher-Werbung bereits fünf Kostenblöcke zu finanzieren, bevor ein neues Produkt im Regal steht.


Henkel sieht keine Gefahr
Den Rahm aber schöpfen dann die Händler mit ihren Eigengewächsen ab. Wohl dem, der in seinem Segment auf einen vergleichsweise schwachen Gegner trifft – wie der Düsseldorfer Henkel-Konzern. „Der Private-Label-Anteil im Bereich Wasch-, Putz- und Reinigungsmittel ist in Deutschland mit etwa 27 Prozent deutlich geringer als in anderen Warengruppen schnell drehender Konsumgüter“, betont Stephan Füsti-Molnár, verantwortlich für Henkels deutsches Wasch- und Reinigungsmittelgeschäft. Er nimmt die neue Handelsmarkenmacht gelassen.

Sein Haus begegne dem Treiben mit Innovationen, hoher Produktqualität und vermutlich noch höherem Werbedruck. Tapfer intoniert die Industrie die immer gleiche Strophe: Wir punkten mit Leistung, Kreativität und Markenhistorie. Beispiel Nestlé: Der Schweizer Multi inszeniert sich derzeit mit einem TV-Spot als Wohltäter und Welternährer. Es ist Nestlés erste Corporate-Kampagne in der fast 150-jährigen Firmengeschichte. „Wer Innovationen sucht, wird sie nur beim Markenhersteller finden“, sagt Chefkommunikator Hartmut Gahmann selbstbewusst.


Händler werben für eigene Marken
Nun ja, da dürfte nicht nur Edeka-Boss Mosa widersprechen. In Summe, räumt Gahmann ein, könnten die Handelsmarken ihren Marktanteil ausbauen und gewännen diesen von B- und C-Marken. Gahmann: „Betroffen sind also weniger die großen, teilweise weltweit distribuierten Marken, die der Shopper aktiv im Regal sucht, als vielmehr Produkte, die über den Preis verkauft werden und weder ein Alleinstellungsmerkmal haben, noch einen besonderen Nutzen bieten.“ Umso mehr müssen er und Kollegen die Luxuslabels des Handels fürchten.

„Einige Händler beginnen, ihre Eigenmarken im Premiumbereich emotional aufzuladen und reichweitenstark zu bewerben“, notiert Rainer Lührs, Geschäftsführer Marketing, Forschung und Entwicklung bei Dr. Oetker in Bielefeld. Sein Unternehmen beobachte die Vorgänge sehr genau. „Letztlich sind Handelsmarken aber als Wettbewerber wie alle anderen Angebote zu betrachten, sofern sie aus Sicht der Verbraucher vergleichbar sind“, betont Lührs. Der Handel tendiere allerdings dazu, die Eigenprodukte in der Platzierung zu bevorteilen.

Dadurch würden die Wettbewerbsverhältnisse verzerrt, kritisiert Lührs und räumt ein, dies stelle „eine neue Situation und Herausforderung für Dr. Oetker dar, die aber nicht bedrohlich ist, solange die Behandlung am Verkaufspunkt fair und transparent bleibt“. Sein Wort in der Händler Ohren. Aus Sicht von Experte Lewald sollte die Industrie darauf nicht hoffen: „Im Vordergrund muss die Beweisführung der eigenen Qualität und von differenzierungskräftigen Nutzendimensionen stehen.“ Das allein sichere heute aber noch nicht die Zukunft.

Dauerhaft erfolgreich könne die Industrie nur sein, wenn sie glaubwürdig agiere. Vorrangigste Aufgabe müsse sein, die Agenda der öffentlichen Meinung mitzugestalten. „Leider haben die Markenartikel in den vergangenen Jahren die Hoheit über die Wahrnehmung ihrer Leistungen verloren“, moniert der Agenturchef und schiebt nach: „Werbung wird daran nichts ändern. Gefragt sind Inhalte, gefragt ist die offensive Information der und die Diskussion mit den Verbrauchern – jede Menge PR-Aufgaben!“ Der Showdown am Regal ist eröffnet.
 

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