Pharma sucht Vertrauen
PR-Therapien für Medikamentenhersteller Während sich viele Patienten bereits selbst Diagnosen googeln und Kliniken beginnen, sich als Marke zu positionieren, sind der Kommunikation von Pharmaunternehmen enge Grenzen gesteckt. Doch auch innerhalb derer lauern Chancen. Von Uwe Förster
Finanzierung der Krankenversicherung, Strukturen in der stationären Versorgung, Pflegenotstand und so weiter – Gesundheitspolitik ist ein mühsames Geschäft. An Facharztterminen und Herstellerrabatten haben sich CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen abgearbeitet. Doch Otto Normalpatient wird sich wohl auch in dieser Legislaturperiode nicht des Eindrucks der Flickschusterei erwehren können. Denn gewöhnlich geben sich sämtliche Akteure auf dem Gesundheitsmarkt mit den Zuständen demonstrativ unzufrieden. Für diesen Chor der Hadernden bleibt Politkommunikation eines der zentralen Aktionsfelder. Public-Affairs-Arbeit steckt oftmals sogar dort drin, wo man sie zunächst nicht vermutet.
Der Produktbewertungsprozess
Der Weg eines neuen Medikaments auf den Markt ist weit. Jahre vergehen, bis der entdeckte Wirkstoff schließlich den Behörden zur Zulassung präsentiert werden kann. Mit Inkrafttreten des Arzneimittelneuordnungsgesetzes (AMNOG) Anfang 2011 ist den Pharmaunternehmen eine weitere Hürde entstanden. Seither dürfen sie nur ein Jahr lang den von ihnen festgelegten Preis für ihr neues Produkt erheben. Unmittelbar nach dem Produktlaunch prüfen das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) und der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (G-BA) dessen Nutzen. Je nachdem, inwieweit das Medikament einen Zusatznutzen gegenüber Wirkstoffen in Vergleichsprodukten erfüllt, fallen die anschließenden Preisverhandlungen mit den Kassen aus.
Während die Zulassung eines Medikaments ein von öffentlicher Kommunikation weitgehend freies Verfahren ist, hat sich der PR-Bedarf durch die Nutzenbewertung deutlich erhöht. Davon profitieren Agenturen, die die Kommunikation mit den relevanten Stakeholdern unterstützen. Sie umfasst laut Martin Flörkemeier, Managing Director bei Edelman in Frankfurt, ein breites Spektrum, das von der strategischen Kommunikationsberatung über Stakeholder-Engagement bis hin zur Entwicklung von Szenarien für jeden einzelnen Markstein im Rahmen des Bewertungsverfahrens reicht. Edelman hatte Astra-Zeneca während des allerersten Nutzenbewertungsverfahrens unterstützt. Für viele Kunden indes seien diese Prozesse noch neu und interne Abläufe nicht eingespielt, sagt Flörkemeier. „Die Bewertung möglicher Szenarien über die unterschiedlichen beteiligten Fachabteilungen kann zum Teil sehr unterschiedlich ausfallen, ebenso die Bewertung der Kommunikationsstrategie. Das ist oft sehr diskussionsintensiv.“
Susanne Isgro bestätigt die Probleme auf Unternehmensseite, die auf die Unsicherheit über den Verlauf und den Ausgang des Prozesses und die damit verbundenen Konsequenzen für das Präparat zurückzuführen sind. Ungewissheit besteht aber nicht nur innerhalb der Pharmakonzerne. Zu den Aufgaben der externen Kommunikation zählt nach Aussage der Geschäftsführerin von Isgro Gesundheitskommunikation, Ärzten durch kontinuierliche Kommunikation Regressängste und Zweifel in Bezug auf das Verschreibungsverhalten zu nehmen. Sie geht von einer stark steigenden Nachfrage in diesem Bereich aus. Grund: „Gegebenenfalls werden bald weitere Kriterien, zum Beispiel der patientenorientierte Nutzen, in die Evaluation eines Präparates einbezogen. Auch eine Ausweitung der Nutzenbewertung auf Medizinprodukte wird diskutiert“, sagt Isgro. Es könne bis zu zwei Jahre dauern, einen Preis für ein innovatives Präparat festzusetzen. Die Kommunikation müsse schon weit vor dem Launch greifen.
Auf Zwangsrabatte für ihre Arzneien und wachsende Konkurrenz durch günstige Nachahmerprodukte antworten Pharma-unternehmen unter anderem mit Kostensenkungsprogrammen. Mit dieser Strategie kommen Krankenhäuser in Deutschland jedoch nicht weiter. Die jüngsten Äußerungen der Gesundheitspolitiker Jens Spahn (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) lassen keinen Zweifel an der weiterhin schwierigen Situation vieler Krankenhäuser und des Marktes insgesamt.
Brandingstrategien für Kliniken
Die Schließung weiterer Kliniken oder zumindest von Abteilungen ist den Politikern zufolge absehbar. Aus dem Krankenhaus Rating Report 2013 des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) geht hervor, dass 27 Prozent der rund 2.000 Krankenhäuser die Pleite droht.
Effizienz ist seit Einführung der Fallpauschalen zu einem entscheidenden Überlebensfaktor geworden, ein weiterer das erfolgreiche Werben um Patienten. Dass Letzteres eine erfolgreiche Markenpositionierung voraussetzt, ist allerdings noch nicht in allen Krankenhäusern angekommen. „Die vergangenen beiden Jahrzehnte waren für deutsche Krankenhäuser eher von holzschnittartigen betriebswirtschaftlichen Instrumentarien geprägt“, erläutert Holger Steudemann, Geschäftsführer der Berliner Agentur WOK, „primär ging es um Kostensenkung oder um Erlössteigerung“. Kommunikation und Reputation hätten Klinikmanager bislang nicht als substanzielle Erfolgsfaktoren in die Planung einbezogen. Das ändert sich allmählich, obwohl es nach Ansicht Steudemanns für den Part der Markenpositionierung im Klinikmanagement derzeit noch viel zu wenige Profis gebe.
Guido Mecklenbeck, Geschäftsführer der Vendus Sales & Communication Group, unterscheidet dabei zwei Brandingansätze: Zum einen Krankenhäuser, die sich aufgrund ihrer medizinischen Kompetenz ihre Reputation erwerben. Dazu zählt er die Berliner Charité, das Herzzentrum Bad Oeynhausen und die Endo-Klinik Hamburg. Zum anderen solche, die im Sinne klassischer Markenpositionierung ein positives Image aufbauen. Auf Basis einer solchen Gesamt-Kommunikationsstrategie seien etwa die Kliniken Essen-Mitte ans Ziel gekommen. Dieser quasi globale Positionierungsansatz habe allerdings einen Nachteil, sagt Mecklenbeck: „Die Messbarkeit, was genau die Investitionen für die Belegung der Abteilungen bringt, fehlt.“ Die problematische Erfolgsmessung ist ein Grund, warum Markenführung auf den Agendalisten vieler Krankenhäuser bislang eher hinten rangiert. Keine zehn Prozent würden mit dem Thema professionell umgehen, schätzt der Vendus-Chef. Demgegenüber erleichtere es der Branding-Ansatz, fachabteilungsspezifisch Kommunikation zu betreiben und zu messen. Das hat zugleich Bedeutung für den Marketingmix. Je nachdem, wo eine Klinik ihre Schwerpunkte setzt, investiert sie verstärkt in „produkt“-spezifische Kommunikation, statt das Gießkannenprinzip anzuwenden.
Fragt man nach den Zielgruppen der Markenkommunikation, stehen die Ärzte als Zuweiser an oberster Stelle, weil Kliniken normalerweise Angebote in der Grund- und Regelversorgung vorhalten. Patienten sind im Fokus, wenn es um Wahlleistungen geht. Für Patienten sei nicht nur das Image des Hauses und der Fachabteilung wichtig, auch die Positionierung der tragenden Ärzte spiele eine Rolle, erläutert Mecklenbeck. „Das Image eines Herzzentrums Bad Oeynhausen beispielsweise ist über einen Reiner Körfer entstanden und nicht über den Namen und das tolle Logo der Klinik.“ Von der einstigen Galionsfigur, Chefarzt für Thorax-und Kardiovaskularchirurgie, würde das Herz- und Diabeteszentrum noch heute profitieren.
Wie mehr und mehr Kliniken operieren nach Beobachtung Flörkemeiers auch zahlreiche Pharmaunternehmen aktuell verstärkt an der Unternehmensmarke. Hier wie dort geht es dabei zugleich darum, Vorurteile ab- und Vertrauen aufzubauen, weil viele Bundesbürger Konzernen, medizinischen Einrichtungen und Ärzten zunehmend kritisch gegenüberstehen. Ihr Informationsbedürfnis stillen die Patienten im Internet.
Consumer-orientierte Digitalisierung
So mancher mündige, aufgeklärte, informierte Patient verzichtet dank Google & Co. bisweilen gar auf einen Arztbesuch und versucht sich stattdessen als Selbstheiler. Nicht von ungefähr wartet ein Gesundheitsportal wie Netdoktor.de nach eigenen Angaben mit 2,69 Millionen Unique Usern pro Monat auf. Mehr als eine halbe Million medizinische Internetseiten soll es allein in Deutschland geben. Für Übergewicht, Diabetes, Allergien – im Grunde für so ziemlich alles – existieren Gesundheits-Apps; 15.000 dieser Applikationen zählte der IT-Branchenverband Bitkom 2011.
Zugleich wächst die Bedeutung von User-Generated-Content. Beiträge und Erfahrungsberichte Dritter würden als besonders glaubwürdig wahrgenommen, ergab eine Gesundheitsstudie von MSL. „Daher können Communities und Foren zu speziellen Gesundheitsthemen mögliche Wege für Hersteller von Medikamenten und Medizinprodukten sein, um ihre Zielgruppen zu erreichen, mit ihnen in Dialog zu treten oder ihnen gar die Möglichkeit zur Partizipation zu bieten“, findet Susanne Ayen, Senior Consultant in der Frankfurter Agenturniederlassung. Und 3K-Chefin Ruth Bastuck ergänzt: „Mit der Digitalisierung ist ein zusätzlicher Kommunikationskanal hinzugekommen, den es gilt, mit dem richtigen Content, in der richtigen Sprache und unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu bedienen.“
Diese Rahmenbedingungen sind es allerdings, weshalb der Hype des Online-Dialogs mit (potenziellen) Kunden, speziell via Social Media, auf dem Gesundheitsmarkt weniger vorangeschritten ist als in anderen Branchen. Die Risiken, gegen gesetzliche Vorschriften wie das Heilmittelwerbegesetz (HWG), das Arzneimittelgesetz oder das Gesetz gegen den unerlaubten Wettbewerb zu verstoßen, erfordern einen hohen Aufwand.
Demgegenüber intensiviert sich der Austausch der Fachleute, etwa von Seiten der Pharmakonzerne in Richtung Ärzte. Dazu gehören E-Learning-, Relationship- und Service-Plattformen. Kommunikationsexperten sind hier als Content-Lieferanten gefragt. In Sachen Patientenkommunikation bleibt die Pharmaindustrie trotz einiger Erleichterungen durch die HWG-Novelle 2012 zwar vorerst bei ihrer vorsichtigen Haltung. „Unsere Erfahrung zeigt aber, dass es trotz der unklaren Rechtslage Potenziale gibt, digitaler, glaubwürdiger und dialogischer zu agieren“, ist sich Ayen sicher. „Dabei reichen die Möglichkeiten weit über die einseitige Kommunikation mittels Webseiten und Bannering hinaus. Es darf nicht über den Wirkstoff an sich kommuniziert werden – ein Dialog über das Leben mit spezifischen Indikationen ist aber möglich.“
Die Prognosen für die Zukunft gehen weit über nützliche Services hinaus, wie sie heute etwa eine Rückenschule-App von Ratiopharm darstellt. Etwa zum Stichwort Therapietreue. „Das Involvement des Patienten entscheidet letztendlich über den Erfolg der Therapie, insbesondere bei chronischen Erkrankungen“, legt Isgro dar. „Damit rückt er mehr und mehr auch im verschreibungspflichtigen Bereich in den Fokus der Pharmaunternehmen.“ Aufgrund der hohen Relevanz von Adhärenz für den Therapieerfolg blickt Bastuck voraus: „Vor dem Hintergrund hoher Prävalenzzahlen und des heute im Alltag weitverbreiteten Online-Zugriffs werden die digitalen Kanäle eine herausragende Rolle spielen.“ Das kann in digitale Programme münden, die dem Patienten das Management seiner Krankheit ermöglichen. Und auch für diese Begleitprogramme muss Content her – noch jenseits individualisierter Erinnerungs-Apps für die Medikamenteneinnahme.