Von Jahr zu Jahr
Veränderung ist die einzige Konstante
Vor zwölf Monaten war Weltuntergang. Besser gesagt: hätte sein sollen. Der 21. Dezember 2012 galt dem Maya-Kalender zufolge als das Ende der Menschheit.
Irgendwie ist es dann doch anders gekommen. Wäre ja auch schade gewesen, wenn wir die Steueraffäre des Uli Hoeneß verpasst hätten. Nie hätten wir von den Praktiken der NSA erfahren. Auch nicht von der Kostenstruktur im Bistum Limburg. Kießling hätte in Hoffenheim kein Phantomtor erzielt, und – oho – Twitter wäre nicht an die Börse gegangen. Das Jahr 2013 hätte es nie gegeben. Hätte, hätte, Fahrradkette… Ach ja, die Geschichte gab es ja auch noch.
Seien wir also froh, dass 2013 doch noch stattgefunden hat und nunmehr geschafft ist. Aber was kommt jetzt? Bleibt das ohnmächtige Gefühl einer rasenden Welt, die von Krise zu Krise taumelt?
In diesen Zeiten, in denen niemand mehr die Welt sicher zu deuten weiß, ist es eine beliebte Übung geworden, die Anfangsjahre des 21. Jahrhunderts mit denen des 20. zu vergleichen. Elektrisches Licht, Telegraphie, Städtebau im großen Stil, Autos und Dampfschiffe, Industrialisierung, Globalisierung: Von diesen und von anderen technologischen und sozialen Umwälzungen, die gerade erst stattgefunden hatten, waren die Menschen vor 100 Jahren nicht nur fasziniert – sondern vor allem auch verunsichert.
Wer zu viel nachdenkt...
Nach nur wenigen unbeschwerten Sommern nahm das 20. Jahrhundert dann seinen fatalen Verlauf. In spätestens sechs Monaten werden wir unausweichlich daran erinnert, wenn die Medien rund um den 28. Juni 2014 das Thema „100 Jahre erster Weltkrieg“ auf die Agenda setzen werden.
Die Herausforderungen des noch jungen 21. Jahrhunderts sind abstrakter und zum Glück weniger existenziell, jedenfalls für den, der aus dem gepanzerten Fenster eines ordentlich klimatisierten Büroturms der nördlichen Hemisphäre in die Welt hinaus blickt. Es ist ein Klagen auf hohem Niveau. Und dennoch: Kommunikation in Wirtschaft und Gesellschaft zu gestalten, scheint für die amtierende Generation von Managern, die in der herrlich übersichtlichen Welt der Siebziger und Achtziger aufwuchs und in den unbeschwerten Neunzigern erwachsen wurde, momentan so schwierig zu sein wie nie.
Wer zu viel nachdenkt (und das liegt Kommunikatoren und Journalisten nun mal im Blut), hangelt sich schon seit geraumer Zeit von Jahr zu Jahr mit einem unguten Gefühl der Ohnmacht: Eingesponnen von den Problemchen der arbeitsteiligen Jobwelt, atemlos und doch gefühlt zu langsam für das Tempo der Veränderungen, versuchen wir, die Dinge doch irgendwie zu gestalten und dabei „vor dem Prozess“ zu bleiben. Immerfort reden wir über irgendwas oder tippen irgendwas irgendwo ein, und doch bleiben wir meist sprachlos gegenüber den wirklich „großen“ Themen, die uns orkanartig anwehen und umkreisen. Wir teilen unendlich viel Information, aber wir schaffen wenig gemeinsames Wissen. Wir beklagen programmatischen Stillstand und inhaltliche Leere der Diskurse, aber wir verstehen auch nicht wirklich, wie wir das ändern könnten, was wir dem entgegen setzen sollten. Wir machen Pläne und malen Strategiepapiere, aber das nächste globalgalaktische Ereignis, der nächste Zusammenhang, der ans Tageslicht kommt, wirft alles wieder über den Haufen.
Epochen der Verunsicherung
Vor 100 Jahren ging es den Leuten keineswegs besser. Malerei und Lyrik des Expressionismus zum Beispiel sind heute wunderbare Zeugnisse einer Epoche der Verunsicherung. Was in der „modernen“ Welt geschah, war den Menschen, die diese Welt ja selbst so entwickelt hatten, zu schnell geworden, zu gefährlich, zu unübersichtlich. Nicht nur Künstler und Intellektuelle hegten Gefühle der Ohnmacht gegenüber einer schon mal monströs anmutendenen Welt, einer Welt, die nicht mehr zu begreifen war.
Auch die Welt von heute ist nicht zu verstehen. Und in zwölf Monaten, Ende 2014, wird es nicht anders sein. Geben wir nicht auf und versuchen wir weiter unser Bestes. Von Jahr zu Jahr.
Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket in Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.