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News / Die bedrohte Fehlerkultur
Sebastian Vesper
21.10.2013   News
Die bedrohte Fehlerkultur
 
Wie soll man aus Pannen lernen, wenn immer alle Welt zusieht und feixt?
Scheitern auf mehr oder weniger offener Bühne: Wer von uns hat das noch nicht erlebt? Fehler sind nicht nur dazu da, dass man aus ihnen lernt. Sie härten auch ab, sie stählen uns fürs raue Berufsleben. Wer in seiner Karriere eine hinreichende Zahl an Schüssen in den Ofen abfeuern durfte, ohne dabei andere zu beschädigen oder selbst gleich jede Jobperspektive zu verlieren, darf sich glücklich schätzen. Ich zum Beispiel erinnere mich durchaus an den einen oder anderen fulminanten Fauxpas. Als Praktikant beim RTL-Regionalprogramm Schleswig-Holstein rannte ich beim Außendreh tumb ins Bild, als eine Flugzeuglandung gefilmt werden sollte, um anschließend auch noch die Tonspur zu ruinieren. Bei einem meiner ersten Auftritte als Moderator in der PR-Szene – der Saal der Bundespressekonferenz in Berlin war zum Bersten gefüllt – verlor ich grandios den Überblick und sprach die Diskutanten auf dem viel zu dicht besetzten Podium mit falschen Namen an. Als Leiter eines Blockseminars schlug ich mal mit vier Stunden Verspätung an der Universität Ilmenau auf, weil ich schlichtweg verpeilt hatte, dass mein Fiat Uno auf dem Weg nach Thüringen zweieinhalb Mittelgebirge überwinden musste und in den damals noch „neuen“ Bundesländern praktisch keine Umgehungsstraßen existierten. Und als frisch gebackener Editorial Director von Haymarket versagte ich vor Jahren beim nächtlichen Noteinsatz für ein Magazin aus einem mir völlig fremden Fachbereich, als ich, ohne es zu merken, einen Artikel für ein und derselbe Ausgabe zweimal in Druck gab – in beiden Versionen jeweils liebevoll vom Scheitel bis zur Sohle durchredigiert und mit sorgfältig komponierten Überschriften, Vorspännen und Bildern dekoriert.


Häme der Besserwisser
Die Gnade der frühen Geburt: Es gab damals noch keine Shitstorms. Wir durften scheitern. Und wir taten es.

Wer hingegen heute „was mit Medien“ macht, ist deutlich schlechter dran: Fehler fallen sofort auf. Nehmen wir als Beispiel jene 18 Lenze zählende Praktikantin von Radio Energy Nürnberg, die vor kurzem auf eine Satire der Website der-postillon.com hereinfiel: Das Mädchen fragte höflich bei den Postillon-Spaßvögeln an, ob sie mit dem auf der Website genannten Rekord-Temposünder (angeblich „42 mal geblitzt in unter zwei Stunden“, kicher!) ein Interview führen könne. Die Mail der bedauernswerten jungen Dame fand natürlich ihren Weg zu Facebook, und natürlich ergoss sich über das Provinzradio, das die Praktikantin allein auf die Welt losgelassen hatte, umgehend die Häme der Besserwisser und Vielkommentierer im Netz, die selbst auch so gern „was mit Medien“ machen würden, aber in Wahrheit sehr viel Zeit zum Surfen haben. Lustig war’s. Für fast alle.


Tischfeuerwerk für die Meute
Was mit Medien, mit Werbung, mit Kommunikation zu machen – jungen Menschen sollte die grausame Realität dieser Berufe eigentlich längst bekannt sein. Aber warum Ingenieur werden und im geschützten Labor mit echten Starkstromkreisen Kurzschlüsse produzieren, um wirklich weiterzukommen, wenn man auch, für alle sichtbar, mit Tischfeuerwerk spielen kann: im gleißenden Scheinwerferlicht einer sich selbst bespiegelnden, nach immer neuen Sensationen japsenden Medienmeute. In Echtzeit kann jeder jedem bei der Arbeit zusehen, das macht Spaß, und viele Meinungen und Bewertungen, tausende Freunde und Likes werden schon das richtige Bild ergeben, in Summe.
Was aber macht das mit dem, was man Fehlerkultur nennt? Wer sich entwickeln soll, wer als Medien- und Kommunikationsprofi Erfahrungen sammeln will, der muss auch mal scheitern dürfen – und daran wachsen. Insofern hat die Praktikantenschwemme in den Medien vielleicht auch ihr Gutes. In PR-Apparaten hingegen gibt es noch immer die schizophrene Tradition, Anfänger hinter Kompetenzkaskaden und Befugnissystemen für den Außenkontakt einzumauern, sie aber intern die Grundlagenarbeit machen zu lassen. So können sie keinen Schaden anrichten. Aber leider auch keine Fehler machen.

Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.
 

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