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24.09.2009   News
Sorge um die Seriosität
 
Die deutschen Medien leiden unter Sparzwängen. Der schleichende Qualitätsverlust wird auch für die PR zum Problem. Von Klaus Janke und Sebastian Vesper


In der Online-Redaktion des „Hamburger Abendblatts“ ging es am 4. August offenbar sehr hektisch zu. So hektisch, dass eine umfangreiche Nielsen-Pressemeldung zum Thema Twitter nahezu unverändert ins Netz gestellt wurde – zum Bearbeiten fehlte wohl die Zeit. „Was Journalismus von PR unterscheidet“, überschrieb Stefan Niggemeier in Bildblog.de süffisant die Gegenüberstellung der fast identischen Beiträge. Nichts gegen die immer gut geschriebenen Nielsen-Mitteilungen, aber selbst die journalistisch ambitioniertesten Pressesprecher beschleicht in der Regel ein etwas mulmiges Gefühl, wenn ihre Werke eins zu eins veröffentlicht werden.

Das Beispiel ist symptomatisch für die Atmosphäre in der deutschen Medienlandschaft. Spricht man derzeit mit Journalisten, hört man ein Lamento, das in dieser Deutlichkeit neu ist: Keine Zeit mehr, immer knappere Budgets, jeden Tag zusätzliche Aufgaben. Nein, zur Pressekonferenz kann man nicht mehr kommen. Der Kollege, der letztes Mal gekommen ist? Schon gar nicht mehr da.
Die Redaktionen ächzen unter der Finanzkrise wie nur wenige andere Branchen. Vor allem die Printtitel, ohnehin schon von der Internet-Konkurrenz gebeutelt, fahren brutale Sparprogramme.
Das schlägt auf die journalistische Qualität durch. „Ich sehe immer weniger Geschichten, für die sich die Journalisten etwas mehr Zeit zur Recherche lassen können“, sagt Harald Ehren, Gründungsredakteur der „Financial Times Deutschland“ und heute Chefredakteur bei der Agentur fischerAppelt. Und: „Häufig erkennt man an bestimmten Stellen von Geschichten, dass da einfach die Zeit gefehlt hat.“
Miserabel vorbereitete Interviews, mehr Tippfehler oder gekaufte Beiträge, nicht nur in Fachzeitschriften, sind für viele Beobachter Anzeichen für einen allgemeinen Niedergang journalistischer Qualität. Schaut man sich in deutschen Schreibstuben um, ist das kein Wunder: Was früher der Redakteur selbst gemacht hat, macht heute der Volontär, nicht selten gar der Praktikant. Stellen werden eingespart, Ressorts zusammengelegt. Wer früher ein Ressort leitete, hat heute drei.
Allerdings lassen sich nicht alle Medien über einen Kamm scheren: „Die großen Qualitätstitel halten sich immer noch sehr gut“, sagt Wigan Salazar, Geschäftsführer von Publicis Consultants in Berlin. „Hier hat man nach wie vor kompetente Ansprechpartner. Problematischer sieht es bei den Regionalzeitungen aus.“ Aber was nicht ist, kann noch kommen: „Wir sind noch nicht am Ende dieser Entwicklung.“
Die Öffentlichkeit tangiert das bislang wenig. Von politischer Seite erhalten die rigorosen Verschlankungsprogramme sogar offiziellen Beifall: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ließ es sich nicht nehmen, höchstpersönlich den neuen Newsdesk in der WAZ-Zentralredaktion einzuweihen – das Sinnbild der fortschreitenden Verschmelzung von „Westdeutscher Allgemeiner Zeitung“, „Westfälischer Rundschau“ und „Neuer Ruhr/Rhein Zeitung“ im Zeichen der Rendite.


Rücksichtslos, intolerant und unsozial
Geht es so weiter, könnte der gute alte Qualitätsjournalismus – von den Hobby-Schreibern der Blogosphäre ohnehin mächtig unter Druck gesetzt – in eine echte Krise schlittern. Diese wird verschärft, wenn zusätzlich auch die Glaubwürdigkeit der Medien in der Bevölkerung weiter geschwächt wird – ein Prozess, der in vollem Gange ist. Dies ergibt eine im Mai veröffentlichte Studie der TU Dresden, die auf einer deutschlandweiten telefonischen Befragung von 1.054 Deutschen ab 18 Jahren basiert. Danach geben nicht einmal zwei von drei Deutschen an, dass sie Journalisten „eher schätzen“.  Nur 35 Prozent sagen, dass sie Journalisten vertrauen. Diese seien rücksichtsloser, intoleranter und unsozialer, als man sie gern hätte.
„Die meisten Deutschen gehen davon aus, dass Journalisten stark auf ihren Vorteil bedacht sind“, so Wolfgang Donsbach, Direktor des Instituts für Kommunikationswissenschaften an der TU und Leiter der Studie. Die Befragten zeichnen zudem das Bild einer starken wirtschaftlichen Abhängigkeit der Medien: Rund zwei Drittel der Bundesbürger glauben, dass bezahlte Recherchen häufig vorkommen oder dass die Interessen von Anzeigenkunden auch in der redaktionellen Berichterstattung berücksichtigt werden.
Der Bevölkerung fehlt es auch an einem klaren Bild des Journalismus: Unter den 18- bis 24-Jährigen versteht jeder Zweite Blogging als Journalismus.
Viele Journalisten sind mit ihrer Arbeit selbst nicht zufrieden, wie eine Umfrage des Vereins Ernst-Schneider-Preis zeigt, der von den Industrie- und Handelskammern getragen wird. Von fast 80 Wirtschaftsjournalisten hält jeder Zweite die Qualität der Wirtschaftsberichterstattung für mittelmäßig. Drei von vier Befragten waren sogar der Ansicht, dass sie zu wenig tun, um ihren Rezipienten Wirtschaftsthemen zu vermitteln. Der Grund wird auch hier klar benannt: Die Hälfte der Befragten hält die personelle Besetzung der Redaktionen nicht für ausreichend.


Auf der Suche nach dem schnellen Scoop
Auch wenn Kunden von PR-Agenturen dies nicht gern einsehen: Die PR ist vor dem Hintergrund ausgedünnter Redaktionen gezwungen, ihre Arbeitsweise umzustellen. Die Zeiten dreitägiger Informationsreisen mit Journalisten sind definitiv vorbei.
Pressekonferenzen werden, sofern nicht ein hochkarätiger Promi oder Vorstand präsentiert werden kann, zum Auslaufmodell. Pressemeldungen, nach dem Gießkannenprinzip gestreut, werden vom zeitlich überlasteten Redakteur einfach nicht mehr wahrgenommen.
Auf PR-Seite gefragt ist hingegen zunehmend die Fähigkeit, sich mit Falschmeldungen oder verzerrten Darstellungen auseinanderzusetzen. Pressesprecher und PR-Berater beklagen, dass als Folge der Kurzatmigkeit in den Redaktionen  immer mehr Journalisten ihre Geschichten skrupellos zuspitzen – auch auf der Suche nach dem schnellen Scoop.
Die Bandagen werden härter. „Viele Journalisten versuchen sich investigativer, ruppiger zu geben, um ihren Status im eigenen Haus zu verbessern“, beobachtet Ehren. Dies mag damit zusammenhängen, dass der eigene Arbeitsplatz schon unmittelbar in Gefahr ist, kann aber auch eine Trotzreaktion sein: „Gerade im Rahmen der Finanzkrise wurde den Wirtschaftsjournalisten ja vorgeworfen, zu wenig gewarnt zu haben, zu unkritisch gewesen zu sein“, so der PR-Mann. „Immer häufiger werden Scoops oder auch Falschmeldungen unter Nennung vermeintlicher Quelle schnell hinausgeblasen“, jammert der Kommunikationsberater Norbert Essing.
Ausgerechnet einer wie Essing, der sich in der verflossenen „Deutschland-AG“ einen Ruf als virtuoser Einflüsterer für die entscheidenden Meinungsführermedien erwarb, muss heute immer mehr Aufräumarbeiten verrichten. PR, so der ehemalige Kommunikations­chef von Audi und Deutscher Börse, müsse „an allen Ecken und Enden richtigstellen und erklären“.
Die Bereitschaft zu Schnellschüssen (Branchenjargon: „Ich recherchiere mir doch nicht meine Geschichte kaputt...“) hat längst auch in den so genannten Qualitätsredaktionen Einzug gehalten. Als aggressiv gilt im Bereich Politik und Wirtschaft generell eher Print: „Im Vergleich dazu wird das Fernsehen eher zahmer“, konstatiert Ehren.
Essing ist davon überzeugt, dass die Medien mit einer solchen Strategie ein Eigentor schießen: „Gerade Zeitungen, die stärker auf Qualität und Hintergrund setzen wie ,Zeit‘ oder die ,FAZ‘ können sich in jüngster Zeit wirtschaftlich vergleichsweise gut behaupten. Dies zeigt, dass der Lesermarkt überhaupt nicht auf die Scoop-Strategie fixiert ist, sondern sie eher satt hat.“ Freilich spricht da auch die Hoffnung des Kommunikationsberaters.


Schwache „Wächter“
Warum sorgt sich ausgerechnet die PR um das Niveau des Journalismus? Der Vorsitzende des Deutschen Rats für PR, Richard Gaul, hat dafür gegenüber „Zeit online“ eine plausible Begründung formuliert: „Wird der Qualitätsjournalismus als Wächter geschwächt, so ist der Unwahrheit, der Manipulation bis hin zur Lüge, Tür und Tor geöffnet. Kurzfristig könnte da ein Konzern mit seiner geballten Kommunikationsmacht profitieren, aber auf Dauer wäre er verdammt angreifbar.“ Angreifbar nämlich durch alle möglichen Interessengruppen und die „diffuse Öffentlichkeit“ des Internet. Soll heißen: Der Verlust von Qualitätsmedien und Medienqualität bedeutet aus PR-Sicht womöglich einen Verlust von Kontrolle (siehe Kolumne Seite 16).
Essing nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die PR-Seite sollte mit Medien, die nicht zum Qualitätsjournalismus zu rechnen sind, eher zurückhaltend kooperieren.“ Und: „Sie sollte sich nicht als ,Dealförderer‘ missbrauchen lassen. Die sogenannten ,success-fees‘, die vor allem in der Arbeit für Investmentbanken üblich geworden sind, sollten überprüft werden.“
Die andere Perspektive: Glaubt man einer in der Medienbranche landläufigen Auffassung, kann die PR-Seite aus einer Haltung der Stärke heraus agieren – wurde hier im Vergleich zu den Redaktionen in den vergangenen Jahren doch eher aufgerüstet. Aber gibt es wirklich eine Machtverschiebung? „Halt die Presse“ hieß im Juni 2007 eine in der PR-Welt viel beachtete Story im „manager magazin“ zum Thema. Die These: Weil die Medien wirtschaftlich geschwächt sind, schaffe es die PR-Seite immer besser, sie in ihrem Sinne zu manipulieren. Chefredakteur Arno Balzer sagt heute dazu: „Die Tendenz des damaligen Beitrags hat sich eher noch verstärkt: Das Kräfteverhältnis verschiebt sich von der journalistischen Seite weiter hin zur PR.“


Wenn der Anzeigenleiter mit am Tisch sitzt
„Der Druck in den Redaktionen macht es einfacher, gut aufbereitetes Material unterzubringen“, gibt Salazar zu. Auch Rupert Ahrens, geschäftsführender Gesellschafter der A&B Communications Group, konzediert: „Die Schwäche der Medien wird derzeit sicherlich teilweise von der PR ausgenutzt. Profitieren kann in erster Linie die Produkt-PR.“ Etwa bei Servicethemen und Lifestyle.
Auf der Suche nach zusätzlichen Umsätzen treiben Medien die Verwischung zwischen PR und Redaktion selbst voran. Ahrens: „Wenn Unternehmen heute wegen Berichterstattung auf Redaktionen zukommen, kann es durchaus schon mal passieren, dass der Anzeigenleiter gleich mit am Tisch sitzt.“
PR-Menschen wundern sich über derlei Gebaren von Verlagen und Sendern. Vor allem aber die Uninformiertheit, mit der viele Redakteure an ihre Geschichten gehen, schockt die Interessenvertreter regelmäßig. Es fehle in den Medienhäusern nicht nur personell, sondern auch handwerklich an allen Ecken und Enden, ist aus der PR-Zunft zu hören.
Freuen kann sich darüber kein PR-Stratege.
„Die PR darf auf keinen Fall nun die strukturellen Schwächen der Redaktionen ausnutzen“, warnt etwa fischerAppelt-Mann Ehren. Und dies nicht aus ethischen Motiven, sondern nüchtern strukturellen Gründen: „Wir brauchen glaubwürdige, kritische Medien, um unsere Botschaften wirksam kommunizieren zu können.“ Wenn man diese Medien nicht mehr habe, überlasse man dem „Pseudo-Journalismus “ das Feld.
Ähnlich sieht es Essing: „Das größte Problem, das die PR haben kann, ist ein Glaubwürdigkeitsverlust der Medien.“ Denn es steht nicht weniger auf dem Spiel als die Geschäftsgrundlage der PR: „Die PR allgemein muss in hohem Maße daran interessiert sein, dass es weiterhin einen glaubwürdigen, unabhängigen Journalismus gibt“, so Ahrens. „Aus Eigeninteresse: Denn nur dann gibt es überhaupt PR – wenn man Beiträge kaufen kann, ist es schlicht und einfach Werbung.“

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