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News / Unvermittelter Aufbruch
28.08.2013   News
Unvermittelter Aufbruch
 
Massiver Umbau, interne Machtkämpfe und ein Gründer, der das Unternehmen vor sich her treibt: In einer Phase des Umbruchs versucht Software-Hersteller SAP die Flucht nach vorn. Doch insbesondere die Fokussierung auf den wichtigsten Markt USA schürt an der Basis im badischen Walldorf Ängste. Auch, weil die SAP-Zentrale den unvermeidlichen Wandel zum marketinggetriebenen Konzern nach innen und außen schlecht verkauft. Von Bijan Peymani

Mit Blick auf sein Lebenswerk scheint Hasso Plattner der Geduldsfaden allmählich zu reißen. Über ausgesuchte Medien rüffelte der Mitbegründer und Aufsichtsratschef des europaweit größten Software-Herstellers jüngst seine Manager: Die Beliebtheit bei jungen Talenten sei ein Schlüsselfaktor für den Erfolg von SAP und „Aufgabe des Vorstands ... hier müssen wir wirklich besser werden“ („Wirtschaftswoche“). Und in Walldorf sei man „einfach etwas weit ab vom Schuss“, deswegen gebe es „dort weniger kreative Impulse“ („Welt am Sonntag“).

Es sind Machtworte von Plattner wie diese, die den vermeintlichen Frieden in der SAP-Burg immer wieder empfindlich stören. Ohnehin ist man in der Zentrale unweit von Heidelberg seit geraumer Zeit vor allem mit sich selbst beschäftigt. Mit dem Antritt der Doppelspitze aus Jim Hagemann Snabe dies- sowie Bill McDermott jenseits des Nordatlantiks im Frühjahr 2010 sollte vieles besser werden. Folgt man Plattners harscher Kritik („praxisuntaugliche Produkte, misslungene Erfüllung von Aufgaben“), ist es bis dahin noch ein meilenweiter Weg.


Bleibt der Stammsitz in Deutschland?
Bis heute scheint SAP, trotz wiederholter Weichenstellungen, nicht in der eigenen Zukunft angekommen zu sein. Während Analysten und Investoren dem jüngst eingeleiteten US-Shift applaudieren, zeigt sich die badische Basis missmutig und verstört – befeuert durch Spekulationen in den Medien über eine baldige Verlegung des Stammsitzes, an denen auch SAP-Aufseher Plattner seinen Anteil hatte. Der beeilte sich, seine zuvor geäußerte Kritik an Walldorf flugs in einen motivierenden Denkanstoß umzudeuten.

Dennoch drängt sich der Eindruck auf, dass die Kommunikation des Software-Herstellers seit Monaten – vornehm beschrieben – nicht rund läuft. Man könnte es auch deutlicher sagen: Die alternativlose Hinwendung in Richtung USA und der durchaus nachvollziehbare Wandel vom perfektions- zum marketinggetriebenen Konzern wurde in Walldorf bisher nach innen und außen schlecht verkauft. Im Ergebnis liefert SAP derzeit, erschöpft von massiven Umbauten, politischen Ränkespielen und zweifelhaften Personalien, mehr Fragen als Antworten.

Wer den Software-Multi zu der aktuellen Situation, den Motiven und Zielen seiner Häutung befragt, erhält PR-Stanzen, die unter den Betroffenen selbst eine gewisse Sprachlosigkeit zu verstehen geben. So verspricht man sich von der Einverleibung der Pressearbeit ins Marketing Synergien – was sonst. Und „Torie“ Clarke, neue First Lady auf der Kommunikationsbrücke, ergänze das neu installierte Führungsteam, das gemeinsam mit lokalen Experten „an unseren weltweiten Standorten für eine auf lokale Bedürfnisse abgestimmt Ansprache sorgt“.

Bemerkenswert an der Personalie ist, dass Clarke Government Relations, CSR und Corporate Media Relations verantwortet. Die für SAPs künftigen Erfolg maßgeblicheren Felder Interne Kommunikation (von Deutschland aus) und Produktkommunikation (wie zuvor aus den USA heraus) liegen – noch – nicht bei ihr. Einem Insider, der sich selbst als „großer Anhänger von integrierter Kommunikation“ outet, fällt es schwer, „mir vorzustellen, wie das laufen soll“. Ihr fehlendes Marketing-Know-how mache Clarke zum Spielball von CMO Jonathan Becher.

Das ist wohl so gewollt. Und irgendwie mal mehr, mal weniger in Mode. Ein Streit zwischen zwei Disziplinen, der vor allem die jeweils Betroffenen und ihre Fachmedien unterhält. „Mir scheint es bei vielen Unternehmen immer wieder eine Art von Wellenbewegung zu geben – mal muss sich die Kommunikation dem Marketing unterordnen, dann wird beides irgendwann wieder auseinander dividiert“, kommentiert Michael Kroker den Vorgang. Als Redakteur der „Wirtschaftswoche“ beobachtet und analysiert er regelmäßig auch das Geschehen bei SAP.

Kroker sieht in der Personalie Clarke ein ganz anderes Problem: Sie sei kein Zeichen für den deutschen und europäischen Markt. Und sie taugt offenbar auch wenig dazu, nach Jahren offener Nachfolgen, kurzer Gastspiele und interimistischer Besetzungen endlich wieder Konstanz und Ruhe in die SAP-Unternehmenskommunikation zu bringen. Nun fällt innerhalb des deutschen Sprecherkreises auch noch Christoph Liedtke krankheitsbedingt längere Zeit aus – für Teile der Fachöffentlichkeit so etwas wie das europäische Gesicht des Software-Herstellers.


Die kurze Ära Hubertus Külps
Seit dem Abritt des langjährigen Kommunikationschefs Herbert Heitmann im Frühjahr 2010 ist bei SAP der Wurm drin. Nach quälenden neun Monaten der Suche hatte sich das CEO-Duo endlich auf Hubertus Külps verständigt. Der, urteilen Beobachter wie Jens Koenen, Leiter des Frankfurter „Handelsblatt“-Büros, habe während seiner nur zweijährigen Amtszeit auch einen guten Job gemacht: „SAP wurde schlanker, schneller und innovativer. Diese Botschaft wurde durchaus erfolgreich platziert.“ Doch letztlich suchte Külps das Weite – oder musste gehen. Da sind sich die Kommentatoren uneins. „Wiwo“-Redakteur Kroker will vernommen haben, dass Külps über Kommunikationsversäumnisse beim Projekt „Hana“ gestolpert ist – der von Hasso Plattner vorangetriebenen Hochleistungsdatenbank. Eher zweifelhaft. Andere sagen, Külps habe zunehmend unter den unklaren Zuständigkeiten und den nicht immer eindeutigen Absprachen zwischen dem SAP-Führungsduo und dem Global Marketing gelitten. Als das unwiderstehliche UBS-Angebot kam, muss das für ihn wie eine Befreiung gewirkt haben.

Ohnehin hatte Külps als Kommunikationschef ein im Vergleich zur Heitmann-Ära ausgeweidetes Portfolio zu verantworten. Mit Heitmanns Abgang riss sich der Finanzvorstand der Bereich Investor Relations unter den Nagel. Im weiteren Verlauf wurden auch sämtliche Kontakte zu Partnern, Kunden oder etwa zu Universitäten aus der PR-Abteilung abgezogen und anderswo im Haus verankert. Die Hebel, die bei Külps verblieben, waren zu kurz, um weltweit die Dinge zu bewegen, die aus seiner Sicht bewegt werden mussten.

Interimslösung Barbara Schädler
Noch tragischer erscheint die Sache bei Barbara Schädler, die insbesondere Bill McDermott – alles andere als ein Kosmopolit – nach Külps’ Flucht nur eine Interimslösung auf der SAP-Sprecherbrücke wert war. Und McDermott, das zeigt der Rückzug von Co-CEO Snabe, hat im Unternehmen nun mal das Sagen. Schädlers Manko, sagen Menschen aus ihrem Umfeld, war: Sie ist keine Amerikanerin. Und als selbstständige Beraterin für Snabe, als die sie zuvor im Haus gewirkt hatte, lag im Rückblick nahe, dass ihre Karriereleiter bei SAP kurz sein würde.

Nun ist Schädler bei der Lufthansa gelandet und dort dem Vernehmen nach sehr happy. Ihr wie Külps wurde bei SAP ein Grundproblem zum Fallstrick, wie „Handelsblatt“-Mann Koenen illustriert: „Die Kommunikation dort bewegt sich in einem Kräftedreieck aus derzeit noch zwei Vorstandschefs und einem starken Aufsichtsratschef. Alle drei kommunizieren teilweise sehr unterschiedlich.“ Schon die Kakophonie zweier CEOs zu koordinieren, halten Kenner für eine Aufgabe, bei der sich der Abstimmungsbedarf nicht verdopple, sondern vervielfache.
Angeblich gab es nach Schädlers Weggang bei der Software-Schmiede den Plan, jemand von Rang und Namen für die Europa-PR zu engagieren. Derlei Ideen soll es schon nach der Ära Heitmann gegeben haben. Insidern ringen solche Gedankenspiele folglich auch nur ein müdes Lächeln ab. Einer frotzelt: „Sieht man die heutige Kommunikationsstruktur, muss man sagen, der Berg kreißte und gebar ein Mäuschen.“ Ein anderer stichelt, SAP werde von einer Crew geführt, die „nicht notwendigerweise voll verstehe, was Kommunikation vom Produktmarketing unterscheidet“.

Skeptisch beurteilt ein Dritter, ob ein Unternehmen seine Zentralverantwortlichkeiten in die USA verlagern müsse, nur weil dort die Wettbewerber und wichtige Stakeholder säßen: „Ich meine, dass etwa der Kommunikationschef ganz nah bei der Firmenleitung angesiedelt sein muss. Und wenn diese – wie im Falle von SAP – in Walldorf sitzt und das nicht nur eine Briefkastenadresse ist, um legalen Verpflichtungen nachzukommen, dann ist es ein Fehler, die Verantwortung sechs Zeit- und acht Flugstunden von der Zentrale weg zu verlagern.“


Passt der American Way?
So sehr es den eingefleischten, mit Inhalten und langem Atem beseelten PR-Profi schmerzt: Die Eingemeindung seines Fachs in das vom Budget her wesentlich potentere, aber deutlich kurzatmigere Marketing ist typisch amerikanisch und für den dortigen Markt genau richtig. „Wer einmal die Kundenmesse eines IT-Konzerns in den USA erlebt hat, weiß, wie sehr die Käufer dort auf die große Show abfahren“, sagt „HB“-Büroleiter Koenen. Was SAP dabei aber übersehe, sei die „Tatsache, dass IBM und Oracle dort ihren Heimatmarkt als Basis haben“.

„Eine SAP hat diesen aber in Europa“, unterstreicht Koenen, „es ist keineswegs gesagt, dass die kommunikativen Rezepte einer Oracle oder IBM auch bei SAP funktionieren.“


Software-Riese SAP: Meilensteine bei der Verschiebung des Machtgefüges in Richtung USA
Seit der Ära von Léo Apotheker scheint SAP vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nach dem laut Co-CEO Jim Hagemann Snabe „mit Abstand größten Umbau in der Geschichte“ ab 2010 sorgt aktuell die Verlagerung zentraler Kompetenzen des Konzerns in die USA intern für Unruhe. Das erklärte Ziel der seit gut dreieinhalb Jahren amtierenden Doppelspitze Snabe/McDermott ist, die deutsche Marke SAP zu globalisieren. Mai 2010: Co-CEO Jim Hagemann Snabe kündigt an, die Zahl der Hierarchiestufen bei SAP von zuvor bis zu zehn auf vier zu reduzieren und den Teams wieder mehr Verantwortung zu übertragen. Neben der klassischen Managementkarriere soll eine Fachkarriere ermöglicht werden. Snabe spricht vom „mit Abstand größten Umbau in der Geschichte von SAP“. Dezember 2011: Der für mehr Kundennähe und schnellere Prozesse als „Lean“-Programm im Frühjahr 2010 gestartete Umbau geht nur schleppend voran. Stattdessen zeigen sich deutliche Reibungsverluste innerhalb der Belegschaft. SAP erklärt, man wolle die Eigenverantwortung der Entwicklerteams stärken und „mehr individuellen Gestaltungsraum“ schaffen. Mai 2013: SAP kündigt an, Marketing und PR unter der Leitung von Chief Marketing Officer Jonathan Becher in Palo Alto/Kalifornien zusammenzuführen. Unter Becher, nunmehr Chief Marketing and Communications Officer, erarbeiten Vertreter beider Bereiche laut SAP seither „gemeinschaftlich die Ausrichtung und Struktur“ der neu geschaffenen Einheit. Juni 2013: Victoria Clarke wird als erste Amerikanerin in der SAP-Geschichte auf den Posten der Kommunikationschefin berufen. Sie berichtet direkt an Becher. Die frühere Agentur-Frau (Hill+Knowlton) hatte sich vor allem im Team des einstigen US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld und als Wahlkampf-Managerin von George W. Bush einen Namen gemacht. Juli 2013: Co-CEO Snabe fordert nachdrücklich, SAP müsse globaler werden: „Der Kampf in unserer Branche wird in den USA entschieden.“ Im Zuge umfassender Restrukturierungen hatte zuvor unteranderem der in den USA ansässige Entwicklungsvorstand Vishal Sikka mehr Kompetenzen erhalten. Zugleich verteidigt Snabe das Führungsmodell der SAP-Doppelspitze. 21. Juli 2013: SAP teilt offiziell mit, Co-CEO Snabe werde im Mai 2014 – drei Jahre vor Ablauf seines Vertrages – in den Aufsichtsrat wechseln. Der gebürtige Däne nennt private Gründe für seinen Rückzug, der offenbar jedoch nicht freiwillig erfolgt. Angeblich soll Snabe den internen Machtkampf mit Co-Chef Bill McDermott verloren haben.

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