Keine Modeerscheinung
Social Intranets Social Intranets sind mehr als Tools der internen Kommunikation. Sie haben das Potenzial, die Kommunikationskultur von Unternehmen nachhaltig zu verändern. Von Oliver Hein-Behrens
„Wenn die BASF wüsste, was die BASF weiß“, lautet ein Running Gag in der Kommunikationsabteilung des Chemie-Riesen. Deshalb hat die BASF ein Social Intranet installiert. Damit zählt der Konzern bei seiner internen Kommunikation zu den Pionieren. Noch. „Die Nachfrage nach Social Software nimmt in deutschen Unternehmen immer stärker zu“, berichtet Curt Simon Harlinghausen, Vorsitzender der Fachgruppe Social Media im Bundesverband Digitale Wirtschaft. „Die Gründe dafür liegen in der effizienten Art der Kommunikation, Interaktion und Kollaboration innerhalb der Organisation.“ Aktuelle Studien bestätigen diese Einschätzung. So stellen der Berliner Weiterbilder scm und die Kommunikationsagentur Kuhn, Kammann und Kuhn in einer Vorabversion der Studie „Enterprise 2.0 Watch“ fest, dass sich Unternehmen zunehmend mit dem Thema Social Software auseinandersetzen. Und: „Bereits in den kommenden Jahren kann der Einsatz von Social Software in bestimmten Branchen über die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und damit über ihren Bestand entscheiden.“ Anders formuliert: Es geht um hohe Investitionen und große Budgets – heute und in naher Zukunft.
Auch für Jochen Günther, Projektleiter am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart, sind Social Intranets und ihre Konsequenzen alles andere als eine Modeerscheinung: „Zu stark verändern sich Kommunikationsstrukturen in Unternehmen, zu hoch ist das Potenzial, das in einem effizienteren Wissensfluss im Unternehmen liegt. Ich denke, dass in zehn Jahren Social Intranets in Unternehmen selbstverständlich sein werden. Klassische Hierarchien und hergebrachte Formen der Mitarbeiterführung und Leistungskontrolle werden durch die potenziell zunehmende Vernetzung von Mitarbeitern und Themen erschwert.“ Günther empfiehlt Unternehmen, die Social Intranets einführen, in Bezug auf die interne Kommunikation und die Organisation Begleitung und Beteiligung: „Viele Unternehmen nehmen an, dass das Social Intranet ein Selbstläufer ist. Es benötigt aber gute Themen, Aktionen und Inhalte. Gerade in der Anfangsphase, um eine ständige Motivation zur Nutzung und Beteiligung zu erzeugen. Bestimmte Mitarbeitergruppen müssen dabei direkt angesprochen und über konkrete Aktionen einbezogen werden, um Social Intranets zum Leben zu bringen.“
Change Management als Voraussetzung
Für die erfolgreiche Einführung von Social-Media-Features in Unternehmen ist für viele Experten auch ein solides Change Management nötig. Laut Torsten Oltmanns, Partner bei der Strategieberatung Roland Berger in Hamburg, spielt Social Media aber umgekehrt auch eine immer wichtigere Rolle bei großen Change Management Projekten in Hinblick darauf, den Prozess schneller auszurollen: „Cultural Change bedeutet hier: Unternehmensmitarbeiter sollen verstehen, woher der Handlungsdruck kommt und wie die Firma darauf reagieren will, damit die Beschäftigten ihre Handlungen anpassen können. Das pyramidale System wird dabei ersetzt. Und die Firma erspart sich ein bis zwei Jahre in der Umsetzung, wenn der Change-Prozess von einem Social Media-Konzept begleitet wird.“ Social Intranets, die von Anfang an gut durchkonzeptioniert sind beziehungsweise flexibel angepasst werden, haben dabei für Oltmanns eine deutlich höhere Erfolgsquote.
Er beschreibt einen Fall aus der Praxis: „Zum Beispiel hat ein Elektronik-Großhandelsunternehmen einen alternativen Weg für die interne Kommunikation gefunden: Das Unternehmen stellt den Mitarbeitern alle Dokumente zur Verfügung, damit die sich informieren und Verbesserungen vorschlagen können. Zunächst hatte sich die Geschäftsleitung dabei ein Vetorecht bei den Vorschlägen vorbehalten – etwa als sich die Belegschaft Dienstfahrrädergewünscht hat. Aber nach rund einem halben Jahr veröffentlichte die Geschäftsführung geplante Änderungen unter der Devise, dass sie umgesetzt würden, sollte es keine Rückmeldung seitens der Mitarbeiter geben.
So entstand nach zwei Jahren eine rege Beteiligung: Zu rund 60.000 zugänglichen Dokumenten kamen 550.000 Rückmeldungen – von etwa 4.000 Mitarbeitern. Dabei hat die Geschäftsführung bei keinem einzigen Fall Veto eingelegt. So hat sich das einstige betriebliche Vorschlagssystem in eine Rücklaufschleife bei Change Management-Projekten verwandelt, die laut Oltmanns deutlich effizienter funktioniert. Zudem ist für ihn der psychologische Aspekt einer solchen Beteiligung wichtig: „Die Mitarbeiter fühlen sich eingebunden, identifizieren sich stärker mit ihrem Arbeitgeber und engagieren sich für ein angenehmes Arbeitsumfeld.“
Damit haben Social Intranets das Potenzial, die Kommunikationskultur in Unternehmen nachhaltig zu verändern. „Wenn in einem Social Intranet über alle Hierarchiestufen hinweg jeder seine Themen und Ideen ohne hierarchische Filterung einbringen kann, werden Kenntnisse und Expertisen viel schneller als früher für jedensichtbar“, weißBjörn Eichstädt, Geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Storymaker. „Das bedeutet, dass der inhaltliche Experte künftigausgeprägtere kommunikative Skills braucht – die ihm in derVergangenheit oft fehlten. Der kommunikativ aktive und bewanderteExperte wird der Gewinner dieser Entwicklung sein.“ Damit legt für ihn nicht mehr das Organigramm die inhaltlicheHierarchie eines Unternehmens fest, sondern wer mit wem worüber spricht. „Mit Social Intranets entsteht ein vernetzter und transparenter Pool an Informationen, wo wir vorher eine gemütlicheHierarchie hatten“, betont Eichstädt. Dies sei „durchaus ein Problem für Leute, die in der Vergangenheit von ganz oben eine Information bekommen haben und dann geschaut haben, wie kaskadiere ich das herunter? Die kommen jetzt in eine Situation, in der sie Angst haben, dass auf einmal alle gleichzeitig etwas mitbekommen – und dass vielleicht auch Informationen von unten nach oben kommen, die sie eigentlich aus politischer Motivation herausfiltern wollten.“ In den meisten deutschen Großunternehmen ist das noch Zukunftsmusik.
Das Beispiel Deutsche Telekom
Stephan Grabmeier, Innovation Evangelist bei der Deutschen Telekom, antwortet entwaffnend ehrlich auf die Frage nach dem Social-Intranet-Status in seinem Unternehmen: „Wir haben – Stand heute – noch kein durchgängiges Konzern Social Intranet“, räumt er ein. „Wir sind in den meisten Geschäftsbereichen noch relativ traditionell mit einem klassischen Intranet unterwegs, wenngleich sich in einzelnen Konzerneinheiten oder Funktions-Intranets, etwa in HR, schon tolle Entwicklungen abzeichnen, von denen wir aus Konzernsicht vieles lernen können.“ In den letzten Jahren habe die Telekom „sehr viel mit sozialen und kollaborierenden Medien experimentiert“, berichtet er. Mit Blog-Plattformen, Wiki-Plattformen und Social Networks kam der Konzern in den letzten 4 bis 5 Jahren auf 46 verschiedene interne Plattformen. Es gab dabei aber keine einheitliche Infrastruktur. Das soll sich ändern: „Eine Facette in unserer Enterprise 2.0 Strategie ist, dass wir eine einheitliche Enterprise2.0 IT-Infrastruktur schaffen. Das seit über einem Jahr etablierte Telekom Social Network beinhaltet dabei alle bekannten 2.0 Komponenten und dient als Kern des Enterprise 2.0 Ökosystems.“ Jeder Mitarbeiter kann und soll dieses Social Network nutzen – weltweit. „Wir nutzen dies unter dem Social Collaboration-Aspekt“, betont Grabmeier. Technisch seien alle Mitarbeiter angeschlossen worden, „operativ sind rund 54.000 Kollegen drauf“. Grabmeiers Aufgabe ist es, „auf der einen Seite Mengen zu generieren“. Die theoretische Größe beträgt dabei 233.000 Mitarbeiter. „Die zweite Komponente ist“, berichtet er, „in die Tiefe zu gehen mit denjenigen, die schon damit arbeiten“. In der Weiterentwicklung der Plattform sieht er als nächsten Schritt: „Wie verbinden wir unser bestehendes Intranet mit dem Telekom Social Network?“ Seit einiger Zeit beschäftigt sich ein strategisches Projekt im Konzern mit diesem Thema. Zentrale Frage: „Was ist im Social Intranet abbildbar und wie muss es aufgebaut sein?“
Für Grabmeier steht fest, dass die moderne Kommunikationsstruktur, die sich im Social Intranet widerspiegelt, extrem wichtig ist und von der Bedeutung mit jeder Generation weiter wächst. Die jungen Digital Natives drängen in den Konzern und erwarten, ihre aus dem privaten Umfeld gewohnten Kommunikationsmöglichkeiten im Beruf einsetzen zu können. „Bei der Akzeptanz in punkto Business prallen aber häufig Welten aufeinander“, berichtet Grabmeier.
Dennoch: So groß die Akzeptanz der Notwendigkeit einer Social Intranet/Corporate 2.0 Strategie inzwischen am Markt bereits ist – das Problem der Hauptverantwortung bei Projekten auf Beraterseite scheint zu bleiben. Zum einen ist die Rolle der PR-Branche in diesem Portfolio zwar gesetzt. Zum anderen sieht Torsten Oltmanns Handlungsbedarf, wenn es um die Führungsrolle bei diesen wichtigen Projekten geht: „In meinen Augen gibt es noch keinen Dienstleister am Markt, der Konzepte mit dem nötigen Querschnitt von IT, Social Media und internem Know-how-Management anbietet. Viele Unternehmen sind dabei auf sich allein gestellt. Es fehlen also Experten, die die interne Kommunikation systematisch betreiben – auch in Hinblick auf große Produktionsbetriebe und deren Vorschlagssystem.“ Ein schönes Feld für ganzheitlich denkende strategisch agierende Kommunikationsagenturen mit Social Media Know-how.
Porsches neues Intranet „Carrera Online“
„Vom Newsportal zur digitalen Arbeitsumgebung“ hat Porsche nach eigenen Angaben mit „Carrera Online“ jüngst sein Intranet transformiert. Es basiert technisch auf der Social Business-Plattform „Jive“. Drei Funktionen stehen dabei im Vordergrund: Zum einen soll es als modernes Nachrichtenportal für redaktionelle Inhalte und Themen der internen Kommunikation bei Porsche dienen. Im zweiten Schritt soll die Plattform neue Wege im Informations- und Wissensmanagement ermöglichen und diverse Unternehmens-Apps integrieren. In der dritten Ausbaustufe soll das Intranet ein Social Enterprise Network darstellen, das sowohl „virtuelle Projekträume“ als auch Kollaborations-Instrumente bereitstellt – und somit die informelle Vernetzung der Mitarbeiter untereinander, Blogging sowie das Teilen von Ideen und Dokumenten möglich macht. Der Plan: Alle Inhalte und Themen der internen Kommunikation sollen jetzt crossmedial ausgespielt werden. Davon profitieren auch die Mitarbeiter aus der Produktion, die über keinen eigenen PC-Arbeitsplatz verfügen. Möglich machen das rund 70 Intranet-Terminals, die an allen Porsche-Standorten aufgestellt wurden. Für diesen Relaunch kooperierte Porsche unter anderem mit der Kommunikationsagentur Faktor 3.