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27.08.2009   News
Inhaltlich eher unauffällig
 

Der Bundestagswahlkampf 2009 geht in die heiße Phase, beherrschendes Thema ist die schwerste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit. Während sich die Wahlkampfstrategen an die Feinjustierung von Kandidaten und Erscheinungsbild machen, scheint die Große Koalition am Ende. Doch Bundeskanzlerin Angela Merkel muss sich wohl keine Sorgen machen, alle Prognosen sagen dem SPD-Kandidaten und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier ein Debakel voraus. Von Harald Schiller

Meinungsforscher melden, dass die Stimmung im Wahlvolk eindeutig ist. Trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise sind einschneidende Änderungen nicht gefragt: „Keine Experimente!“ Zwar übernahmen die Kampagnenmacher, nachdem Barack Obama im US-Wahlkampf eine nie gekannte Mobilisierung von Spenden und Unterstützern über das Internet gelang, Elemente des Online-Campaigning. Umstritten ist jedoch, ob das den Wahlausgang beeinflusst. Denn im US-Wahlkampf herrschten, von den laxen Datenschutzbestimmungen abgesehen, andere Bedingungen. Es gab keinen regierenden Kandidaten, es ging darum, einen neuen Präsidenten zu wählen, von dem sich die große Mehrheit einen politischen Neubeginn erhoffte. Noch bei den vergangenen Wahlkämpfen war hierzulande viel von Amerikanisierung und Spin Doctors die Rede. 2009 ist klar, dass die Handlungsräume für Wahlkampfstrategien begrenzt sind. Einen wichtigen Unterschied benennt Wahlforscher Karl-Rudolf Korte: „Spin Doctors kommen von außen. Aus deutscher Sicht liegt hier das Problem: Parteien sind in Deutschland, anders als in den USA, nicht ausschließlich Wahlmaschinen, sondern wichtige Träger der politischen Willensbildung in einer Parteiendemokratie.“ 
Die Kanzlerin ist die Botschaft der CDU/CSU
Die Union setzt im Wahlkampf mit Angela Merkel auf eine Präsidialstrategie. Sie liegt in allen Umfragen vorn und profitiert vom Amtsbonus der Regierungschefin. „Ich bin eine gute Kanzlerin!“, lautet im Kern ihr Wahlprogramm, so wird sie im Wahlkampf exponiert, „jetzt ist nicht die Zeit für Experimente!“ CDU-Generalsekretär Pofalla steckt den Wahlkampfrahmen ab. „Ich will einen Wahlkampf für eine starke Union und möchte anschließend eine Koalition mit der FDP bilden“, benannte die Kanzlerin ihren Wunschpartner. Als unterstützende Werbeagentur setzt man im Konrad-Adenauer-Haus auf Hamburger Kreative. Die Agenturen Kolle Rebbe und Shipyard sollen schaffen, was McCann Erickson 2005 nicht gelang: ein Ergebnis über 40 Prozent zu erreichen. 2005 geriet man auf der Zielgeraden ins Schlingern, wichtige Wählerschichten nahmen die CDU als kalt und unsozial wahr. Merkel stand im öffentlichen Bewusstsein für wirtschaftliberale Positionen, entsprechend positionierte sie die Partei in der Mitte und wilderte auch in linken Gefilden. Dominic Veken, bei Kolle Rebbe für die strategische Planung zuständig, ist überzeugt: „Wahlwerbung ist mittlerweile Avantgarde. Hier sehen wir, in welche Richtung sich die Wirtschaftswerbung in Zukunft entwickeln wird.“ Der Titel eines Veken-Werkes, das im Frühjahr 2009 erschien, lautete: „Ab jetzt Begeis­terung. Die Zukunft gehört den Idealisten.“ Das müsse man auch für die CDU rüberbringen.
Merkel vermeidet es, zu polarisieren
Shipyard half in Hamburg Ole von Beust auf den Bürgermeisterstuhl, „Alster, Michel, Ole“ hieß es 2004 selbstbewusst. Im Wahlkampf 2008 präsentierte sich der Erste Bürgermeister als nachdenklicher Weltbürger. Dominic Veken sucht nach Gemeinsamkeiten zwischen Attac, Obama und Apple. Im Wahlkampf solle es um Emotionen, Ziele und Hoffnungen gehen, „der Trend geht zu idealistischen Botschaften“. Merkels Botschaft: Mit dem kleineren Koalitionspartner FDP kann ich eigene Vorstellungen und Reformideen besser durchsetzen, als mit der SPD. Ihre Aussagen klingen immer staatstragend: „Eine Politik des Maßes, der Mitte und der praktischen Vernunft“, offeriert die Kanzlerin. Ihre Antwort auf die wirtschaftliche Schieflage: „Durch Wachstum aus der Krise!“ Merkel vermeidet es, zu polarisieren: Wer nicht deutlich wird, liegt nicht falsch. Allerdings will sie die Kluft überwinden, die zwischen ihrer großen Beliebtheit und den Umfragezahlen der CDU besteht. Ohne die Spendenaffäre der CDU wäre die Kanzlerschaft einer protestantischen Frau aus dem Osten in einer konservativen, männlich dominierten Partei nicht möglich gewesen. Die Pastorentochter verkörpert einen deutschen Nachwendetraum und verschaffte sich dabei auch durch Härte Respekt. Jetzt aber betreibt die CDU Fehlervermeidung. Die „Kompetenzkampagne“ startete mit einer ersten Plakatierungswelle: „Wir haben die Kraft!“ Die Fachminister der CDU/CSU stehen dabei im Mittelpunkt. „Optisch ganz gefällig, inhaltlich eher unauffällig“, beschied Ex-Stoiber-Berater Michael Spreng angemessen. Eine zweite und dritte Welle soll auf der Zielgeraden großflächig die Kanzlerin zeigen.
Bei der SPD soll es der Zauberer richten
Chefstratege des SPD-Bundestagswahlkampfs ist Kajo Wasserhövel. Beim Wahlkampf 2005 schaffte es der heutige Bundesgeschäftsführer als „Zauberer“, den Stimmenanteil von 27 auf 34 Prozent zu steigern. Im Willy-Brandt-Haus dirigiert er die „Nordkurve“ genannte Wahlkampfzentrale. Werbliche Verstärkung hat sich die SPD mit der Agentur Butter ins Haus geholt, die auf Bundesebene bereits die Bundestagswahl 2005, den Hamburger Parteitag 2007 und die Europawahl betreute, Frank Stauss ist bei Butter der Verantwortliche. „Finanzhaie würden FDP wählen“ und „Dumpinglöhne würden CDU wählen“ lauteten die Europawahl-Botschaften. „Wir wollen die Menschen durch eine überraschende Kampagne motivieren, sich mit der Politik der Wettbewerber und dem Angebot der SPD auseinander zu setzen“, erläuterte Frank Stauss.
Schuldenbegrenzung statt Subventionen
Doch die Rechnung ging nicht auf. „Lebendig, mutig, einig“ lautet im Willy-Brandt-Haus in der „Nordkurve“ jetzt ein Mantra, immer neue Rückschläge rütteln an Strategie und Selbstbewusstsein. Die SPD musste mehrfach ihre Strategie neu ausrichten. So fanden die Bürger statt Subventionen um jeden Preis und der unbedingten Erhaltung jedes Arbeitsplatzes Gefallen an Ordnungspolitik und strikter Schuldenbegrenzung. Damit zerstörte Wirtschaftsminister zu Guttenberg die Hoffnungen der Genossen, mit Aktionen für den kleinen Mann eine Wende à la Schröder 2005 zu schaffen, in der Öffentlichkeit erhielt der gelglatte Oberfranke für seine unbeirrbare Haltung Zustimmung. Als SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in Potsdam Ende Juli sein 19-köpfiges Kompetenzteam präsentierte, signalisierte der Wahlkampfauftakt ein Problem, denn ursprünglich sollte alles auf den Herausforderer zugeschnitten werden. Doch das desolate Ergebnis der Europawahlen und miese Umfragewerte machten die Planungen zunichte. Steinmeier ging mit seinem „Deutschland-Plan“ auf Wahlkampftour, den Zeitungslesern lächelte Angela Merkel aus dem Tirolurlaub zu – und der Dienstwagen von Ulla Schmidt dominierte die Agenda. Zum Wahlkampfauftakt stürzte die SPD in der Wählergunst in einer Forsa-Umfrage mit 20 Prozent auf den schlechtesten Wert in diesem Jahr. Den „Deutschland-Plan“, der vier Millionen neue Arbeitsplätze bringen soll, hielten im „Polit-Barometer“ der Forschungsgruppe Wahlen nur 13 Prozent der Befragten für umsetzbar. Steinmeiers Problem: Es gibt schon Angela Merkel. Mit ihr sitzt er in der Regierung, viele Entscheidungen trafen sie gemeinsam. Rüde Attacken gegen die populäre Kanzlerin würde ihm das Wahlvolk verübeln. Durch den „Deutschland-Plan“ will er innovative ökonomische Ideen mit den traditionell sozialdemokratischen Wahlkampfschlagern Gerechtigkeit und soziale Kompetenz versöhnen. „Anpacken für unser Land“, lautet sein Credo, „in zehn Jahren wollen wir stolz sagen können: Wir haben Vollbeschäftigung erreicht.“ Wie im September die heiße Wahlkampfphase aufgekocht werden kann, wird den Genossen in der „Nordkurve“ noch Kopfzerbrechen bereiten.
Die FDP will „die Mitte stärken“
„Ideenreich“ heißt die Wahlkampfzentrale der FDP, Bundesgeschäftsführer Hans-Jürgen Beerfeltz verantwortet die Kampagnen. Er glaubt „die Zeit propagandistischer Wahlversprechen und hochglanzpolierter Wahlaussagen ist vorbei“. „Beerfeltz setzt aufs Internet, eine „Mitmach-Arena“, in der Anhänger den Wahlkampf gestalten sollen, bildet den Kern, „da müssen Sie gar nicht als Partei mit dem großen Lautsprecher unterwegs sein und die Leute mit Botschaften zudröhnen. Die machen das selber und geben uns gute Anregungen für die mediale Kampagne.“ Allerdings wird hier die Schwarmintelligenz beschworen, weil Geld fehlt. Das Kampagnenteam arbeitet ohne Honorar, gerade erhielt der FDP- Schatzmeister einen Strafbescheid über 4,3 Millionen Euro, ein Relikt aus der Parteispenden-Affäre um Jürgen Möllemann. An dessen „Spaßwahlkampf 2002“ denkt bei den Liberalen niemand gerne zurück. Stattdessen wird ein gelb-blauer Wahlkampf-Truck auf deutsche Marktplätze geschickt: „Die FDP zieht!“, glaubt Beerfeltz, „wo früher nur ein paar Leute kamen, wollen heute Hunderte den Spitzenkandidaten Westerwelle sehen.“ In allen Umfragen läuft es gut für den ehemaligen FDP-Kanzlerkandidaten. Den Schwerpunkt des FDP-Wahlkampfs 2009 liefert das „Deutschlandprogramm 2009“ unter dem Motto „Die Mitte stärken“. Die FDP tritt ohne Lead-Agentur an, unterstützt wird die Partei durch einen aus fast 20 Agenturen bestehenden Pool, den der ehemalige BBDO-Chairman Hartwig koordiniert, die Agentur Von Mannstein ist für die Umsetzung zuständig. Agenturchef Coordt von Mannstein war Berater Helmut Kohls, seine Agentur betreute viele Jahre die Wahlkämpfe der CDU. Für die organisatorische Umsetzung aller Werbe- und PR-Maßnahmen ist der Liberal Verlag zuständig.
„Du kannst easy online aktiv werden!“
Rudi Hoogvliet koordiniert im „Triebwerk“, der Wahlkampfzentrale von Bündnis 90/Die Grünen den Wahlkampf. Seine Zielgruppe ist technikaffin, niemand setzt wie er auf das Internet. Doch: „Wir werden auch weiter von Tür zu Tür laufen!“ Die Grünen positionieren ihren „Green New Deal“ gegen die Rezepte von Union und FDP, das Bundeswahlprogramm 2009 heißt „Neuer Grüner Gesellschaftsvertrag“. Sie gehen mit den Goldenen Hirschen ins Rennen, Kreativgeschäftsführer Bernd Heusinger erklärt: „Gute Markenartikelkampagnen funktionieren wie Politikwerbung: Sie sind dynamisch, es gibt ein Drehbuch und eine Dramaturgie.“ Im ersten Schritt werden die Anhänger mobilisiert, die zweite Stufe besteht aus Plakaten, TV- und Radiospots und noch geheimen „Guerrilla-Maßnahmen“. Der Onlinewahlkampf setzt auf Campaigning nach Obama-Art, auf der Plattform „Meine Kampagne“ verspricht Koordinatorin Lea Belsner: „Du kannst ganz easy online aktiv werden.“ Aber auch handfeste Vorschläge wurden erarbeitet: „Du kannst dich als Weihnachtsmann verkleiden und vor dem Willy- Brandt-Haus Geschenke verteilen, die leere Luft enthalten!“ Denn neu ist 2009, dass die Grünen ihren ehemaligen Regierungspartner attackieren, „wir wollen eine andere Gestaltungsmehrheit“, erklärt Renate Künast, „Grün ist eine Antwort auf die Wirtschafts-, Klima- und Hungerkrise“, sagt sie beim offiziellen Wahlkampfauftakt. „Es geht ums Ganze“, behauptet eines von zwölf Plakaten, ein anderes: „Aus der Krise hilft nur Grün!“ Künast verspricht: „Wenn wir zukunftsorientiert wirtschaften, können wir mindestens eine Million neue Jobs schaffen – in den nächsten vier Jahren.“ Meinungsumfragen sagen für den 27. September über 13 Prozent voraus. 2002 und 2005 waren die Wahlkämpfe ganz auf Joschka Fischer zugeschnitten, der einstige Straßenkämpfer elektrisierte das Wahlvolk. Steffi Lemke, als Bundesgeschäftsführerin mit der Leitung der Wahlkämpfe 2009 betraut, schickt zwar die bekanntesten Grünen Renate Künast, Jürgen Trittin, Cem Özdemir und Claudia Roth auf einen Veranstaltungsmarathon, „aber sicher nicht im großen Reisebus wie damals Joschka. Der Wahlkampf hat sich seit 2005 verändert. Es geht viel stärker um Dialog.“
Gysi und Lafontaine als Zugpferde
Reiner Strutz, Chef der Berliner Agentur Trialon, verantwortet gemeinsam mit der Agentur DIG die Werbung für die Linke. Sie müssen mit einem kleinen Budget haushalten. Deshalb setzen sie auf das Internet, vor allem als Organisationsinstrument und zur Mobilisierung von Unterstützern: „Das Netz ist wie die Straße ein öffentlicher und weitgehend demokratischer Raum. Diese Räume bilden den Schwerpunkt unserer Kommunikation.“ 2009 ist die Partei Die Linke etabliert, auch wenn sie aus höchst heterogenen Teilen besteht und bei der zurückliegenden Europawahl ihre Ziele nicht erreichen konnte. Bundeswahlkampfleiter Dietmar Bartsch sieht Die Linke als Marke, als Kernbotschaften nennt er „Mehr soziale Gerechtigkeit“ und „Friedenspartei“. Der Straßenwahlkampf soll die eigene Klientel erreichen, Bartsch verbindet mit den Auftritten der zwei Spitzenkandidaten Gregor Gysi und Oskar Lafontaine große Hoffnungen: „Wenn die beiden kommen, sind die Plätze voll.“ Auch Die Linke setzt auf die Wahlkampfschlussphase: „Es kommt auf die letzten vier Wochen an!“, glaubt Dietmar Bartsch. Im Mittelpunkt des Wahlkampfs der Linken stehen Forderungen nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn, gegen die Rente erst ab 67 und für den Abzug der Soldaten aus Afghanistan.

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