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Sonja Salmen
25.03.2013   News
"Unternehmen müssen sich bei Wunschkandidaten bewerben"
 
Sonja Salmen, Heilbronner Professorin im Studiengang Wirtschaftsinformatik mit Schwerpunkt Relationship und Social Media Management, erklärt im Interview, wie Social Media das Recruiting verändern und wie sich Unternehmen darauf einstellen können.

Die Bedeutung von Recruiting im Social Web steigt. Warum?

Sonja Salmen: Nun, die erste Generation der sogenannten Digital Natives drängt auf den Arbeitsmarkt. Sie ist mit dem Internet aufgewachsen und beherrscht den Umgang mit modernen Kommunikationsmitteln. Über soziale Netzwerke tauscht sich die Next Generation weltweit aus, organisiert sich via Facebook & Co. und informiert sich über potenzielle Arbeitgeber mittels digitaler Kanäle. Diejenigen Unternehmen, die sich sicher in den sozialen Netzwerken bewegen und intensiv Inhalte kommunizieren, sind bei der Besetzung offener Stellen im Vorteil. Die jungen, hochmotivierten und sehr gut ausgebildeten Talente werden aufgrund des demographischen Wandels rar. Und da immer mehr Baby Boomer in Rente gehen, werden immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte auf dem Markt zur Verfügung stehen. Ab sofort gehört es zur Unternehmenspflicht, sich nicht nur bei seinen Kunden sondern auch bei seinen Wunschkandidaten zu bewerben und nicht mehr, wie bislang üblich, umgekehrt. Eine solche "Unternehmensbewerbung" unterliegt strengen Auflagen seitens der Umworbenen. Um "Employer of Choice" bei den begehrten Wunschkandidaten zu werden, spielt das gelebte Image eine entscheidende Rolle im "War for Talents".

Wie sollten Arbeitgeber im Social Web Kontakt zu potenziellen Bewerbern der Millenniums-Generation aufnehmen?

Salmen: Soziale Netzwerke bieten im Bereich Recruiting enorme Potenziale. Junge Talente erwarten heute, dass für sie interessante Arbeitgeber sich professionell in sozialen Netzwerken präsentieren. Diese Multitasker informieren sich im Social Web in Bezug auf ihren potenziellen Arbeitgeber insbesondere über Karrierewege, offene Stellen, relevante Unternehmensdaten oder Gehaltsangebote. Von immer größerer Bedeutung bei der Arbeitgeberwahl ist eine Lebensstil-Integration, das heißt der Wunsch, Arbeits- und Privatleben unter einen Hut zu bekommen, das Arbeitsplatzklima und die Corporate Social Responsibility. Diese Themen gilt es in einem Dialog auf Augenhöhe mit den Wunschkandidaten zu erörtern, um ihnen den gewünschten Werte-Check zu ermöglichen. Die sogenannten Ypsiloner sind es gewohnt, alles kritisch zu überprüfen, und legen sehr großen Wert auf Integrität. Daher sind für sie Authentizität und Glaubwürdigkeit entscheidende Auswahlkriterien bei der Wahl des Arbeitgebers.

Meine Empfehlung: Vermitteln Sie durch audiovisuellen Content Authentizität sowie emotionale Wärme und Verbundenheit mit Ihren Wunschkandidaten - und das stets auf Augenhöhe. Hierfür eignen sich besonders Mitarbeitertestimonials. Das heißt Kurzvorstellungen oder Erfahrungsberichte in Form von Bildstrecken, Video-Clips oder Podcasts, Blogs oder Web-Tagebüchern können zur authentischen und glaubwürdigen Vermittlung von Kernaussagen gezielt auf der Karrierewebsite zum Einsatz kommen. Für eine positive Wahrnehmung hier einige Tipps: Mitwirkende sollten nicht wirken wie Models oder gar solche sein. Einblicke in den Berufsalltag sollten realistisch und nicht idealistisch nachgezeichnet werden. Die Mitarbeiter können ruhig mal nicht nur gradlinige Lebensläufe aufweisen, das suggeriert ein menschliches Miteinander beziehungsweise, dass Andersartigkeit willkommen ist. Mitarbeiter sollten aus unterschiedlichen Lebensperspektiven die Vorzüge ihres Arbeitgebers schildern. Dabei empfehlen sich Themen wie Freizeitgestaltungsmöglichkeiten am Arbeitsort, Familienfreundlichkeit, Entwicklungsperspektiven und Spaß an selbstbestimmter Arbeit. Vordefinierte Regelwerke sowie kontinuierlicher Austausch zwischen dem Autor des Mitarbeiterblogs und dem Verantwortlichen der Karrierewebsite stellen sicher, dass durch die Vermittlung von Eindrücken und Emotionen ein attraktives Employer Branding erreicht wird.

Bitte berücksichtigen Sie, dass die Generation Y private Netzwerke wesentlich differenzierter definiert als es die potenziellen Vorgesetzten - meist Generation X - es tun. Private Netzwerke dienen der privaten Kommunikation zwischen Menschen zu privaten Themen. Persönliche Jobempfehlungen sind hierbei akzeptabel. Die professionalisierte Ansprache und das Headhunting, wie man es aus den Business-Netzwerken kennt, gelten hier als unerwünscht und lassen den Eindruck entstehen, dass nichts mehr privat ist. Der Digital Native begrüßt es, sich in sozialen Netzwerken über potenzielle Arbeitgeber selbstverantwortlich zu informieren und besucht gerne deren Unternehmensprofile.

Lassen sich Fach- und Führungskräfte der Generation Y heute überhaupt noch rein auf klassischem Wege rekrutieren?

Salmen:
Freilich ist dies möglich, laut der BSI Trendstudie klappt das zum Beispiel über Hochschulmessen zu 50 Prozent, zu 43 Prozent über persönliche Kontakte zu Mitarbeitern und zu 26 Prozent über Broschüren. Mit 23 Prozent wird auch fast ein Viertel der Fach- und Führungskräfte über einen Tag der offenen Tür rekrutiert. Der Königsweg der Generation Y, um sich über einen potenziellen Arbeitgeber zu informieren, ist jedoch eindeutig mit 89 Prozent das Internet. Die erste Anlaufstelle für jobsuchende junge Talente im deutschsprachigen Netz ist die Unternehmenswebsite, gefolgt von der Karrierewebsite, dem Business-Netzwerk XING und dem sozialen Netzwerk Facebook.

Ein weiterer wichtiger Erfolgsfaktor im Wettstreit um die Besten ist die Schnelligkeit des Recruitingprozesses, der sich durch Social Media um 20 Prozent optimieren lässt.
Zweifelsfrei wird Social Media Recruiting zu einer Optimierung der Arbeitgebermarke beitragen und zu einer erhöhten Interaktivität mit mehr und passenderen Kandidaten der Millenniums-Generation führen. In naher Zukunft werden Ypsiloner auch die Chancen der Selbstpräsentation im Rahmen privater Netzwerke wie Facebook und Google+ für die passive sowie aktive Jobsuche zu nutzen verstehen. Derzeit erfolgen die meisten Bewerbungen sowie Arbeitgeberrecherchen von aktiven Jobsuchenden noch via Computer, Notebook oder Laptop. Die Millenniums-Generation wird in naher Zukunft jedoch Mobile-Recruiting-Tools aktiv einfordern, da sie es liebt, flexibel, wenn es gerade passt und ortsungebunden neue Dinge im Web aufzuspüren. Dazu werden auch neue berufliche Herausforderungen mit anschließender Bewerbung gehören. Für Unternehmen besteht also Handlungsbedarf.

Was empfehlen Sie, um das Risiko einer Reputationsschädigung im Social Web zu minimieren?

Salmen:
Reputationsschäden lassen sich durch umsichtige Vorsorge eingrenzen. Vorsorge ist unverzichtbar, denn Nachsorge ist im Social Web nur noch bedingt möglich und bedingt einen enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Unvorhersehbare Krisen wie zum Beispiel durch Verleumdungen, Unterstellungen oder Qualitätsmängel wie etwa der derzeitige Lebensmittelskandal in Deutschland lassen sich durch ein pro-aktives Konfliktmanagement konstruktiv bewältigen. Hierzu ist der Einsatz von maßgeschneiderten Social Media Monitoring Tools unbedingt erforderlich. Ich kann jedem im Social Web aktiven Unternehmen nur empfehlen, für die Überwachung und Analyse des Kommunikationsaufkommens professionelle Tools und gut qualifizierte Business-Intelligence-Experten einzusetzen. Wichtig sind insbesondere klar verständliche Social Media Guidelines und eine unternehmensweite Schulung der im Social Web aktiven Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, und zwar auf allen Hierarchiestufen und Abteilungen. Denn, nur wer mitmacht, ist authentisch, gewinnt Vertrauen und damit die Gunst der Netzwerker für sein Mitmach-Unternehmen. Im Fall einer ungerechtfertigten Reputationsschädigung kann die Loyalität der eigenen Fangemeinschaft einen größeren Imageschaden verhindern helfen. Wer mehr über den Umgang mit High Potentials im Rahmen eines professionellen Talentmanagements 2.0 erfahren möchte, den lade ich recht herzlich zu der von mir konzipierten gleichnamigen Fachtagung am 29. April in Frankfurt am Main ein.

Sonja Salmen lehrt seit 2003 an der Hochschule Heilbronn im Studiengang Wirtschaftsinformatik Betriebswirtschaftslehre, Online Marketing, Social Media Management, Electronic Relationship Management sowie Strategisches Management im Umfeld des E-Business. Sie ist Direktorin im Electronic Business Institut der Hochschule Heilbronn und Geschäftsführerin des Steinbeis Beratungszentrums für Electronic Business im Steinbeis-Transferzentrum Heilbronn.

Interview: Andrea Munz
 

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