Nach der Verurteilung ihres ehemaligen Bundesvorsitzenden kämpft die Arbeitnehmerorganisation AUB nun mit strikter Offenheit um ihr Image und ihr Bestehen. Dass sie bei den Betriebsratswahlen 2010 ein Wörtchen mitzureden hat, will sie im kommenden Jahr beweisen. Von Andrea Bittelmeyer
Rainer Knoob hat ein schweres Erbe angetreten. Nach dem Skandal um die Arbeitnehmerorganisation unabhängiger Betriebsangehöriger (AUB e.V.), die sich als Dienstleister für nicht gewerkschaftlich organisierte Betriebsräte versteht, hat sich der 42-jährige Flugzeugmechaniker und Airbus-Betriebsrat zum neuen Bundesvorsitzenden wählen lassen. Seit zwei Jahren kämpft er mit der brisanten Hinterlassenschaft seines Vorgängers Wilhelm Schelsky, die das Aus für seine Organisation bedeuten kann.
Schelsky wurde im November 2008 wegen Betrugs, Beihilfe zur Untreue und Steuerhinterziehung zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Landgericht Nürnberg-Fürth sah als erwiesen an, dass über die Unternehmensberatung des langjährigen AUB-Vorsitzenden Siemens-Gelder in Millionenhöhe an die AUB geflossen sind. Schelsky hatte den Auftrag, die Arbeitnehmerorganisation als Gegengewicht zur unbequemen IG Metall aufzubauen und damit dem damaligen Siemens-Vorstand das Leben leichter zu machen. Insgesamt strich Schelsky von 1991 bis 2006 etwa 46 Millionen Euro von Siemens ein, die zumindest zum Teil der AUB zugute kamen.
Die verdeckten Zahlungen durch den Elektronikkonzern sind nicht nur ein unschöner Betrugsskandal für die AUB, die neben Siemens auch in anderen großen Unternehmen wie Airbus, Ikea und Aldi vertreten ist. Sie haben die Organisation in ihrem Kern erschüttert. Denn – so der berechtigte Aufschrei von Gewerkschaften, Arbeitsrechtlern und Öffentlichkeit – eine vom Arbeitgeber finanzierte Arbeitnehmervertretung schwächt die Mitbestimmung in den Unternehmen. Sie ist für die Arbeitnehmer kontraproduktiv. „Schelsky hat uns massiv geschadet“, erklärt auch Knoob, der nach wie vor Betriebsratsmitglied bei Airbus ist und sich derzeit mit der AUB für die Betriebsratswahlen 2010 rüstet. Trotz seiner schwierigen Lage verteidigt der Bundesvorsitzende selbstbewusst die Idee von der unabhängigen Arbeitnehmerorganisation, deren Vertreter – in Abgrenzung von den Gewerkschaften – unabhängig von zentral gesteuerten Einflüssen und ohne „Gleichmacherei“ an unternehmensspezifischen Lösungen arbeiteten. An die rund 2.500 Betriebsräte unter den AUB-Mitgliedern appelliert er, ihre AUB-Zugehörigkeit im Wahlkampf zu kommunizieren. „Niemand hat Grund sich zu verstecken. Wir können erhobenen Hauptes in den Wahlkampf ziehen.“
Damit vertritt Knoob, der wie alle Vorstände ehrenamtlich für die AUB arbeitet, auch in der Nach-Schelsky-Ära eine mutige Position. Denn: Während die AUB ihre Vorgehensweise in den Unternehmen „ideologiefrei, betriebsnah und zukunftsorientiert“ nennt, haben die Gewerkschaften diesen Ansatz auch schon vor dem Skandal als „arbeitgeberfreundlich“ und die AUB als „Pseudo-Gewerkschaft“ bezeichnet. Schon immer habe man sich gewundert, woher die AUB mit ihrer im Vergleich zu den Gewerkschaften sehr geringen Mitgliederzahl das Geld für den Wahlkampf in den Unternehmen nehme. Mit dem Schelsky-Skandal sehen die Gewerkschaften ihre Vorwürfe bestätigt und haben ihre Kritik an der Konkurrenz noch verschärft.
Auch Knoob trat nicht immer so selbstbewusst auf wie heute. Noch im Sommer 2008 fiel ihm eine strikte Neupositionierung der AUB schwer. Der Prozessbeginn im September stand an, die Affäre Schelsky hatte in den Medien Hochkonjunktur und jeder Kontakt mit der Presse war ein Spießrutenlauf. Knoob wusste in vielerlei Hinsicht nicht, was er auf die kritischen Fragen der Journalisten antworten sollte. So wurde ihm beispielsweise geraten, zu den Mitgliederzahlen, die Schelsky jahrelang viel zu hoch ausgewiesen hatte, keine Angaben zu machen. Schelsky hatte 30.000 Mitglieder statt der tatsächlichen 10.000 genannt, um die AUB bedeutender erscheinen zu lassen. Mit dem Skandal waren bis zum Sommer 2008 weitere 2.500 Mitglieder ausgetreten – nichts, worüber ein Bundesvorsitzender gern berichten würde. Noch schlimmer aber sei das ständige Ausweichen gewesen, berichtet Knoob heute. Das habe die Journalisten noch misstrauischer gemacht.
Flucht nach vorn
„Bei der AUB herrschte große Verunsicherung“, erklärt der im Juli 2008 engagierte Kommunikationsberater Hasso Mansfeld, der seither auch als Sprecher der Organisation fungiert. Er gab das Signal, die Flucht nach vorn anzutreten, und setzte sich selbst an die Spitze der Aufklärung. Die Mitgliederzahlen mussten strikt offengelegt werden und eine klare Aussage zur derzeitigen und künftigen Finanzierung der AUB erfolgen. Diese wird laut dem neuen Vorstand ausschließlich durch Mitgliedsbeiträge und Betriebsräte-Schulungen bestritten. Das hat bereits rigorose Kostensenkungen notwendig gemacht, aus denen ebenfalls kein Hehl gemacht wurde: So schloss die AUB die Landesgeschäftsstellen und reduzierte die Zahl der Festangestellten von ehemals 15 auf vier Mitarbeiter. Die monatlichen Mitgliedsbeiträge wurden von acht auf zwölf Euro angehoben.
Betont hat der neue AUB-Vorstand gegenüber Journalisten ebenfalls, dass Schelskys Machenschaften der Basis nicht bekannt waren. So erklärt Knoob, während seiner gesamten Betriebsratstätigkeit bei Airbus zwar hin und wieder Werbematerialien, aber niemals unrechtmäßige Zahlungen erhalten zu haben – weder von der AUB noch von Airbus. Gehört habe er allerdings von einem „mittelständischen fränkischen Sponsor“ der AUB. Er habe vermutet, Schelsky investiere eigenes Geld. Die AUB sei zwar insgesamt von Siemens gefördert worden, das Unternehmen habe aber keinesfalls Betriebsräte in ihren Entscheidungen beeinflusst. Auch der neue stellvertretende Bundesvorsitzende Heinz-Jürgen Forstreuter, der bei Siemens in Düsseldorf 30 Jahre lang als Betriebsrat tätig war, erklärte: „Es gab – auch in der gesamten Gerichtsverhandlung – keinen einzigen Hinweis auf einen Betriebsrat, der finanzielle Zuwendungen bekommen und daraufhin seine Handlungsweise geändert hätte.“
Die korrekte Beantwortung der Presseanfragen war der AUB jedoch nicht genug. Sie wollte aktiv für eine aus ihrer Sicht faire Berichterstattung kämpfen. Gemeinsam mit Berater Mansfeld besuchten Knoob und sein Vorstandskollege Forstreuter vor dem Prozessbeginn im September zahlreiche Wirtschaftsredaktionen großer Zeitungen und Magazine – von der „Süddeutschen Zeitung“ über die „FAZ“ bis zum „Handelsblatt“ und der „Wirtschaftswoche“ –, um ihre Lage zu schildern. Mit Erfolg: Es erschienen ers-te Artikel und Interviews, in denen nicht nur die berechtigte Kritik wiederholt, sondern auch ihre Sicht der AUB dargestellt wurde.
Spaß an scharfen FragenDabei war es sicher zuträglich, dass sich die AUB-Führung in den Gesprächen mit Journalisten nicht schonte. „Wir kommen aus diesem Tal der Tränen nur heraus, wenn wir die Hosen runterlassen“, verkündetet etwa Forstreuter. Er selbst, Gründungsmitglied der AUB und heute in Altersteilzeit, wirft sich öffentlich vor, nicht genügend nachgefragt zu haben – auch dann nicht, als Schelsky Gelder offensichtlich fragwürdig einsetzte. „Einmal habe ich zu meiner völligen Überraschung im Fernsehen die Curling-Nationalmannschaft im AUB-Trikot gesehen.“ Da habe er den als unnahbaren Autokraten geltenden Schelsky gefragt, warum er Geld für so etwas habe. „Das geht dich überhaupt nichts an“, habe der nahezu wörtlich geantwortet. „Ich hätte mich damit nicht zufrieden geben dürfen“, gab Forstreuter bei den Redaktionsbesuchen und in den Interviews zu. Auch bei einer öffentlichen Anhörung, die die AUB in Nürnberg organisiert hatte, entwaffneten die Vorstände die Öffentlichkeit und anwesende Gewerkschaftsvertreter mit fast unbekümmerter Offenheit.
An scharfe Fragen haben sich die AUBler mittlerweile gewöhnt, sie scheinen ihnen fast Spaß zu machen und der souveräne Umgang damit die Organisation auch nach innen zu stärken. Am Tag der Urteilsverkündung gegen Schelsky hatte die AUB bereits so viel Selbstsicherheit gewonnen, dass sie im Gerichtssaal ihre „Göttinger Thesen zur neuen Transparenz in der Betriebsratsarbeit“ verteilte. Diese nehmen nicht nur auf den eigenen Skandal Bezug, sondern auch auf die anderen Betriebsratsaffären der jüngsten Vergangenheit wie zum Beispiel bei Volkswagen. Nach den Thesen sollen unter anderem die Bezüge der Betriebsräte ebenso wie die der Vorstände im jeweiligen Unternehmen offengelegt werden. Betriebsratsentscheidungen sollen grundsätzlich öffentlich abgehalten werden.
Heute, im Vorfeld der Betriebsratswahlen 2010, erklärt die AUB, dass der durch den Skandal ausgelöste Abwärtstrend bei den Mitgliederzahlen gestoppt sei. Für das Jahr 2009 würden 250 Zugänge 150 Abgängen gegenüberstehen. Dennoch ist die AUB mit heute 6.200 Mitgliedern an der Untergrenze der Wirtschaftlichkeit angelangt. Mansfeld mahnt: „Wir dürfen jetzt nicht auf die Zahlen schauen wie das Kaninchen auf die Schlange. Wir müssen uns weiter für die Idee der unabhängigen Arbeitnehmervertretung stark machen.“ Im vergangenen Jahr habe man im Großen und Ganzen nur reagieren können. Jetzt ist es sehr viel ruhiger, die AUB will stärker mit Inhalten in die Offensive gehen. Dass dabei auch wieder jede Menge Kritik aufgewirbelt werden wird, scheint Mansfeld nicht zu stören. Er erklärt kampfeslustig: „Je stärker wir angegriffen werden, desto breiter ist unsere Bühne."