Das Vorstandsmitglied hat sich feingemacht fürs Interview. Der Pressesprecher brieft ihn mit den jüngsten Zahlen. Das Kamerateam leuchtet bereits seit einer halben Stunde ein. Dann der große Moment des Interviews. Der Vorstand lobt die Leistungen seines Unternehmens, die Errungenschaften von Sozial- und Umweltstandards. Dumm nur, dass das den Journalisten kaum zu interessieren scheint. Stattdessen hackt er immer wieder auf den Zuständen bei dem Zulieferer in Bangladesch (wahlweise: die gequälten Hühner, die Kameras in den Umkleidekabinen, die Gewehre, die in Mexiko landeten) herum.
Dann kommt der Beitrag zur Aufführung und Empörung und Entsetzen sind groß: Eine halbe Stunde Interview und nur 15 Sekunden davon im Beitrag – und ausgerechnet die 15 Sekunden, bei denen das Vorstandsmitglied so gar nicht überzeugend rüberkam. Der Pressesprecher gerät unter Druck, muss sich rechtfertigen. Ein wütender Brief an den Intendanten ist jetzt das Mindeste, was er in die Wege leiten muss, um "diese Form des Journalismus" ein für allemal zu unterbinden.
Verbreitetes Missverständnis
Dumm nur, dass weder der Intendant noch der Justitiar an der Vorgehensweise seiner Redaktion etwas auszusetzen hat. In vielen Unternehmen hat sich ein Missverständnis breitgemacht: Nämlich, dass sich aus der Länge eines gegebenen Interviews irgendein Recht auf gesendete Minuten herleiten ließe. Wenn ein investigativer Journalist Vorwürfe gegen ein Unternehmen berichten will, muss er der Gegenseite Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Und zwar zu jedem einzelnen Vorwurf. Sei es schriftlich oder im Interview. Und Justitiare achten in der Regel sehr sorgfältig darauf, dass die Entgegnung im Beitrag angemessen berücksichtigt und dargestellt wird. Nur: Das verpflichtet den Journalist noch lange nicht, Statements zu veröffentlichen, die mit dem berichteten Vorwurf nichts zu tun haben. Allgemeine Lyrik darüber, wie segensreich das Unternehmen in der strukturschwachen Region Arbeitsplätze gesichert hat, ist nun mal keine Entgegnung auf den Vorwurf der tierquälerischen Hühnerhaltung.
Erfahrung mit Nebelkerzen
Das gilt auch für das schriftliche Statement: Zehn- und mehrseitige Stellungnahmen bezeugen eindrucksvoll den Fleiß des Pressesprechers. Aber sofern sie nichts mit dem berichteten Vorwürfen gegen das Unternehmen zu tun haben, sind sie uninteressant. Zumal es in manchen Pressestellen zur Masche verkommen ist, kurz vor der Ausstrahlung eines kritischen Beitrages die Redaktion mit nicht überprüfbaren Behauptungen, Zahlen und Fakten zu spammen. Die Hoffnung dabei ist, dass die Redaktion unsicher wird und möglicherweise das Thema doch noch mal liegen lässt. Bei einer unterbesetzten Lokalzeitungsredaktion mag das manchmal sogar noch funktionieren. Nur: Redaktionen, die regelmäßig investigativ arbeiten, haben längst große Routine darin, die relevanten Antworten von Nebelkerzen-Fakten zu unterscheiden. Und nur die werden sie bringen, selbst auf die Gefahr hin, dass hinterher wieder das Wort vom "Schweinejournalismus" die Runde macht.
Pressesprecher sind deshalb gut beraten, wenn sie auch in ihrem Unternehmen eine realistische Vorstellung davon vermitteln, in welchem Umfang ein Statement überhaupt zur Aufführung kommen kann. Dass ein zehnminütiger Vortrag nicht in einen fünf Minuten langen Magazinbeitrag passt, sollte allen Beteiligten eigentlich klar sein.
Adrian Peter ist CvD bei der SWR-Sendung Report Mainz. In seinem ersten Beitrag beklagt er die
"Mär von der Partnerschaft zwischen PR und Journalismus", acht weitere Thesen stellen wir in loser Reihe vor und freuen uns über Kommentare! #petersthesen