Showdown in Düsseldorf
Inkompetenz, Ignoranz und Inkonsequenz auf strategischer, operativer und kommunikativer Ebene haben die Metro in eine Sackgasse manövriert. Droht der Ausverkauf? Von Bijan Peymani
Am Ende holt die Vergangenheit einen stets wieder ein. Auch in der Metro Group ist diese Ahnung in bittere Erkenntnis umgeschlagen. Ihre Lenker kauften in den Anfangsjahren ein wildes Handelsportfolio zusammen, erst befeuert vom eigenen Größenwahn, später unter dem Druck der nach Investmentstories gierenden Börse. Die blinde Vorwärtsstrategie degradierte Bestand, Markenführung und Kommunikation zur Fußnote.
Solange das Marktumfeld intakt und die Wirtschaft am Wachsen waren und für die diversen Geschäfte genug Nachfrage zu stimulieren war, gelang es der Metro, ihre strukturellen und vor allem kulturellen Defizite zu übertönen und ein starkes Profil aufzubauen. Doch inzwischen ist Krise. Und seit deren Ausbruch kann der Konzern die Schwächen im Management und die strategischen Fehlentscheidungen insbesondere ab 2006 nicht mehr kaschieren. Vorbei die Zeit der Jubeldepeschen – auf der Suche nach dem früheren Glück hat die Metro eine kleinlaute Bescheidenheit erfasst.
„Das Hauptproblem scheint mir zu sein, dass der Konzern sich bei seiner Expansion darauf beschränkte, mit dem Gewinn aus Metro Cash & Carry bereits fertige Geschäftsmodelle zu übernehmen und durch den Kauf von Wettbewerbern auszubauen“, analysiert Thomas Roeb, Professor für Handel an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Nie aber habe man die Konzepte so fortentwickelt, dass sie sich verändernden Marktbedingungen hätten Stand halten können.
Misserfolge in Serie
Es sei schon bemerkenswert, dass die Düsseldorfer mit marktführenden Ketten wie Praktiker (Baumärkte) oder Vobis (Computer) „komplett gescheitert“ seien, betont Roeb. Kaufhof leide seit der Übernahme durch die Metro vor mehr als 30 Jahren unter der Strukturkrise der Warenhäuser, der SB-Supermarkt Real verharre seit gut zehn Jahren im Siechtum. Jüngst kriselte zudem der Elektronikbereich um Media-Saturn. Nun bricht auch noch den auf Gewerbekunden ausgerichteten C+C-Großmärkten Umsatz weg.
Dabei ist das C+C-Geschäft mit knapp der Hälfte der gut 66 Milliarden Euro Gesamtumsatz die Lebensader der Metro Group. In den ersten neun Monaten 2012 soll die Sparte gegenüber dem Vorjahreszeitraum drei Prozent weniger erlöst haben. Selbst flächenbereinigt sanken die Umsätze – laut Beobachtern die Quittung für eine falsche Sortimentspolitik, sehr schlechten Service in den Märkten und ein um die Hälfte gekapptes Werbebudget.
Nach Recherchen der „Lebensmittelzeitung“ hat sich hier im vergangenen Jahr ein dreistelliges Millionen-Minus angehäuft. Die Metro-Konzernkommunikation sah sich dem Vernehmen nach daraufhin veranlasst, bei dem Branchenorgan zu intervenieren. Doch mehr als ein Wortlaut-Interview mit dem C+C-Deutschland-Chef Dominique Minnaert in der „LZ“-Folgeausgabe war nicht rauszuholen. Der Franzose durfte die Darstellung vom dreistelligen Millionenverlust dementieren – eine Vision für die Zukunft konnte er nicht bieten. Seine Aneinanderreihung von Allgemeinplätzen („gute Ansätze“, „brauchen Zeit“, „Schritt für Schritt sichtbar“) gleicht einem Offenbarungseid.
Es fehlen Konzepte, es fehlt Nachhaltigkeit in Strategie und Kommunikation, um wenigstens ein Stück der durch den Zickzack-Kurs (siehe Kasten links) nicht nur öffentlich, sondern auch unter den 280.000 Mitarbeitern zerstörten Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen.
Einen wesentlichen Grund für den Niedergang der Metro sehen Ex-Manager in der Tatsache, dass es nie gelungen sei, die unterschiedlichen Kulturen, die durch die massive Expansion aufeinanderprallten, zu vereinen. Es sei noch nicht einmal der Versuch dazu unternommen worden. „Eine nach innen gerichtete Fusionskommunikation, wie man sie klassischerweise nach Zukäufen vornimmt, hat praktisch nicht existiert“, bestätigt ein Insider.
Hinzu kamen unter der Ägide von Eckard Cordes Defizite in der Außendarstellung, die sich im Wesentlichen auf Pressearbeit reduzierte und die bisherige Markenstrategie auslöschte, insbesondere aber unter Cordes von Abschottung und einer fehlenden Dialogbereitschaft gekennzeichnet war. Die Metro fiel in ein Kommunikationsloch, für den langjährigen Chef der Konzern-PR Wolfgang Griepentrog war dieses Klima der Auslöser, seinen Hut zu nehmen, wie Weggefährten berichten. Man habe damals ein „nettes Image, aber keine Reputation mehr“ gehabt, sei „mit Themen bei Stakeholdern nicht mehr durchgedrungen“.
„Wenn ein Unternehmen erfolgreich wächst, geht es nicht mehr vor allem darum, die eigenen Kompetenzen darzustellen, sondern eine Art Widerstandskraft aufzubauen“, sagt Griepentrog, der heute als Interim-Manager und Berater arbeitet. Das bedeute, etwaige Reputationsrisiken in den Blick zu nehmen und das Unternehmen danach strukturell, personell, aber auch hinsichtlich der Budgets auszurichten. „Und wenn es wie die Metro weltweit agiert, dann reicht es eben nicht, nur ein Management für die nationale Kommunikation zu etablieren“, so der damalige PR-Stratege.
Fast schon verzweifelt bemühte sich einer von Griepentrogs Nachfolgern, Michael Inacker, mit CSR-Themen die Deutungshoheit für Deutschlands größten Händler zurückzuerobern. In den knapp drei Jahren auf der Sprecherbrücke fand Inacker jedoch intern nie die nötige Akzeptanz für sein Vorhaben. Zwar genoss er große Machtfülle und die absolute Rückendeckung von Cordes, doch nicht das Vertrauen der Mitarbeiter, und das der Haniel-Familie sowieso nicht. Erschwert haben dürfte Inackers Tagesgeschäft, dass einzelne Metro-Töchter und -Vertriebslinien mit ihrem scharfen Billigprofil sowie zweifelhaften Beschäftigungs- und Entlohnungsmodellen bestimmte Kulturmerkmale des Konzerns konterkarierten.
Inacker ging „im Einvernehmen“; seit gut einem Jahr verantwortet Peter Wübben die Metro-Kommunikation – und muss vor allem schlechte Nachrichten verkaufen. Es sind Ergebnisse problematischer Entscheidungen des Konzerns, etwa der Verkauf der Linie „Extra“ mit ihren kleinen Ladenflächen, die heute – angesichts eines veränderten Verbraucherverhaltens – unter dem Rewe-Dach als Nachbarschaftskonzept reüssieren. Oder der Fokussierung auf Cost-Cutting ohne strategische Neuausrichtung im Restrukturierungsprogramm „Shape“ durch Cordes.
Der werbliche Aufbau der Elektroniktöchter Media-Saturn als Preisführer habe sich im Marktauftritt nicht wiedergefunden, kritisiert Roeb: „Als dies den Verbrauchern deutlich wurde, brach die Positionierung in sich zusammen.“ Bei Kaufhof und Real sei das Problem „noch viel gravierender“ gewesen, fügt der Experte hinzu. „Beide hatten nie eine mit Media-Saturn vergleichbare klare Positionierung“, so Roeb, „und damit fehlte auch der Fokalpunkt für eine konsistente Markenführung.“
Kaufhof ist bieder und tritt letztlich auch so auf. Entscheidend ist jedoch die Unzulänglichkeit des Leistungsangebots. Analog gilt dies für Real, dem Mitbewerber Kaufland seit Jahren den Rang abläuft. Jüngst warf auch noch Manfred Mandel hin, seit 2007 CMO von Real. Er galt als Verfechter einer nachhaltigen Markenstrategie, wozu seiner Überzeugung nach auch TV-Werbung gehört. Dies war unter Real-Chef Didier Fleury – ein Fan Kosten sparenden Vertriebsmarketings – offenbar nicht mehr durchsetzbar.
Die Probleme also häufen sich bei allen Formaten. Nun sei es nicht so, dass das in der Metro-Chefetage niemandem auffiele, sagt Roeb: „Die betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und das vom Kunden gelernte Image lassen sich aber nicht oder nicht genug ändern, und damit fehlen die Voraussetzungen, um den Marktauftritt grundlegend zu optimieren.“ Bleibt also letztlich nur die Abwicklung?
Denn von der dreistufigen Retail-Pyramide, die Ex-Vorstandsboss Hans-Joachim Körber gern für die Metro und ihre Vertriebslinien zeichnete, ist im Alltag kaum etwas zu sehen, einzelne Pilotgeschäfte ausgenommen.
Wäre kleiner besser?
„Die Metro hatte zwischenzeitlich nur noch aus der Größe heraus agiert und durch ihre schon fast unkontrollierte Expansion einen Komplexitätszuwachs erreicht, der heute allenfalls durch konsequente Desinvestition zu lösen wäre“, urteilt Berater Günther Fiesser aus Freiburg. Haupteigner Haniel habe das wohl erkannt, aber ein Format zurückzufahren oder Standorte zu schließen, sei „noch schwieriger als die Expansion – die Warenbestände stehen ja in den Bilanzen, die kriegen Sie unter Verlusten nur noch mit hohen Rabatten los“.
Aus Sicht von Handelsexperte Fiesser hat sich die Metro als Marken- und Formatvernichtung erwiesen. In den zurückliegenden Jahren sei hier „nachweisbar ein gigantischer Markenwert“ vernichtet worden, sekundiert ein Kenner und spricht in der mittelfristigen Retrospektive von „mindestens 100 Millionen Euro“. Fiesser jedenfalls sieht keinen Turnaround für die Formate, er könne sich eher vorstellen, dass die Metro-Holding „in ein paar Jahren nur noch halb so groß“ ist. Zu lange hat die Mutter Haniel nicht reagiert.
Experte Roeb: „Haniel hat diese Krisen nicht auf ihre wahre Ursache zurückgeführt und seine eigenen Fähigkeiten zur Behebung der Probleme überschätzt.“ Als Handelsfremder muss sich Koch auf die Fachkompetenz in der Führung der einzelnen Töchter verlassen. „Das hat bereits bei Cordes nicht ausgereicht, vermutlich auch deshalb nicht, weil die aktuellen Krisen derart struktureller Natur sind, dass sie mit Kompetenz allein nicht mehr zu beheben sind“, mutmaßt Roeb, „finanzielle Mittel stehen jedoch nicht mehr zur Verfügung.“
Koch komme aus der Private-Equity-Szene und könne umfangreiche Erfahrungen in Kauf und Verkauf von Unternehmen vorweisen, ergänzt Jörg Funder, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Internationales Handels- und Distributionsmanagement an der FH Worms. Dass Real und Kaufhof insgeheim seit langem zur Disposition stünden, sei „kein Geheimnis, und bei der aktuellen Entwicklung ist auch eine Auflösung der restlichen Metro-Positionen durchaus denkbar“, so Funder, Olaf Koch als Abwickler? „Ja, wahrscheinlich“.
Metros kommunikative Fehlzündungen
Unter der Leitung von Eckhard Cordes sei die Metro zum „bloßen Ankündigungsweltmeister” mutiert, ätzte Ingo Speich, Fondsmanager bei Union Investment, auf der Hauptversammlung im vergangenen Mai. Cordes war von 2006 bis Ende 2011 Vorstandschef des Konzerns und gilt in den Augen vieler Beobachter als maßgeblich verantwortlich für die heutige Misere. Neben strategischen Fehlentscheidungen wird vor allem sein selbstbezogener Führungs- und Kommunikationsstil kritisiert. Mehrfach hatte Cordes der Öffentlichkeit außerdem ehrgeizige Pläne präsentiert, um die Metro zukunftsfähig zu machen. Von diesen musste er in der Folge immer wieder abrücken. So sah er für Media-Markt und Saturn ursprünglich den Börsengang vor, verstrickte sich stattdessen jedoch in einen bis heute schwelenden Streit mit den dortigen Minderheitseignern. Die Warenhaustochter Kaufhof wollte der ehemalige Daimler-Manager verkaufen oder in ein Joint-venture ausgliedern, gleiches galt für die SB-Großmärkte unter der Marke Real. Beides misslang. Trotzig ließ die Metro im Frühjahr 2012 wissen, Real werde „die Expansion im vorhandenen Länderportfolio konsequent weiterführen“. Um dann unter Cordes-Nachfolger Olaf Koch doch noch Reals Osteuropa-Aktivitäten in Polen und Russland – zuvor zu den Wachstumsmärkten erklärt –, Rumänien und der Ukraine zu veräußern. Für das Real-Geschäft in Deutschland und der Türkei fanden sich indes keine Abnehmer; gerade hierzulande ist das Format weiter ein Mühlstein am Hals der Metro. Mit seinem Amtsantritt wollte Koch die Düsseldorfer endlich in ruhigeres Fahrwasser führen. Des Umbaus sei es nun genug, tönte er, ab sofort werde daran gearbeitet, die Umsätze zu steigern. Heute offenbaren sich im Konzern mehr Baustellen denn je, Metro bleibt vor allem mit sich selbst beschäftigt.