Die Sisyphosse von Berlin
Kaum einer, dessen Interessen die Energiewende nicht berührt. Entsprechend vielstimmig zeigt sich das Lobby-Geschehen in der Hauptstadt. Unternehmen, Verbände, NGOs und Initiativen versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Manchen versetzt das in existentialistische Grundstimmung. Von Martin Bell
Agora bittet zur Energiewende. Im Juni ging das „Denk- und Zukunftslabor“ (Pressemitteilung) an die Arbeit, eine Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Zwei Dutzend Köpfe aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft brüten im „Rat der Agora“ über Wege einer neuen Energiepolitik. Mitte November kam der Rat zum zweiten Mal zusammen.
Noch ein Mitspieler, der in die Debatte um Kraftwerke und Netze, Förderungen und Umlagen einsteigt. In der Arena herrscht bereits Gedränge: Unternehmen und Verbände, die sich hier für Wind-, da für Sonnenenergie ins Zeug legen (oder für beides), andere, die um Pfründe oder Privilegien bangen oder gegen Pfründe und Privilegien wettern, dazwischen Umwelt- und Verbraucherschützer, Berater, Agenturen – ein Gewimmel aus Stimmen und Positionen. Da Gehör zu finden, bekennt Dirk Langolf, Sprecher der Wirtschaftsvereinigung Metalle, sei „eine Sisyphos-Arbeit“.
„Ob oder ob nicht, steht in der Energiewende nicht mehr zur Debatte“, erklärt Jörg Ihlau, Geschäftsführer der Serviceplan-Agentur Public Opinion. „Es geht um das Wie.“ Und um viel Geld. Mehr als 330 Milliarden Euro, schätzt man, wird der Umbau der Stromversorgung bis 2030 kosten. Wer welchen Anteil zahlt, wer was kassiert, ist ebenso unklar wie umstritten. Der Handelsverband HDE schlägt sich auf die Seite der Verbraucher und plädiert (nicht ganz uneigennützig) dafür, weniger Ausnahmen zuzulassen von der EEG-Umlage, die erneuerbare Energien fördert. Stromfressende Industrien, die von den Ausnahmen profitieren, widersprechen. Die Stahlbranche etwa sieht sich (und zum Beispiel ihre Hochspannnungsmasten) als Säule der Energiewende – und findet Ideen à la HDE gar nicht gut. So zumindest die Botschaft der Wirtschaftsvereinigung Stahl, für die Scholz & Friends Agenda in Berlin unterwegs ist.
„In der politischen Kommunikation zur Energiewende geht es momentan um die Deutungshoheit“, sagt Public-Affairs-Experte Nikolaus Huss von der Agentur Kovarhuss Policy Advisors, „um die Frage, welches Zukunftsmodell im Verteilungskampf die Oberhand gewinnt.“ Es gilt, Weichenstellungen zu beeinflussen. Vorzugsweise mit wissenschaftlicher Unterstützung: Greenpeace legt den „Plan“ vor („Deutschland ist erneuerbar“), der Bundesverband der deutschen Industrie den „BDI-Energiewende-Navigator“. Für jedes Interesse die passende Studie.
Auch Schwergewichte müssen kämpfen
Das soll die Berechtigung des eigenen Ansatzes unterfüttern: Argumentationshilfe im Gespräch mit politischen Entscheidern und Wasserträgern. „Darin ist nichts Geheimnisvolles und nichts Dubioses“, sagt Tobias Austrup, politischer Referent bei Greenpeace. „Man vereinbart Termine mit den relevanten Fachpolitikern aus den Ministerien und den Fraktionen und trägt seine Sicht der Dinge vor.“ Angesichts der Vielzahl der Akteure ist die Terminvereinbarung mitunter keine geringe Hürde – selbst für Schwergewichte wie den Verband kommunaler Unternehmen (VKU), der in der Stromversorgung von Endkunden für einen Marktanteil von 54 Prozent steht. „In manchen Aspekten der Energiewende wie den Verteilnetzen“, bekennt VKU-Sprecher Carsten Wagner, „geht die Politik auf unsere Positionen nicht ausreichend genug ein“.
Meilensteine und Leuchttürme
Lobby-Veranstaltungen heischen um Aufmerksamkeit fürs jeweilige Anliegen. Stets beliebt: der Parlamentarische Abend. „Mittlerweile weichen viele auf den Morgen aus und laden zum Parlamentarischen Frühstück“, beobachtet Jörg Ihlau. Dazu gesellen sich Treffs wie das Sommerfest des VKU, die „Berliner Mittwochsgesellschaft“ von HDE und Metro im FAZ-Atrium oder die „Woche der Sonne“ des Bundesverbands Solarwirtschaft.
Der anstehende Bundestagswahlkampf wird das Public-Affairs-Geschehen nicht bremsen, denkt Dirk Langolf von der Wirtschaftsvereinigung Metalle: „Im Gegenteil. Einige Fragen etwa in punkto EEG-Umlage verlangen noch vor dem Wahltag nach einer Entscheidung.“ Zu klaren Festlegungen freilich, wendet Nikolaus Huss ein, ringen sich Regierungspolitiker in Wahlkampfzeiten ungern durch: „Das Augenmerk liegt eher auf Leuchtturmprojekten, mit denen sich Minister als Macher profilieren.“ Sein Rat an Lobbyisten: „Eine Doppelstrategie fahren – Meilensteine der Energiewende verknüpfen mit Leuchtturmprojekten für Politiker.“
Die Sisyphos-Arbeit, soviel ist sicher, legt 2013 keine Pause ein. Metall-Lobbyist Dirk Langolf trägt es mit Gleichmut. Und zitiert Albert Camus: „Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.“
Bundesverband Windenergie
Mit 35 Mitarbeitern ist die Bundesgeschäftsstelle des Bundesverbands Windenergie (BWE) besetzt. „Unser Ziel ist es, bereits 2020 jede zweite Kilowattstunde des deutschen Strombedarfs mit Erneuerbaren zu decken“, erklärt Sprecher Alexander Sewohl. „Windenergie wird dabei ein Viertel des Strommixes ausmachen.“ Kritik an den Kosten der Energiewende kontert der BWE mit dem Wink, „dass auch konventionelle Energien in den vergangenen Dekaden enorme gesamtgesellschaftliche Kosten generiert haben, die über Steuern finanziert wurden und werden“. Sewohl betont: „Da die Windenergie an Land die kostengünstigste unter den Erneuerbaren ist, ist ihr Ausbau nicht nur ökologisch, sondern auch volkswirtschaftlich besonders sinnvoll.“ Fester Bestandteil der politischen Kommunikation seien „parlamentarische Abende auf Bundes- wie auch auf Landesebene und die Teilnahme an Anhörungen sowie an verschiedenen politischen Gremien“.
Standort: Neustädtische Kirchstraße 6, Berlin
Greenpeace
Dem BDEW schweben 80 Prozent Anteil Erneuerbarer Energien an der Stromversorgung im Jahr 2050 vor. Greenpeace will 100 Prozent – und das möglichst schnell. In Sachen Netzausbau plädieren die Umweltschützer dafür, aktuelle Pläne kritisch zu überprüfen: „So viel Netzausbau wie nötig, so wenig wie möglich“, erklärt Tobias Austrup, Politischer Referent Energiewende in der Berliner Greenpeace-Dependance, die fünf Mitarbeiter beschäftigt. „Der Plan“ heißt das Kompendium, in dem die Organisation ihre Vorstellungen vom Umbau der Stromversorgung darlegt. Im Frühjahr 2013 soll eine aktualisierte Fassung erscheinen.
Standort: Marienstraße 19-20
Verband kommunaler Unternehmen
Grundgedanke der Energiewende ist, Deutschlands Stromversorgung künftig nicht nur umweltfreundlich zu gestalten, sondern auch dezentral, in den Regionen, in den Gemeinden. Ein gewichtiges Wort hat in der Debatte daher der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) mitzureden, dem rund 900 Stadtwerke angehören. Verbandschef Hans-Joachim Reck, in den 90ern Bundesgeschäftsführer der CDU, kritisierte den Ausstieg aus dem Atomausstieg, den Merkels Regierung 2010 noch anpeilte. Gegen das Oligopol der vier großen Stromkonzerne E.on, RWE, EnBW und Vattenfall setzt der VKU den Entwurf einer stärker mittelständisch geprägten Stromwirtschaft, die dank Kraft-Wärme-Kopplung & Co. Versorgungsengpässe der wetterwendischen Wind- und Sonnenenergie auffängt.
Das Gros der 80 VKU-Mitarbeiter in Berlin ist in der politischen Kommunikation tätig. An den Diskussionsplattformen von Umwelt- und Wirtschaftsministerium beteiligt sich der Verband ebenso wie am Energiewende-Forum des Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies, dessen Exekutivdirektor Ex-Bundesumweltminister Klaus Töpfer ist.
Standort: Invalidenstraße 91
Wirtschaftsvereinigung Metalle
Industriepolitik hatte in der Ära der Informations- und Dienstleistungsgesellschaft lange einen schweren Stand. „Das hat sich geändert“, stellt Dirk Langolf fest, Sprecher der Wirtschaftsvereinigung Metalle (WVM), welche die Interessen der Nichteisen-Metallindustrie vertritt – eine Branche mit immerhin mehr als 100.000 Beschäftigten und einem Umsatz von knapp 55 Milliarden Euro. Und mit hohem Stromverbrauch.
Zurzeit dürfen sich Nichteisen-Metaller noch über das Wohlwollen der Politik freuen. Als energieintensive Industrie ist die Branche von EEG- und Offshore-Umlage (weitgehend) befreit. Damit das so bleibt, spricht die WVM nicht nur mit der Regierung, sondern ebenso mit Opposition („auch mit der Linken“, so Langolf) und NGOs. Über das Bündnis EID („Energieintensive Industrien“) betreibt die WVM zudem Lobbying gemeinsam mit den Branchen Baustoffe, Chemie, Glas, Papier und Stahl.
Standort: Wallstraße 58/59, Berlin
Agora Energiewende
Erst diesen Sommer trat Agora Energiewende auf den Plan. Die Initiative ist mit einem Etat von zwölf Millionen Euro ausgestattet, der unter anderem von der Stiftung Mercator kommt. Hinter der wiederum steht die millionenschwere Metro-Familie Schmidt-Ruthenbeck.
Agoras Ziel ist, „eine konkrete Vorstellung von den nächsten Schritten“ zu erarbeiten, „gemeinsam mit relevanten Akteuren“. Deren Vertreter sitzen im „Rat der Agora“ zusammen, Staatssekretäre, Manager, Wissenschaftler, aber auch Gewerkschafter, Umwelt- und Verbraucherschützer. Für die Sitzungen des Rats gilt die „Chatham House Rule“: Verschwiegenheit über Besprochenes, kein Protokoll. Nach draußen drang bislang nur: Es gab Treffen, das Zweite im November.
Standort: Rosenstraße 2, Berlin
Scholz & Friends Agenda
Klaus Dittko, Vorstand der Scholz & Friends Group und Geschäftsführer des PR-Ablegers S&F Agenda, beschäftigt sich in Sachen Energiewende vor allem mit Stahl und Lithium-Ionen-Batteriespeichern: Zu seinen Kunden zählen die Wirtschaftsvereinigung Stahl und der Batteriehersteller Varta, dessen Lithium-Ionen-Technik sich als Zwischenspeicher für Erneuerbare Energien einsetzen lässt.
„In der Arbeit für einen Verband ist es entscheidend, klare Botschaften zu formulieren – möglichst ohne die üblichen komplizierten Einschränkungen“, so Dittko. Zum Beispiel: „Die Energiewende beginnt mit Stahl.“ Das ist in der Tat griffig. Und so eigenwillig, dass man auf die Erklärung gespannt ist.
Anders gestaltet sich das Lobbying für ein Unternehmen wie Varta. „Hier steht im Vordergrund, die ökologischen und gesamtwirtschaftlichen Chancen eines konkreten Produkts wie dem Lithium-Ionen-Speicher zu verdeutlichen.“ Und dafür Fördermittel zu, ergattern.
Standort: Litfaßplatz 1
BDEW
Eine Großmacht im Lobby-Geschehen: Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft BDEW (1.800 Mitglieder) spricht für 90 Prozent des Stromabsatzes – das heißt: vor allem für Unternehmen der konventionellen Stromerzeugung. Verbandschefin Hildegard Müller sagt man einen guten Draht zur Bundeskanzlerin nach.
Der BDEW „engagiert sich für den notwendigen Umbau der Energienetze“ und „die Weiterentwicklung der konventionellen Erzeugung als Teil des Energiemixes der Zukunft“ (Verbandsbroschüre). Auf regelmäßigen Veranstaltungen tauscht sich die Interessenvertretung mit politischen Entscheidungsträgern aus. Zudem ist der BDEW „nichtständiger Beisitzer“ in der „Clearingstelle EEG“, die das Bundesumweltministerium 2007 ins Leben rief. Dort bringt der BDEW „die Branchensicht“ ein.
Standort: Reinhardtstraße 32
Handelsverband Deutschland
400.000 Unternehmen, knapp drei Millionen Beschäftigte, 420 Milliarden Euro Umsatz – der Einzelhandel ist Deutschlands drittgrößte Branche. Das verleiht dem Handelsverband (HDE) einiges Gewicht im Tauziehen um die Ausgestaltung der Energiewende. Neben Verbrauchern ächzt auch der Handel unter dem Anstieg der EEG-Umlage. Denn anders als den energieintensiven Branchen wie Metall- und chemischer Industrie genießt er keine Ausnahmen. Der HDE fordert deshalb „noch in dieser Legislaturperiode“ ein ganzheitliches Konzept, das die Kosten der Energiewende „nicht einseitig“ verteilt und Ausnahmen zurückstutzt auf den Stand von 2008. 30 Mitarbeiter bearbeiten von der Bundesgeschäftsstelle aus Regierung und Opposition. „Bis zur Bundestagswahl“, kündigt Geschäftsführer Kai Falk an, „werden wir verstärkte Bemühungen an den Tag legen.“ Am Weidendamm 1a