Unternehmen sollen nicht „Getriebene sein“
DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer ruft Lebensmittelproduzenten zur Offensive auf. Viel Applaus erntete DLG-Präsident Carl-Albrecht Bartmer jüngst auf einer Veranstaltung seines Verband unter dem Titel „Brennpunkt Lebensmittelkommunikation“. Er rät zur Offensive.
Herr Bartmer, angesichts kritischer Presse über Unternehmen der Lebensmittelbranche geben diese sich oft zugeknöpft. Wie erklären Sie sich das?
Carl-Albrecht Bartmer: Die Kommunikation rund um Lebensmittel und Lebensmittelqualität hat in letzter Zeit an Dynamik gewonnen. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Meldungen über angebliche Missstände den Verbraucher aufschrecken – ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt. Die Produzenten müssen ihre Kommunikation in diesem immer komplexer und aggressiver geführten Diskurs neu ausrichten. Dabei haben sie es mit professionell organisierten und kommunikativ gut vernetzten Interessengruppen zu tun, die gekonnt alle Informationskanäle, allen voran das Internet, publikumswirksam zu nutzen wissen. Da diese auf den ersten Blick keine wirtschaftlichen Interessen verfolgen, erfahren sie beim Verbraucher eine große Beachtung. Viele Unternehmen ziehen sich angesichts dieses massiven Drucks aus der öffentlichen Diskussion zurück. Aus meiner Sicht eine falsche Strategie.
Wie lautet denn Ihre Strategie?
Bartmer: Lebensmittelherstellung ist unbestritten ein höchst komplexes Fachgebiet. Aber die Kompetenz, die mancher Kritiker für sich selbst in Anspruch nimmt, erweist sich bei genauem Hinsehen als nicht besonders fundiert. Daraus resultiert eine kommunikative Bringschuld eines jeden Lebensmittelherstellers und der Lebensmittelindustrie als Ganzes. Die Branche darf die Deutungshoheit zu Lebensmittelthemen nicht ihren Kritikern überlassen. Sie darf das Gespräch mit der Öffentlichkeit nicht scheuen. Sie sollte für das Gespräch mit der Öffentlichkeit eigene Kommunikationsstränge aufbauen.Zu keiner Zeit waren Lebensmittel qualitativ hochwertiger und die Produktvielfalt größer als heute. Aber die Land- und Lebensmittelwirtschaft muss dies dem Verbraucher gegenüber transparent kommunizieren und sich kritischen Themen stellen.
Diese Bringschuld sehen Sie vor allem bei den Unternehmen selbst, die das gerne dem Verband übertragen würden. Bei vielen, auch einigen größeren, fehlt es schon am Pressesprecher.
Bartmer: Das Thema Kommunikation wurde in vielen Unternehmen in der Vergangenheit eher stiefmütterlich behandelt. Der Verbraucher wird immer mehr zum gleichberechtigten Kommunikationspartner. Zurzeit setzt ein Umdenken in den Unternehmen ein, sich stärker mit kommunikativen Themen zu beschäftigen und dafür Ressourcen in den unternehmerischen Strukturen zu schaffen. Kommunikative Fähigkeiten treten verstärkt neben klassische Unternehmerkompetenzen und werden immer mehr zu einem integralen Bestandteil eines erfolgreichen Unternehmenskonzeptes.
Sie haben eine Verbraucherstudie zum Thema durchführen lassen. Was sind für Sie die wichtigsten Erkenntnisse?
Bartmer: „Vertrauen“ ist nach „Frische“ und „Preis“ das drittstärkste Kriterium für die Entscheidung für oder gegen ein Lebensmittel. Werteorientierte Kriterien rücken den faktischen deutlich näher. Verbrauchertests und freiwillige Kontrollen durch unabhängige Institute haben einen starken Einfluss. Aber auch Verpackungsdeklarationen sowie unternehmerische Aktionen wie der „gläserne Betrieb“ oder der „Tag der offenen Tür“ helfen Vertrauen aufzubauen. Mehr Transparenz fordern die Befragten hinsichtlich der Herstellung von Lebensmitteln sowie in Bezug auf Inhalts- und Zusatzstoffe. Allerdings schaffen Kontrollen und Transparenz nicht automatisch mehr Vertrauen. Unternehmen müssen Verbrauchern auf Augenhöhe begegnen: Das Teilen eines gleichen Werte-Kosmos schafft Vertrauen und stärkt die Kundenbeziehung. Das Stehen zu Schwächen und Fehlern wird vom Verbraucher bei offener Kommunikation in der Regel verziehen.
Was können Unternehmen tun, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen?
Bartmer: Sie müssen Öffentlichkeitsarbeit mit mehr Intensität betreiben und so dem Eindruck entgegenwirken, man hätte etwas zu verbergen. Verbraucher wollen informiert sein und sind durchaus in der Lage Informationen richtig einzuordnen. Nur muss der Mut aufgebracht werden, gegen tendenziöse Meinungsmacher auf faktenorientierte und transparente Kommunikation zu setzen. Ich bin gespannt, wie sich der neue Verein „Die Lebensmittelwirtschaft“ entwickeln wird. Es soll eine Plattform entstehen, die einen entscheidenden Beitrag zur Versachlichung und Klarstellung verbraucherrelevanter Themen rund um Lebensmittel leisten will. Die Initiative will das Vertrauen der Verbraucher in Lebensmittel und deren Herstellung nachhaltig stärken. Dazu gehört auch, sich kritischen Themen zu stellen und nicht nur der Getriebene zu sein.