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News / Mit beiden Gehirnhälften!
Sebastian Vesper
28.09.2012   News
Mit beiden Gehirnhälften!
 
Renaissance des Kreativitätsbegriffs im Kommunikationsmanagement
Trends kommen und gehen in Wellen. Die wenigsten Menschen, die auf einer Welle reiten (oder mitschwimmen), können sagen, wann genau die Welle brechen oder abebben wird. Aber ein Gefühl, ob etwas gerade im Kommen oder im Abklingen ist, hat man schon. Momentan kann das Thema „Kreativität in der Kommunikation“ – und im Management von Kommunikation – durchaus als ein (wieder-)kommendes Thema gelten. Wen wundert’s: Tief und lang war das Wellental der Rationalisierung und Reglementierung von Kommunikationsarbeit, geprägt von Paragrafen und Prozessen, fixiert auf Kennziffern und Scorings. All dies haben die meisten ja nun an Bord. Da kann ein bisschen mehr Kreativität nicht schaden.

Der Begriff ist natürlich längst ein Klassiker (auch) der Management-Literatur. „Kreativität“ ist ausgesprochen positiv besetzt, und das Tolle daran ist, dass sich so ziemlich jeder damit identifizieren kann, vom Neurologie-Professor bis zum Steinmetz. Beim diesjährigen Kommunikationskongress in Berlin wurde „Kreativität“ zum inhaltlichen Fokus erklärt; diverse Buch-Neuerscheinungen in diesem Herbst huldigen dem Phänomen.


Nicht alles, was neu ist, ist kreativ
Der feuilletonistisch geprägte Teil der Wirtschaftsberichterstattung erblickt in „Kreativität“ derzeit gern eine Antwort auf zunehmende Komplexität und Unübersichtlichkeit von Machtkonstellationen, globalisierten Märkten oder fragmentierten Öffentlichkeiten. Für Pragmatiker hingegen steht eher Cleverness im Vordergrund: Such dir eine „kreative“ Lösung, denn für eine gründliche, klassisch-solide Herangehensweise an das Problem fehlen doch sowieso die Mittel!

In der Kommunikationsszene wiederum verwechseln viele „Kreativität“ mit dem schieren Einsatz gerade neuer, machbarer Techniken wie Social Media oder Bewegtbild oder Socialmediabewegtbild an sich. Aber alter Wein in neuen Schläuchen war noch nie kreativ.

Eine skurrile Variante der Fehlinterpretation und Geringschätzung von Kreativität durch Berufskommunikatoren schließlich besteht in der bloßen Abgrenzung gegenüber allem, was „von der Stange“ sein könnte: industriell, prozessgesteuert, technisch. Aber nicht alles, was irgendwie neu ist und irgendwie jenseits von Fließbandarbeit entsteht, ist automatisch kreativ.
Kommunikation kreativ zu gestalten, bedeutet, zum Schöpfer neuer Inhalte und Arten der Darbietung von Kommunikation zu werden. Es bedeutet: Informationen, Zusammenhänge und Botschaften zu etwas Neuem zu kombinieren. Es bedeutet, zu überraschen; ein Problem anders zu lösen, als dies nach Schulbuch erwartbar wäre.


Problemlösung jenseits des Erwartbaren
Dafür braucht man beide (!) Gehirnhälften: Systematische, auf rationaler Ebene gesammelte Einsichten in Verhältnisse und Zusammenhänge sind nicht minder wichtig als ein inspirierter Umgang mit diesen Informationen im Licht des verfolgten Kommunikationsziels.

Man benötigt Zeit zum Denken und für konstruktives Sparring. Vor allem aber Nähe zu Menschen und Märkten zusätzlich zu methodisch perfekten, mathematisch wasserdichten Erhebungen.

Dabei ist Neugier ebenso wichtig wie ein erweiterter Horizont: das Interesse für unbekannte Welten und Milieus, für neue Medien und Interaktionsformate und für deren spezifische Regeln. Nach Jahren der Dominanz technokratischer Tools wäre es allerdings fatal, diese mit Mühe erschlossenen und unter Schmerzen implementierten Errungenschaften jetzt über Bord zu werfen, um „endlich wieder kreativ“ im Kommunikationsmanagement arbeiten zu können. Denn gute Kampagnen basieren, wie gesagt, auf der kombinierten Verwendung beider Gehirnhälften. Die Frage ist vielmehr, wie und auf welcher Ebene hier ein Gleichgewicht hergestellt werden kann: intrapersonal oder durch gekonnt zusammengesetzte Teams, die sich der Lösung eines Kommunikationsproblems widmen?

„Kreativität“ in der Kommunikation muss (wieder) wachsen. Sie muss reflektiert, kultiviert und belohnt werden. Damit sie das nächste Wellental gut übersteht.
Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.

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