Mit dem optimalen Einsatz von "Social Technologies" könne die Produktivität sogenannter "Interaction Workers" um bis zu 25 Prozent gesteigert werden. Das sagt das McKinsey Global Institute (MGI) in seinem neuen Report
"The social economy: Unlocking value and productivity through social technologies". Allein in vier wichtigen Branchen könne die zusätzliche Wertschöpfung bis zu 1,3 Billionen Dollar betragen. Wer bin ich, das anzuzweifeln?
25 Prozent mehr Produktivität! 1.3 Billionen Dollar! Im Jahr!
Der Report ist im Juli erschienen und die McKinsey-Kommunikationsmaschinerie fängt gerade erst an, ihn auszuweiden. Wir werden also noch viel von diesem Report lesen und hören. Zu Recht, denn da ist viel Hirnschmalz reingeflossen und noch viel mehr Interaction Worker-Schweiß. Ich habe mich - zumindest querlesend - durch die gut 180 Seiten gehangelt: Lesenswert, besonders dort, wo es enzyklopädisch wird. Nicht viele können das so aufbereiten. Nicht viele können diese Berechnungen zukünftiger Wertschöpfung "by improving productivity across the value chain" nachvollziehen. Ich kann es nicht. Wer bin ich also, sie anzuzweifeln.
Mache ich deshalb auch nicht. Auch nicht, wenn mir die Berechnungen mehr als obskur erscheinen. Darum geht es mir an dieser Stelle nicht. Ich bin überzeugt, dass die optimale Nutzung von Social Media und Web 2.0-Technologien sowie deren Nachfolgern von großem materiellen Nutzen sein wird. Und irgendwie bestätigt mein Bauchgefühl, was McKinsey da so aufwändig berechnet, sagen wir geschätzt, hat: Zwei Drittel dieser Wertschöpfung werden durch verbesserte Zusammenarbeit und Kommunikation erfolgen. Mindestens.
Ich möchte zwei Thesen aufstellen:
"Produktivitätssteigerung" im althergebrachten Sinne, wie McKinsey sie in ihrer Kommunikation zum Report in den Mittelpunkt stellt, verstellt den Blick auf den wichtigeren Wertbeitrag der Nutzung der Social Technologies: Auf die potenzielle Systemrettung durch Inklusion.
Die Produktivitätsexplosion der Interaction Workers birgt ein Risiko, über das wir dringend diskutieren sollten: Das potenzielle Aufreißen der sozialen Schere.
Systemrettung durch Inklusion
Ja, das ist zugegeben hoch gegriffen. Aber tatsächlich dokumentiert eine Studie nach der anderen den Verfall von Vertrauen in Institutionen und ihr Führungspersonal, von Vertrauen in unser Wirtschafts- und Gesellschaftssystem. Dokumentiert wird die innere Kündigung, die Illoyalität, die Radikalisierung. Unser System ist in Gefahr. Zusammenhalt wird in Zeiten der Dauerkrisen erfolgskritisch.
Gefordert wird mehr Beteiligung, mehr Transparenz. Und genau da liegt meiner Ansicht nach das größte Wertschöpfungspotenzial der Social Technologies auch für Unternehmen: Der Clou ist Inklusion. Das Einbeziehen der Leute. Ihnen die Möglichkeiten zu geben, sich zu beteiligen, Meinung zu äußern, einfach nur zuzuhören, zusammenzuhalten. Transparenz anzubieten und damit Vertrauen zu schaffen. Motivation durch Mitnehmen und Mitgehen. "Besser" und "produktiver" bedeuten dann in erster Linie "Orientierung gebend", "durch Wissen und Verstehen motivierend", "durch Dabeisein Loyalität erzeugend". Mit diesem Angang mobilisieren Zusammenarbeit und Kommunikation auf Basis von Social Technologies enorme Kräfte.
Wird dadurch nicht die Produktivität gesteigert? Na, und ob! Aber der Ansatz, das Verständnis des Zwecks der Förderung des Einsatzes von Social Technologies ist ein anderer. Als Experte für Unternehmens- und Führungskräftekommunikation wage ich die Voraussage: Unternehmen, die den Produktivitätsansatz verfolgen, werden das Potenzial der Social Technologies weit weniger optimal ausnutzen als solche, die den Inklusionsansatz wählen.
Aufreißen der sozialen Schere
Wer wird eigentlich dadurch "produktiver"? Laut McKinsey sind es die Interaction Workers. Da dürften sie richtig liegen. Das heißt aber in den meisten Fällen auch: Die besonders Produktiven werden noch produktiver. Was ist mit den anderen? Versinken die noch tiefer im Entertainment-Sumpf, den die Social Technologies ja auch eifrig befeuern? Werden die, die das mit der Hol- und Bringschuld in Sachen Informationen und Kommunikation bis heute nicht verstanden haben, es in der Social Media-Welt verstehen?
Weil es so verdammt menschlich wäre, gehe ich eher hiervon aus: Die eine Hälfte wird dazu neigen, sich weiter zu Tode zu amüsieren. Die andere dazu, sich noch produktiver zum gleichen traurigen Ende vorzuarbeiten. Die "totale Nutzung" der Social Technologies könnte die soziale Schere in Unternehmen und in der Gesellschaft dramatisch schnell und weit aufreißen. Mit Problemen an beiden Schneiden der Schere. Wir tun gut daran, bei der Implementierung von Social Technologies die Überspannung der Interaction Workers und die Nicht-Inklusion der nicht so Interaktiven zu vermeiden.
Und McKinsey hat doch Recht, natürlich
Natürlich würdigt McKinsey auch die anderen Wertbeiträge des Einsatzes von Social Technologies bis hin zum Beitrag zu arabischen Befreiungsbewegungen. Und natürlich gibt es mindestens die "Ten Ways", auf denen laut des Reports Social Technologies sehr produktiv für Unternehmen sein können. Natürlich ist der Report ein wichtiger Beitrag zur Auseinandersetzung der Unternehmen (und der Politik) mit dem Thema. Auch wenn ich den Fokus auf die Produktivität - so wichtig diese fraglos ist - nicht für den produktivsten halte, so gebe ich den Meckies völlig Recht: Der richtige Einsatz der Social Technologies wird enorm wertschöpfend wirken.
Liege ich richtig?
Und? Liege ich richtig? Ist Inklusion der Haupttreiber oder doch Produktivität? Besteht die Gefahr, dass sich die Produktiven nur noch effizienter zu Tode arbeiten und die anderen sich noch schneller zu Tode amüsieren?
Stephan Hoursch ist Managing Partner bei Klenk & Hoursch und entwickelt Strategien für den wertschöpfenden Einsatz von Kommunikation in und für Unternehmen. Sein Schwerpunkt sind Communications Coachings von Führungskräften.