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28.06.2012   News
Klarheit und Haltung zählen
 
Krisen gehören zum Alltag. Doch wer sich im kommunikativen Umgang mit einer Krise grobe Schnitzer erlaubt, kann sich im Nu noch stärker in die Bredouille bringen. Von Martin Bell
Es kriselt. Bei Netto, Hipp und Unilever, weil sie nominiert sind für Foodwatchs Schmäh-Auszeichnung „Goldener Windbeutel 2012“. Bei der Reederei Deilmann, weil sie das ZDF-„Traumschiff“, die MS Deutschland, künftig unter der Flagge Maltas fahren lässt. Und bei Opel, weil – herrje, Opel! Irgendwas liegt da immer im Argen. Nicht zu reden von E.on (Schrumpfkur für die Belegschaft), Schlecker (Pleite), Solarbranche (Pleitepleitepleite). Krisen unterschiedlicher Couleur und Tragweite sind in der Unternehmenslandschaft Alltag.

„Objektiv gesehen ist das unternehmerische Risiko heute nicht größer als in vergangenen Zeiten“, denkt Hartwin Möhrle, Geschäftsführer bei A&B One in Frankfurt am Main. „Allerdings: Nie zuvor reagierte das Publikum unmittelbarer, schneller und radikaler auf Neuigkeiten, die Unmut erregen. Interessierten steht eine beispiellose Fülle an Informationen zur Verfügung über Unternehmen, deren Protagonisten und Produkte.“ Auf diese Kulisse gilt es sich einzustellen. Denn sie beschleunigt Krisenverläufe. Und bestraft Ungeschicklichkeiten und Fehlleistungen der Kommunikation postwendend – oft mit der Wucht einer Front, die sich an ihrer eigenen Wut berauscht.


Zittern vor dem Shitstorm
Shitstorms sind als eine Spielart der Eskalation in den Social Media entstanden. Unternehmen suchen darauf vielfach noch eine Antwort. Und üben solange windschlüpfrige Posen. „Die Angst vor dem Shitstorm grassiert“, beobachtet Dirk Popp, CEO von Ketchum Pleon Deutschland. „Sobald durch Online-Gefilde auch nur ein laues Lüftchen weht, kippen etliche Unternehmen aus den Schuhen.“ Lieber klein beigeben, laute zurzeit häufig die Devise, als einen Sturm der Entrüstung zu riskieren. „Ein wenig Gelassenheit würde manchem Mitspieler guttun“, findet Popp. „Nicht jeder, der sich im Netz mokiert, spricht für die schweigende Mehrheit, und nicht jede kritische Diskussion in Blogs oder auf Foren verdient den Namen Krise.“

Gleichwie: Das Geschehen im digitalen Raum, Top-Thema der PR-Branche in den vergangenen Jahren, wirft seinen Schatten aufs Feld der Krisenkommunikation. Molthan van Loon Communications, Hamburg, offeriert einen selbst entwickelten Shitstorm-Simulator. „Damit lässt sich ein Zugang zum Thema erarbeiten“, erklärt Geschäftsführer Timo Lommatzsch. „Das hilft, Situationen einzuschätzen: Zieht ein echtes Unwetter herauf? Oder handelt es sich nur um ein Aufflackern, eine kurzzeitige Aufgeregtheit?“ Aus Unsicherheit legen Unternehmen immer wieder übereifriges Verhalten an den Tag, mal zu empfindlich, mal zu demütig. „Bei schätzungsweise 80 Prozent der kritischen Kommentare im Web empfehlen wir, nicht zu reagieren“, so Lommatzsch. „Schon um einen Streisand-Effekt zu vermeiden.“ Ex-Hollywood-Star Barbra Streisand hatte 2003 (erfolglos) eine 50-Millionen-Dollar-Klage angestrengt, weil sich auf einer Website ein Foto ihres Strandhauses fand. Dass es sich um ihr Haus handelte, sprach sich freilich erst aufgrund ihrer Klage herum; das Interesse der Netzgemeinde an dem Foto stieg daraufhin merklich. Früher hieß das Bumerang-Effekt.

„Social Media sind für die Krisenkommunikation ein bedeutsames Thema“, bestätigt Dirk Popp. „Aber“, fügt Dietrich Schulze van Loon hinzu, geschäftsführender Partner von Molthan van Loon: „Nicht das einzige und nicht das einzig entscheidende.“


Stiefkind Issues Management
Zum Standardrepertoire der Unternehmenskommunikation zählt mittlerweile die gezielte Beobachtung der Medienlandschaft, kombiniert mit einem Frühwarnsystem. Ketchum Pleon etwa hält eine Crisis Score Card parat, die Eskalationsstufen definiert und sich daraus ergebende Schritte vorzeichnet. Seltener richten Unternehmen ihr Augenmerk auf die Frage, ob innerbetriebliche Abläufe krisenfest geregelt sind. „Das interne Issues Management lässt oft zu wünschen übrig“, stellt Schulze van Loon fest (und nicht nur er). Das erstaunt. Schließlich liegt es hier in der Hand der Unternehmen selbst, Risikofaktoren zu minimieren. Während jedoch für Produktives wie das Vorschlagswesen längst klare Entscheidungswege angelegt sind, fehlen entsprechende Strukturen im Defensivverhalten vielerorts noch. Warum? „Das ist manchmal schwer zu verstehen“, gibt A&B-Manager Hartwin Möhrle zu. „Ehrlich.“

Im Idealfall bemerken Unternehmen Keimzellen potenzieller Krisen, bevor ein Außenstehender darauf aufmerksam wird. „Diverse Abteilungen sind mit Aufgaben betraut, die eine Antenne für Risikobehaftetes verlangen, die IT etwa oder auch das Qualitäts- und das Business Continuity Management“, so Möhrle. „Hier ist eine Sensibilisierung vonnöten, welche Störungen im Betriebsalltag im konkreten Fall die Gefahr einer öffentlichen Krise beinhalten.“ Glimmt irgendwo etwas, das imstande ist, einen Schwelbrand auszulösen, braucht es eindeutige Vorgaben, was an wen zu kommunizieren ist. Beileibe keine Selbstverständlichkeit. „Integriertes Risiko-Management, das das Wissen innerhalb eines Unternehmens zusammenführt, ist keineswegs überall gang und gäbe“, beobachtet der Kommunikationsexperte. „Häufig setzen sich die Abteilungen erst an einen Tisch, wenn Schlagzeilen auf das Unternehmen niederprasseln.“ Dann allerdings geht es oft nur noch um Schadensbegrenzung. Möhrle plädiert deshalb dafür, der Unternehmenskommunikation mehr Macht einzuräumen, etwa als Stabsstelle.


Im Ernstfall das richtige Maß finden
Nicht zuletzt auch zur Verhinderung einer sekundären Krise, wie es Medienwissenschaftler Andreas Schwarz von der TU Ilmenau nennt. Denn wer in einer Krisensituation die falschen Worte wählt, jegliche Verantwortung abstreitet, Sündenböcke sucht oder takt- und gefühllos auftritt, beschwört rasch eine zweite Krise herauf, einen kommunikativen Notfall, der die eigentliche Krise leicht in den Hintergrund drängt. Plötzlich dreht sich alles nur noch um den Umgang mit der Krise. „Selbst Profis“, weiß Hartwin Möhrle, „verlieren in der Hitze des Gefechts mitunter die kommunikative Fasson. Manche muss man zu ihrem eigenen Schutz aus der Feuerlinie nehmen.“

Bedachtsames Handeln ist wichtig, bedächtiges Handeln aber fehl am Platz. „Schnelligkeit ist in Krisen ein Gebot der Stunde“, unterstreicht Dietrich Schulze van Loon. Andernfalls drohen Gerüchte ins Kraut zu schießen. Entscheidend ist der Mix aus Information und Zurückhaltung. „Wer sich übereilt zu allem und jedem äußert, macht sich verdächtig und lenkt damit den Blick in einer Krise erst recht auf sich“, so Schulze van Loon. „Zeitweise oder komplett abzutauchen, ist jedoch auch keine Lösung, sondern verschlechtert die Lage oft noch. Es gilt, Tatkraft und Handlungsfähigkeit zu zeigen, das Nötige, aber nicht zu viel zu sagen.“

Dabei ist ein intuitives Gespür für den angemessenen Auftritt von Vorteil – ein Talent, das nicht jedem in die Wiege gelegt ist. „In Krisen ist es hilfreich, den gesunden Menschenverstand einzuschalten“, sagt Dirk Popp. „Authentizität, Klarheit, Haltung – damit ist oft mehr gewonnen als mit dem Abarbeiten eines Krisenhandbuchs.“

Sich allein auf Handbücher zu verlassen, sieht Hartwin Möhrle kritisch. „Das veranlasst Akteure oft, sich in falscher Sicherheit zu wiegen“, ist die Erfahrung des A&B-Managers. „Mehr noch: Es verführt dazu, jene Risiken zu übersehen, die nicht im Handbuch stehen.“ Auch wenn Krisen Alltag sind in der Unternehmenslandschaft: Mit Routine lassen sie sich nicht bewältigen.

Hinter verschlossenen Türen
Ein verschwiegener Zirkel: Rund 40 Mitglieder zählt der Arbeitskreis Krisenkommunikation in der Deutschen Public Relations Gesellschaft (DPRG). Eine Vertraulichkeitsvereinbarung regelt, dass Besprochenes nicht nach außen dringt. Schließlich unterhält man sich über Delikates und Diffiziles: Notfälle, die nie an die Öffentlichkeit drangen, Schwierigkeiten, die sich aus internen Abläufen ergeben.

Seit Anfang Juni leiten Norbert Minwegen und Bernhard Messer den Arbeitskreis. Minwegen leitet die Unternehmenskommunikation bei der Sparkasse Köln-Bonn. Bernhard Messer ist Kommunikations-Coach. Als zentrales Thema im Arbeitskreis benennen sie die Frage nach unternehmensinternen Strukturen: Wie schnell und auf welchen Wegen fließen innerhalb eines Unternehmens Informationen, wie werden sie bewertet?
Einen besonderen Akzent wollen Messer und Minwegen mit Fallstudien setzen: Viermal jährlich wollen sie im Arbeitskreis (anonymisiert) ein konkretes Krisenbeispiel aus DPRG-Kreisen erörtern. Das Ergebnis der Diskussion, die Beurteilung und Würdigung der Krisenkommunikation bekommt das betreffende DPRG-Unternehmen am Ende ausgehändigt.

Unternehmen im Kreuzfeuer: Drei jüngere Beispiele
H&M: Sonnenbräune im Bikini
Der Fall: Aufregung um ein Plakatmotiv der Modekette. Im Mai warb H&M für einen Bikini in Pink – mit einem brasilianischen Model, das manchem Betrachter gefährlich braun erschien. Das Unternehmen propagiere ein „tödliches Schönheitsideal“, wetterten Gesundheitsschützer. Denn exzessives Sonnenbaden erhöhe das Hautkrebs-Risiko.
Reaktion: H&M streute sich umgehend Asche aufs Haupt: „Es war nicht unsere Absicht, zu gefährlichem Handeln anzuregen.“
Diagnose: Allzu kleinmütiger Auftritt. Bikinis (und die Werbung dafür) sind weder Beihilfe noch Anstiftung, in der Sonne zu braten, bis Tumore wuchern.
Ing-Diba: Wurst für Nowitzki
Der Fall: Mehr als 15.000 überwiegend giftige Kommentare überfluteten Anfang Januar die Facebook-Seite der Bank. Die nämlich zeigte in einem TV-Spot ihr Testimonial, den Basketballstar Dirk Nowitzki, beim Verzehr einer Scheibe Wurst in einer heimischen Metzgerei. Veganer und Vegetarier ereiferten sich.
Reaktion: Ing-Diba beendete die Debatte auf Facebook nach zwei Wochen. „Alle denkbaren Meinungen und Argumente“ seien ausgetauscht, nun sei es an der Zeit, „den Anliegen unserer Kunden und Interessenten wieder mehr Raum geben“. Den TV-Spot schaltet die Bank nach wie vor.
Diagnose: Souveräne Haltung. Schließlich zwingt die Bank niemanden, bei Kontoeröffnung Wurst zu essen.
E wie einfach: Kopfnuss für die Dame
Der Fall: Einen Sturm der Entrüstung löste im März ein TV-Spot des Stromanbieters E wie einfach aus. Ein junger Mann schickte darin seine schlaflose Bettgefährtin per Kopfnuss ins Reich der Träume. Verbraucher tobten: „Absolut gewaltverherrlichend, sexistisch und abartig“ sei das.
Reaktion: Die E.on-Tochter entschuldigte sich flugs und nahm den TV-Spot aus dem Programm.
Diagnose: „Frauen bewusstlos schlagen als Werbegag“, schimpfte ein Facebook-Nutzer: „Richtiger Müll, den ihr da produziert.“

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