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26.04.2012   News
Oh Shit, ein Sturm
 
Krisen-PR trifft Social Media Social-Media-Berater nutzen den Respekt vor dem zunehmend um sich greifenden Phänomen „Shitstorm“, um sich gegen „PR“ abzugrenzen. Eine Collage von Oliver Hein-Behrens

Laut dem Hamburger Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch bezeichnet das Wort Shitstorm eine unvorhergesehene, anhaltende, über soziale Netzwerke und Blogs transportierte Welle lautstarker Entrüstung über das Verhalten öffentlicher Personen oder Institutionen, die sich schnell verselbstständigt und vom sachlichen Kern entfernt. Eine kürzere Definition könnte also ohne weiteres auch „massive Online-Pöbeleien“ heißen. Wer den Begriff bei Google News gelistet hat, stellt fest, dass dieses Phänomen der netzgestützten Entrüstungswellen im vergangenen Jahr geradezu inflationär zugenommen hat. Entscheidend für den aktuellen Medienhype des Begriffes ist sicherlich auch die generelle Sehnsucht vieler Medien nach dem Skandal.

„Die Presse als Wächter, Aufklärer und Schutz vor staatlicher Willkür, gleichrangig mit Parlament, Regierung und Gerichten. Man hört’s gerne. Allein, der Glaube schwindet. Lobbyismus, Public-Relation, Kommerzdruck, Blogger – und wäre ein kräftiger Internet-„Shitstorm“ dann die fünfte Gewalt?“ www.tagesspiegel.de  (bit.ly/ILK2T2)

„Bei der Nachverfolgung der Historie von Shit-storms zeigt sich“, so der Social-Media-Profi Florian Zühlke von der Agentur TLGG, „wie wenig klar und aussagekräftig der Begriff eigentlich ist. Was unterscheidet einen Shitstorm von spontanem Gruppenspam – was von eventuell berechtigter Verärgerung, die eher als Verbraucherbeschwerde gedeutet werden sollte? Der Begriff wird mittlerweile jedes Mal dann benutzt, wenn sich Unmut innerhalb einer Marken-Community regt. Dass dies ganz normal sein kann – Konflikte gibt es in sozialen Netzen ebenso wie offline – wird leider außer Acht gelassen. Ein Konflikt wird erst dann zu einem Problem und eventuell tatsächlich zu einem „Shitstorm“, wenn ein Konflikt medial aufbereitet von Blogs und anderen Verstärkern hochgespielt wird, sodass eine konstruktive Konfliktlösungsstrategie kaum mehr möglich ist.“

Ein Modebegriff also, eine extrem dynamische Entwicklung, die keine eindeutigen kommunikativen Zuordnungen zulässt? Und wer ist eigentlich für Shitstorms kommunikativ zuständig? Für Kerstin Hoffmann, Fachfrau für Public Relations, Social Media und Text, ist es generell nicht sinnvoll, eine Trennungslinie zwischen Klassik und Social Media bei dieser Frage zu ziehen: „Idealerweise greifen auch außerhalb von Krisen alle Bereiche ineinander. Die Zuständigkeiten müssen geklärt sein, nicht erst, wenn es knallt. Shitstorms treten nicht sehr häufig auf, aber wenn es zu einem kommt, muss man Kommunikation können. Social Media sind natürlich keine Medien für reine PR-Verlautbarungen, sondern hier finden Dialoge statt. Das ist ein großer Vorteil, denn auf diese Weise ist der schnelle und direkte Kontakt zu allen Beteiligten viel einfacher als früher. Andererseits muss man eben auch sehr schnell agieren und reagieren können. Das erfordert entsprechende Strukturen im Unternehmen.“

Es ist ein Shitstorm der Liebe, den ein Designer in Tel Aviv ausgelöst hat: Israelis und Iraner haben das Kriegsgerede satt und schicken sich per Internet Friedensgrüße. www.zeit.de (bit.ly/IWlLJf)

Auch Zühlke sieht eher eine Kooperation statt Konfrontation zwischen den PR- und Social-Media-Kollegen: „In den meisten Fällen bringen Firmen ihre eigene PR-Abteilung mit in die Projekte. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil wir als außenstehende Agentur nicht die Krisen-PR für diese Firmen übernehmen können und wollen. Der Austausch mit den zuständigen PR-Verantwortlichen innerhalb der verschiedenen Firmen, mit denen wir arbeiten, zeigt uns immer wieder, dass dort klar die sprachliche Kompetenz liegt, Sachverhalte so zu formulieren, dass sie im Sinne der Firma sind. Wir auf der anderen Seite kennen die Dynamiken innerhalb von Internet-Communitys und die der Firmencommunity im Speziellen, sodass wir bei der Prävention und dem konkreten Vorgehen im Krisenfall hier effizient beraten können.“

Auch der Shitstorm im Internet verweht. Als in Facebook zu einem Tankstellenboykott am 1. März aufgerufen wurde, hoben 1,3 Millionen Deutsche begeistert den Gefällt-mir-Daumen. An den Zapfsäulen herrschte dann allerdings Normalbetrieb. www.badische-zeitung.de (bit.ly/JyJQSA)

Klaus Eck, Geschäftsführer des auf Online Reputation Management spezialisierten Beratungsunternehmens Eck Kommunikation, sieht PR- und Social-Media-Agenturen beim Thema Shitstorm dagegen keinesfalls auf Kuschelkurs:„Ich glaube, dass klassische PR-Agenturen sehr gut unterstützend arbeiten können im Social-Media-Bereich. Sie können aber nicht die Aufgabe eines Social-Media-Managers im Unternehmen ersetzen. Bei Social Media kommt noch die Komponente der Echtzeitkommunikation hinzu. Das heißt, ich muss noch schneller und besser sein als bei der klassischen Kommunikation. Das Ganze ist so vielfältig und kompliziert, dass ich davon abrate, es einer PR-Agentur zu überlassen. Es geht nicht mehr um PR, es geht um Kundenkommunikation.“

Er empfiehlt PR-Agenturen, sich stärker mit der Materie auseinanderzusetzen:„Das Erste, was eine PR-Agentur machen sollte, ist, selbst Erfahrungen zu sammeln: einen eigenen Blog, selbst auf Twitter aktiv werden. Das machen zwar schon viele, aber oft nur halbherzig. Kunden würde ich empfehlen, sich genau die Agenturen anzusehen, die in diesen Bereichen unterwegs sind. In der Theorie kann man vieles falsch machen, weil man nicht weiß, wie die Reaktionsmechanismen sind. Es geht darum, in die Tiefe zu gehen, um gut beraten zu können.“

Häufig wird in diesem Zusammenhang auch das Instrument eines professionellen Social-Media-Online-Monitorings als wirkungsvolles Hilfsmittel gegen herannahende Shitstorms ins Feld geführt. Nach Meinung von Uwe Mommert, Vorstand der Landau Media AG, braucht man zumindest für das Erkennen eines Shitstorms aber eigentlich kein Monitoring: „Es liegt ja in der Natur des Shitstorms, dass die anfallenden Meinungsäußerungen so massiv auftauchen, dass sie nicht zu übersehen sind. Wie in der normalen Kommunikation geht es beim Monitoring ja um die Vermeidung von Kommunikationskatastrophen dadurch, dass man kritische Themen erkennt und bearbeitet, bevor sie eskalieren.“ Er rät trotzdem jedem Unternehmen zu einer „Nullmessung“ im Social Web, die einen Überblick über die aktuelle Meinungslage zu einem bestimmten Thema möglich macht.

Holger Jung: „Heute hat jeder Angst vor einem Shitstorm.“ www.derstandard.at (bit.ly/ILK2T2)

Inzwischen scheinen manche Berater Shitstorms kommunikativ sogar zwanghaft für den PR-Erfolg instrumentalisieren zu wollen. Dabei kann sich unfreiwillig auch eine humorvolle Komponente einschleichen, die das eigentliche Ziel konterkariert. So geschehen bei der Tierrechtsorganisation Peta, die den niedersächsischen Spirituosenhersteller Mast-Jägermeister darum gebeten hatte, die Bezeichnung für sein Hauptprodukt „Jägermeister“ aus Image- und Tierschutzgründen in „Waldmeister“ umzubenennen. Angeblich waren sogar die Kommentare auf den Facebook-Seiten von Peta gegenüber dieser überzogenen Forderung ablehnend. Online überprüfen kann man das jedoch leider nicht mehr, da hierzu inzwischen nichts mehr auf den Facebook-Seiten von Peta zu finden ist.

Zühlke sieht trotz solcher aktuellen Shitstorm-Wirrungen eine klare Option auf die positive Chance im vermeintlich verheerenden Sturm: „Eine derartige Krise kann auch positive Auswirkungen haben, wenn eine Firma bereit ist, ihr Selbstbild und Verhalten nach außen zu überprüfen und eventuelle Schwachstellen zu erkennen. Alles harte Lektionen, aber es zahlt sich letztendlich aus, wenn Firmen bereit sind, sich ihren Kunden und Fans auf diese Weise zu öffnen.“

Und als potenzielle Belohnung für ein solches Lernverhalten gibt es sogar schon einen entsprechenden Gegenbegriff zum Shitstorm: den Flauschstorm. Hier wird das „Opfer“ in den sozialen Netzwerken mit einem Sturm aus Lobes- und Liebesbekundungen überschüttet. Ob das auf die Dauer wirklich besser ist?
 

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