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News / Der Porzellan-Popstar
26.04.2012   News
Der Porzellan-Popstar
 
Neupositionierung der Manufaktur Meissen Seit Christian Kurtzke 2008 Geschäftsführer der Porzellanmanufaktur Meissen wurde, lässt der smarte Manager keinen Stein auf dem anderen. Er will Meissen zu einem der führenden deutschen Luxus- und Lifestylekonzerne umbauen. Von Harald Schiller

Mitte Oktober 2010 ließ es Manufakturchef Christian Kurtzke krachen. Das Scherbengericht machte als „Meissener Polterabend“ Schlagzeilen, im 300. Jubiläumsjahr der weltberühmten Manufaktur riefen schockierte Ohrenzeugen die Polizei. In den lokalen Zeitungen war von einer „Nacht- und Nebelaktion der Zerstörung“ zu lesen. Was war passiert? Mitarbeiter der Manufaktur mussten Berge unverkäuflichen, von Hand bemalten Porzellans, zerschlagen, „am 14. Oktober wurde die Charge als unverkäufliche Altbestände klassifizierter Waren zerstört und entsorgt“, erläuterte Kurtzke später in der Bild-Zeitung. „Die Veränderungen in der Manufaktur waren erforderlich. Allerdings wurden sie nur unzureichend kommuniziert“, erklärte Kurt Biedenkopf, ehemaliger sächsischer Ministerpräsident und Aufsichtsratsvorsitzender der Manufaktur, in einem Interview. Biedenkopf hatte mit dem Boston-Consulting-Berater Kurtzke einen erfahrenen Sanierer nach Meißen geholt. Obwohl Porzellan aus Meißen weltweit einen hervorragenden Ruf genoss, steckte der sächsische Staatsbetrieb in Schwierigkeiten. 2008 verbuchte das Unternehmen einen Verlust von über sechs Millionen Euro. Was hatte die Marke mit den gekreuzten Schwertern nicht alles überstanden: Adel, Bürgertum, Nazis, zwei Weltkriege und auch den freudlosen DDR-Sozialismus. Doch erst der postsozialistische Niedergang der klassischen deutschen Tischkultur war fatal. Das Geschäft mit Porzellan lag am Boden, Geschirr nimmt man günstiger bei Ikea mit. 2010 musste Kurtzke 200 von 800 Mitarbeitern entlassen. Vor Ort erschien er zunächst als einer, der den Hassfantasien Margot Honeckers entsprungen sein konnte.


Der Job seines Lebens
Doch Christian Kurtzke hat in Sachsen den Job seines Lebens gefunden. Er kam als Sanierer, kennt viele marode Unternehmen von innen und kann ihre Bilanzen lesen. Nun stellt sich der smarte Manager auf die Langstrecke ein. Christian Kurtzke will mit einer eignen Vision überzeugen. Für „Authentizität, Stil und Werte“ will er stehen. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Neuerfindung einer der ältesten Marken der Welt. Kurtzke soll den Umsatz der Manufaktur steigern, von aktuell 38,6 Millionen Euro innerhalb von zehn Jahren auf 100 Millionen. „Das Unternehmen war wie ein Flieger beim Absturz, ohne Instrumente!“, erklärte er sein in der Belegschaft umstrittenes Vorgehen in der FAZ. 2011 zeigte seine Rosskur erste Erfolge, der Umsatz stieg. Innerhalb von zwei Jahren hatte Kurtzke das Unternehmen aus dem Minus geführt.

„Er trägt die Haare zurückgegelt, lächelt viel und breit und tritt auch sonst sehr selbstbewusst auf“, charakterisiert das Handelsblatt den Meissen-Chef. Ein bisschen Latin Lover, ein bisschen Investmentbanker, ein bisschen Kulturfreak. „Meissen spricht mit einer Stimme!“ sagt Thomas Kleiber, Chef der Meissen-PR-Agentur Mediacommunity-Berlin, und meint damit: „Auskünfte über die Strategie der Manufaktur gibt es nur von Herrn Kurtzke.“ „Die meisten Menschen kennen Meissen von unserer Tisch- und Tafelkultur. Dabei sind wir vor 300 Jahren mit edlen Schmuckstücken und mit gehobener Inneneinrichtung, quasi als Objektausstatter von August dem Starken, gestartet“, erläutert Kurtzke seine Strategie, „2012 wollen wir unseren Umbau zu einem der führenden deutschen Luxus- und Lifestylekonzerne weiter vorantreiben.“


„Mekka der modernen Kunst!“
„Meine Vision ist es, Meissen als Manufaktur und Meißen als Ort zu einer Art Mekka der modernen Kunst zu entwickeln!“ lautete eine weitere Botschaft Kurtzkes. Mit dem „artCAMPUS Meissen“ in der Leipziger Baumwollspinnerei bewies die Manufaktur, dass namhafte Künstler wie Karl Otto Götz oder Otto Piene mit dem Material Porzellan etwas anfangen können. Kurtzke will für den globalen Kunstmarkt produzieren und sich nicht auf die Porzellan-Sammler beschränken. Ein weiterer Höhepunkt fand in Mailand statt. Hier wurde die „Villa Meissen“ eröffnet, in der Casa Carcassola, einem Palazzo Mailands aus dem 16. Jahrhundert. Dort entsteht das neue Welt-Vertriebszentrum des sächsischen Unternehmens. „Mailand ist das Mekka für Wohndesign”, sagt Kurtzke. Im Hochpreissegment geht es jetzt um Kunstwerke und Schmuck – Geschenkartikel sind für vergleichsweise wenig Geld zu haben. Neue Kunden will Kurtzke mit der Marke „Meissen Home“ anlocken, mit Bad- und Kücheneinrichtungen, Textilien und Möbeln.

Doch Zuhause regt sich weiter Widerstand. Eine Bürgerinitiative wettert gegen Kurtzkes Strategie und Unternehmenskultur. Eine Strategie für die „Manu“ dürfe „nicht im Alleingang eines kleinen Gremiums bewältigt und als Diktat verkündet werden“. Auch in der Kritik: „porzellanfremde Produkte im Ausland fertigen zu lassen und unter den eigenen Traditionsmarken zu handeln“. Zu den Wortführern der Zweifler zählt Reinhard Fichte, ehemaliger Generaldirektor des VEB Staatliche Porzellanmanufaktur Meissen.

Auch die Lokalpresse führt den neuen Manufaktur-Chef vor: „Über den Meissen-Boss wird Buch geführt“ lautet die scheinbar neutrale Headline eines Beitrags in der Sächsischen Zeitung. Der Autor zitiert wohlwollend aus einem Artikel des Autors Volker Külow, der in dem Sammelband „Lügenbarone und Ganoven“ dem Vorstand der Manufaktur ein „ironisch-satirisches Denkmal“ gesetzt habe. Was der SZ-Leser nicht erfährt: Volker Külow war inoffizieller Stasi-Mitarbeiter und hat noch 1989 Mitbürger ausgeforscht – gegen Bezahlung.

Immerhin versprach der Meißener Stadtrat Ullrich Baudis unlängst: „Wir haben ein Interesse daran, mit der Manufaktur im Gespräch zu bleiben“, das Schweigen zwischen Porzellan-Manufaktur und Stadt müsse endlich durchbrochen werden. Streitpunkt dort: die Produktion des Schmucks und der Einrichtungsgegenstände im Ausland, während in Meißen Jobs gestrichen werden.

Christian Kurtzke kann wegstecken und austeilen: „Die Branche schnarcht“, ging er die deutschen Porzellanhersteller an – und bezog Prügel. Dass er die Marke „Weißes Gold“ beim Europäischen Markenamt schützen ließ, erfuhren die Konkurrenten freilich erst später. Seine Vorbilder sind europäische Luxuspäpste wie Armando Branchini, Generalsekretär der Altagamma, der Interessenvereinigung der italienischen Luxusgüterproduzenten. Kurtzke ist charmant, eloquent, kameratauglich, er hat Spaß am Umgang mit den Medien und weiß diese zu nutzen. „Ja-Wort auf Mauritius, Meissen-Chef heiratet Stewardess: Meissen-Boss Dr. Christian Kurtzke (42) mit seiner bildhübschen Ehefrau Lina (21), “ jubelte die Bild-Zeitung 2011.


Kunst, Schmuck und Meissen Home
Für Kurtzke ist das jahrhundertealte Archiv der Manufaktur ein Ideengeber, er will „aus Kunsthandwerk Kunst machen!“ „Wir sind die einzige Porzellan-Manufaktur der Welt, die ihr eigenes Bergwerk zur Förderung von Kaolin, der sogenannten Porzellan-Erde, hat. Wir sind die einzige Porzellan-Manufaktur, die ihre zehntausend Farben nach alten Rezepten in eigenen Labors herstellt. Wir sind die einzige Manufaktur, die 200.000 unterschiedliche Produkte im Angebot hat und in deren Magazinen 800.000 verschiedene Formen lagern.“ Der Kunstmarktboom beflügelt ihn, er setzt mit seinem „Art Campus“ auch auf die Wertsteigerungshoffungen der Käufer. Jetzt sollen seine Visionen bei der Mailänder Möbelmesse „Salone del Mobile“ und in den entsprechenden Hochglanzmagazinen sichtbar werden. In einem Palazzo aus dem 15. Jahrhundert hat Kurtzke einen Showroom errichten lassen. „Das Geschirr war und ist nicht die tragende Säule der Manufaktur“, sagt Kurtzke. Er möchte Meissen auf verschiedene Säulen aufbauen: Meissen Fine Art, die Kunst, Meissen Juwelierkunst, Schmuck und Accessoires und Meissen Home, dazu zählen Tapeten, Möbel und Porzellan. Eine „Architektur-Linie“ ist derzeit noch in der Entwicklung.

Dass es in Deutschland keine Luxuskonglomerate wie LVMH oder PPR (Frankreich) oder in der Schweiz Richemont gibt, beklagten Branchenunternehmen hierzulande oft und gerne. Denn so fehlt die Schlagkraft für Marketing, Lobbying und Aus- und Fortbildung. „Unendlich ist die Kraft für den, der mit dem Hebel schafft“, sagt Christian Kurtzke. Er ist auch Vorstandsmitglied des 2011 gegründeten „Meisterkreises“. Dieser Zusammenschluss etablierter deutscher Luxushersteller will dafür sorgen, dass Manufakturen, Produkte und Dienste stärker als deutsche Kulturgüter wertgeschätzt werden. Über 40 deutsche Marken haben sich dafür zusammengeschlossen, außer der Porzellanmanufaktur Meissen auch das Hotel Adlon, Porsche mit Porsche Design, der Füllerhersteller Montblanc und der Kamerabauer Leica.


Inbegriff des europäischen Porzellans
Wachsen will die Maufaktur vor allem in Asien. Der Kontinent trägt rund 30 Prozent zum Umsatz bei. Noch sind Japan und Taiwan sind besten Kunden der Sachsen. Doch vor allem auf China ruhen die Hoffnungen: Eine kauffreudige Generation von Aufsteigern sonnt sich dort im Glanz ihres neuen Wohlstands. In China kaufen nicht nur die Superreichen Luxus. Auch die mittleren Einkommensgruppen wollen sich solche Güter leisten. Kein Wunder also, dass jetzt die Manufaktur Meissen in Meißen ihr Museum für zeitgenössische Kunst eröffnete und der erste Besucher Wing-Kun Tam aus China war, der internationale Präsident der Lions Clubs. Er versprach: „Wir werden alles tun, um diesen Markt für Meissen zu öffnen!“

Mehr als 300 Jahre „Porzellan-Manufaktur Meissen“
Die Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen wurde 1710 durch den sächsischen Kurfürst August den Starken gegründet und avancierte in drei Jahrhunderten
zu einer der bekanntesten Marken der Welt. Möglich wurde die Produktion des
„weißen Goldes“ durch die Entdeckung Johann Friedrich Böttgers, der herausfand, wie man Hartporzellan herstellt. Während früher ein wertvolles Porzellanservice unverzichtbares Statussymbol des aufstrebenden Bürgertums war, beschreiben Lifestyle-Experten heute eine Kulturrevolution: den Untergang der klassischen Tisch- und Tafelkultur. Diese jedoch war die Geschäftsgrundlage der Manufaktur – dramatisch sinkende Umsätze der Branche sind die Folge. Aufgrund der hochdefizitären Unternehmenssituation holte die Manufaktur 2009 den ehemaligen Boston-Consulting-Berater Christian Kurtzke als Sanierer nach Sachsen. Er will das Unternehmen neu erfinden und aus Meissen ein „Mekka der Moderne“ machen.
 

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