Er ist der Schrecken der ernährungsindustrie Thilo Bode ist ein Eiferer. Hartnäckig tischt er den Deutschen unappetitliche Wahrheiten über Lebensmittel auf. Freund und Feind bewundern seine Geradlinigkeit und bedauern eine latente Hoffart. Der Foodwatch-Chef mäandert zwischen Kühnheit und Egomanie. Von Bijan Peymani
Mit Essen spielt man nicht! Als Bub muss Thilo Bode diesen Satz seiner Mutter derart inhaliert haben, dass er ihn ein halbes Jahrhundert später zum Programm erhob. In der Rettung der Erde hatte der promovierte Ökonom bis dahin seine Lebensaufgabe gefunden, die Spontigruppe Greenpeace erst in Deutschland und dann international salonfähig gemacht. Als Bode seine Mission erfüllt sah, drängte es ihn, wie viele Alphatiere um Mitte 50, ein letztes Mal die ganz große Bühne zu erobern. Er gründete
Foodwatch, das war 2002.
Zehn Jahre danach sind die „Essensretter“, wie sich die im Berliner Bezirk Mitte beheimatete Organisation unbescheiden nennt, ein schmerzender Stachel im Fleisch der Nahrungsmittelindustrie. Der werfen Bode und sein zwölfköpfiges Team regelmäßig vor, die Verbraucher zu täuschen. Ob verschleierte Inhaltsstoffe, Geschmacksimitate oder Zuckerbomben für Kinder: Foodwatch prangert den „legalen Etikettenschwindel“ an.
Ein Begriff, den Bode geprägt hat und der ihm in praktisch jedem Gespräch reflexartig über die Lippen rutscht. Dabei gewinnt seine nuschelige, immer leicht weinerliche Stimme etwas besonders Anklagendes. „Es macht mich zornig, wie wenig sich die Politik von den Einflüssen der Industrie emanzipiert“, bekennt der 65-Jährige. Er sagt das ruhig, nicht aufbrausend, rückt dabei seine große dunkle Hornbrille zurecht und streicht sich durchs schlohweiße Haar. Bode ist kein Krawallo. Schon zu Greenpeace-Zeiten gefiel er sich in der Rolle des Moderators und Chefstrategen – zum Ärger vieler Fundis im Team. So unübersehbar seine großgewachsene, bullige Statur auch ist, Bode liebt den unscheinbaren Auftritt. Ein paar karge Gesten, dazu hochgezogene Augenbrauen, ein gespitzter Mund – das muss an Körpersprache reichen. Doch die geballte Harmlosigkeit ist Strategie, das scheinheilige Grinsen eine seiner schärfsten Waffen. Bode lebt davon, unterschätzt zu werden. Er lässt sein Gegenüber kommen, deckt die eigenen Karten erst Zug um Zug auf. Das macht ihn zu einem unangenehmen Gegner.
„Menschenkenntnis ist nicht meine Stärke und jede Kampagne ein Experiment“, begründet Bode seine Haltung, die man – wohlwollend – als pragmatisch werten könnte. Andere nennen sie böswillig. Der Bode sei ein „strategischer Opportunist“, schimpft ein Lebensmittelinsider aus der sicheren Deckung der Anonymität heraus. In der Tat ist es für Foodwach mindestens eine glückliche Fügung, dass die Mitte Januar eingereichte Klage gegen die niederländisch-britische Unilever (siehe Kasten) ausgerechnet in die Phase fällt, in der sich Foodwatch in Holland breit macht.
Er sei „keineswegs angstfrei“, bekennt der Träger des Bundesverdienstkreuzes und „Social Entrepreneur“ des Jahres 2009. Vor jeder Kampagne habe er „immer ein bisschen Schiss“. Fehler darf sich Foodwatch nicht leisten, erhobene Vorwürfe müssen hieb- und stichfest sein: „Glaubwürdigkeit ist unser größtes Kapital.“
Bode sucht Konflikte genauso wie er sie fürchtet, getrieben von dem Wunsch, sich immer wieder auszuprobieren und die eigenen Grenzen zu erfahren. Beim Bier habe ihm einer mal den Satz entlockt, es mache ihm einen Heidenspaß, Große aufs Kreuz zu legen. So jedenfalls erzählt man es sich. Nicht ganz überraschend zweifelt der Vertreter eines Unternehmens, mit dem Foodwatch wiederholt die Klingen kreuzte, an der Aufrichtigkeit Bodes: „Der Mann ist narzisstisch veranlagt, dem geht es nur um das eigene Ego.“ Zynisch sei der Kerl außerdem.
Regelmäßige Wirkungstreffer
Was Wunder, dass die Ernährungsindustrie kaum Liebenswürdigkeiten für einen Mann übrig hat, dessen Mission es ist, sie in die Schranken zu weisen. Ist es feige oder zeugt es von stiller Anerkennung, dass Betroffene Kritik, wenn überhaupt, lediglich anonym äußern? Immerhin zeigen die Foodwatch-Vorstöße regelmäßig Wirkungstreffer: Von Gutfried bis Bongrain – mancher Konzern musste Produkte und Marketing nach Verbraucherprotesten verändern. Jüngst hat Ferrero, unter anderem mit der „Milchschnitte“ als „leichter Zwischenmahlzeit“ am Pranger, einen der ältesten Markenclaims beerdigt: „Kinder-Schokolade“ wird nicht mehr mit der „Extra-Portion Milch“ beworben. Über Thilo Bode reden mag Ferrero nicht.
Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner wirft Bode vor, er lebe davon, ein Klima der Verunsicherung zu schüren. Trotzig setzte Aigner dem Foodwatch-Treiben das Aufklärungsportal „
Lebensmittelwarnung.de“ entgegen. „Das konservative Argument, dass Foodwatch zu sehr skandalisiert, geht an der Aufgabe eines kritischen Watchdogs der Zivilgesellschaft vorbei“, kommentiert Henner Ehringhaus, der viele NGOs beraten und maßgeblich an der Konstruktion von Foodwatch mitgewirkt hat. Der Jurist, lange in leitender Funktion bei BASF und später an der Spitze des WWF, bewundert an Bode „seine unerschütterliche, nicht zu korrumpierende unabhängige ethische Haltung zur Wahrheit“, die er nach innen und außen lebe.
Um Interessenkonflikte zu vermeiden, musste etwa im Herbst 2011 Birgit Radow ihr Amt als Sprecherin des Foodwatch-Aufsichtsrates niederlegen. Sie hatte die Geschäftsführung eines Herstellers von Fleischprodukten übernommen. Auch Radow hat Bode als einen sehr geradlinigen Menschen in Erinnerung. Sein „unbändiger Wille, etwas zu verändern“, wirke motivierend und begeisternd. Er sei „in der Lage, klare Botschaften auszusenden, aber gleichzeitig immer bereit, zuzuhören und die Argumente anderer abzuwägen“.
Andere, die Bode ebenfalls hautnah erlebt haben, meinen, sein Zuhören diene eher dazu, sich am Ende scheinbar arglos durchzusetzen. Wer Bedenken äußere, werde ignoriert. Überhaupt gehe Bode das Talent ab, seine Leute mitzunehmen.
„Schon einige Zehntausend genügen“
Für 2011 weist Foodwatch erstmals seit der Gründung ein positives Eigenkapital von rund 230.000 Euro aus, hatte also mehr Vermögen als Schulden. Die Zahl der Förderer stieg auf 22.600 – nicht gerade ein sensationeller Wert nach zehn Jahren. „Wenn wir in einer Kampagne was erreichen wollen, müssen wir nicht unbedingt Massen mobilisieren, das ist zu ambitiös“, kontert Hobbysegler Bode, „gerade für den Handel sind einige Zehntausend auch schon ein Problem.“
Für ihn selbst viel bedeutsamer ist, dass er über die angezettelten Ernährungsdebatten sein eigentliches Thema festmachen kann: das Demokratiedefizit auf allen Ebenen. „Wesentliche Prozesse funktionieren nicht mehr, vor allem die Kontrolle von Macht“, kritisiert Bode. Mit Foodwatch hofft er, als Korrektiv zu wirken. Ein langer Weg, den er bereit sei, noch weitere fünf Jahre zu gehen, verrät Bode. Ehringhaus sieht die Mission seines Weggefährten als Bestimmung: „Das Schicksal redet zu uns durch die Aufgaben, die es uns stellt.“
Auch Unilever bekommt sein Fett weg Am 17. Januar 2012 reichte Foodwatch gegen Unilever Klage beim Landgericht Hamburg ein (Aktenzeichen 324 O 64/12). Mit diesem Schritt will die Organisation den Konzern zwingen, die Aussage zu unterlassen, es gebe „aus wissenschaftlicher Sicht … keinen Hinweis darauf, dass der Verzehr Pflanzensterin-angereicherter Produkte mit Nebenwirkungen in Verbindung zu bringen ist“. Konkret geht es um die cholesterinsenkende Margarine „Becel pro.activ“. Unter Experten seien die dem Produkt zugesetzten Pflanzensterine umstritten, so Foodwatch. Sie stünden „im Verdacht, das zu bewirken, was sie verhindern sollen: Ablagerungen in Gefäßen und ein erhöhtes Risiko für Herzkrankheiten“. Selbst für Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten sei „die Unbedenklichkeit der Produkte fraglich“. Zuvor hatte Foodwatch Unilever aufgefordert, „Becel pro.activ“ nicht mehr frei zugänglich zu verkaufen, sondern ein Zulassungsverfahren als Medikament anzustrengen, damit die nach dem Arzneimittelrecht zuständigen Behörden den gesundheitlichen Nutzen sowie die Risiken und Nebenwirkungen beurteilen können.
Zur Person Thilo Bode (Jahrgang 1947), Sohn eines Journalisten und einer Buchhändlerin, wuchs bei seiner Großmutter in Herrsching am Ammersee auf. Er studierte Soziologie und Volkswirtschaft, promovierte zu Direktinvestitionen in Entwicklungsländern. Er arbeitete für die Beratungsfirma Lahmeyer International an Wasser- und Energieprojekten in der Dritten Welt, kümmerte sich später bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau um Projekte im Maghreb und in Somalia.1986 wurde Bode Vorstandsassistent bei einem mittelständischen Metallunternehmen in Düsseldorf. Drei Jahre später startete er seine NGO-Laufbahn in der Geschäftsführung von Greenpeace in Deutschland, ab 1995 international. Nach seinem Ausstieg im Jahr 2001 bereitete Bode den Aufbau des Vereins Foodwatch vor, den er 2002 ins Leben rief.