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24.02.2012   News
Flugziel noch unbekannt
 
Übergangschef Mehdorn Air Berlin durchlebt unruhige Zeiten: Schuldenberg, neuer Großaktionär und ein Interims-CEO, zu dem jeder eine Meinung hat. Die interne Kommunikation hat zu tun. Von Martin Bell

„Air Berlin bleibt Air Berlin“, versichert der Boss in der Februar-Ausgabe der Mitarbeiterzeitung. Er meint nicht: Air Berlin bleibt die taumelnde Fluglinie, die Jahr für Jahr tiefer in die Miesen rutscht. Diese haben längst die halbe Milliarde Euro überschritten. Hartmut Mehdorn, seit vergangenem September Vorstandschef der Airline, will vielmehr sagen: Das Unternehmen bleibt eigenständig. Keine Übernahme durch Scheichs aus den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Das Signal scheint nötig. Denn Deutschlands zweitgrößte Fluggesellschaft durchlebt unruhige Zeiten; wenig bleibt, wie es ist. Nach zwanzig Jahren an der Spitze warf Air-Berlin-Gründer Joachim Hunold im vergangenen Sommer das Handtuch. Ein „drastisches Sparprogramm“ (Süddeutsche Zeitung) ist eingeleitet: Streckenstreichungen, Schrumpfkur für die Flotte, Umorganisation des Vertriebs. Dazu mit Abu Dhabis staatlicher Flug- linie Etihad ein neuer Großaktionär und strategischer Partner, der mit Macht in Air Berlins Alltag vordringt, ähnlich wie der anstehende Beitritt zur Oneworld-Alliance, der die Deutschen ans Streckennetz von Mitgliedern wie American Airlines und Qantas anbindet. Und als wäre all das nicht genug: Mehdorn als Unternehmenslenker. Der Mann, der unter „seinem alten Vornamen ‚Bahnchef‘“ (stern.de) aus Milliardenverlusten Milliardengewinne machte – und mehr als hunderttausend Arbeitsplätze abbaute.

Dies bietet reichlich Stoff für die Unternehmenskommunikation. „In einer solchen Umbruchphase spielt unter Mitarbeitern das Vertrauen in die Konzernführung eine entscheidende Rolle“, unterstreicht Christina Marx, Mitglied der Geschäftsführung in der Düsseldorfer Agentur Crossrelations. „Bei Air Berlin werden die meisten ihren neuen CEO nur aus den Medien kennen.“ Eine Hypothek, belastet mit Schlagzeilen aus Bahn-Zeiten, die hängen blieben: von massenhafter Bespitzelung bis zur verdeckten Meinungsmache. „Um diesem Bild gegenzusteuern“, so Marx, „braucht es verstärkte Anstrengungen in der internen Kommunikation.“

Diese hat Air Berlin unter Mehdorns Führung tatsächlich angepackt. Wie Kommunikationschef Uwe Belringhoff berichtet, antwortete Mehdorn bereits wenige Tage nach seiner Ernennung per Video auf „die drängendsten Fragen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“. Allerdings nicht live. Per E-Mail hatten Betriebsangehörige Fragen eingereicht, die Berlinghoff vor der Kamera stellte. Der Antrittsbesuch via Monitor – eine Geste aus hoheitlicher Distanz. Auch künftig will sich der CEO mit Videobotschaften ans Fußvolk wenden. „Herr Mehdorn“, lässt Berlinghoff wissen, „legt besonderen Wert auf die interne Kommunikation.“

Siehe „airberlin news“: Die Mitarbeiterzeitung, im Dezember eingeführt, hält über Aktuelles auf dem Laufenden, erläutert Hintergründe und versucht sich im „Wir“-Gefühl. Erst Anfang des vergangenen Jahres, mit Berlinghoffs Einstand als Director Corporate Communications, hielt bei der Airline die Idee Einzug, „interne Kommunikation als Aufgabengebiet der Unternehmenskommunikation zu begreifen“, erklärt der 55-Jährige, der von Opel kam. Ein erster Ansatz war vorigen Sommer eine Mitarbeiterzeitschrift, die vierteljährlich erscheinen sollte. Doch wegen der „Vielzahl der zu kommunizierenden Themen“, so Berlinghoff, „haben wir uns entschieden, monatlich eine Zeitung herauszugeben“. Der Auftaktausgabe lag gleich ein Extrablatt bei. „Ich bin sehr enthusiastisch“, jauchzte darin Mehdorn. „Das ist ein Leuchtturm in der Luftfahrtgeschichte.“

Nicht die Mitarbeiterzeitung war Anlass seines Jubels, sondern der Aufstieg Etihads zum größten Einzelaktionär und die parallel vereinbarte Kooperation, die laut „airberlin news“ „Wachstum und Stabilität“ bringe. Die hierzulande wenig bekannte Airline Etihad, vor knapp neun Jahren von Abu Dhabis Herrscherfamilie aus der Taufe gehoben, fliegt Afrika und Asien an, aber auch Nordamerika und Australien. Air Berlin erschließt sich mit der Partnerschaft neue Zielgruppen – als Zubringer und als Carrier für Anschlussflüge vor allem in Deutschland, Österreich und Spanien, den stärksten Märkten der Spreestädter. Allein: Genau diese Vorteile verspricht (und zwar in weit größerem Maßstab) die Oneworld-Mitgliedschaft, die Air Berlin seit mehr als einem Jahr vorbereitet. Mehdorns Begeisterung hat deshalb wohl andere Gründe. Zum einen darf er sich über rund 73 Millionen Euro freuen, die Etihads Engagement in die Kasse spült. Zum anderen spendieren die Araber einen Kredit von rund 200 Millionen Euro. Das verschafft Luft.


Sanierer unter Druck
Doch es ist kein Ruhekissen. „Die harte Arbeit geht weiter“, mahnt Mehdorn im Extrablatt. Mut machen mit Nachrichten à la Etihad, zugleich einschwören auf ungemütliche Maßnahmen: „Wir müssen sparen“, betont der CEO in seinem ersten airberlin-news-Editorial, „auch an Dingen, die uns lieb geworden sind.“ Keine Weihnachtsfeier, hieß das für die Belegschaft. „Eher ein symbolischer Akt, um den Ernst der Lage zu vergegenwärtigen“, denkt Anabel Houben, Partnerin der auf Change-Kommunikation spezialisierten Unternehmensberatung C4 Consulting in Düsseldorf. Ängste vor dem Verlust des Arbeitsplatzes versuchte Mehdorn bereits Wochen vorher in seiner Videoansprache zu nehmen. Stellenabbau, verkündete er dort laut der „Zeit“, sei „das allerletzte Mittel, das wir uns vorstellen können“. Stattdessen: Rotstift einmal querbeet. Achtzehn Flugzeuge werden bis zum Sommer ausrangiert, mehr als doppelt so viele wie Hunold einst vorsah. Gratisflüge für hundert Promis aus Unterhaltung, Sport, Wirtschaft: seit Jahresbeginn gestrichen. Bandenwerbung in Bundesligastadien: zur kommenden Saison gestutzt. Mindestens 200 Millionen Euro soll die Verschlankung dieses Jahr einsparen.

Schönsprech macht das Ganze schmackhaft. Statt nach Gesundhungern klingt der Name des Programms nach einer Frühjahrsdiät aus „Brigitte Young Miss“: „Shape & Size“. Von „Effizienzsteigerung“ ist die Rede, nicht von Schmalhans. „Shape & Size kann viel mehr als nur sparen“, beteuern die „airberlin news“. „Es geht auch um klugen Ressourceneinsatz.“ Allerlei rhetorischer Aufwand, um Besorgnisse der 9.200 Mitarbeiter zu beschwichtigen.


Mehdorns Rolle als Interims-Manager
Mehdorn selbst, als Bahnchef Buhmann der Gewerkschaften und Schreck der Arbeitsagenturen, umschmeichelt in seinem Editorial die Belegschaft: „Sie alle als das wertvollste Gut in unserem Unternehmen“. Die Bemühungen verfehlen ihre Wirkung offenbar nicht. „Die Stimmung im Unternehmen ist gut“, sagt Kommunikationschef Berlinghoff. „Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen fördern das Vertrauen der Mitarbeiter ins Management.“ Die Außendarstellung des neuen Air-Berlin-Chefs gerät unterdessen ins Hintertreffen. Mehdorn scheint das nicht unrecht zu sein. Aus seinem Umfeld ist zu hören, er wünsche keinen Hype um seine Person. „Unser CEO“, bestätigt Kommunikationschef Berlinghoff, „drängt sich ausdrücklich nicht in die Öffentlichkeit.“ Angeblich, munkelt man, ist Air Berlins Führungsriege sogar überrascht, wie viel Aufmerksamkeit die Personalie erregt.

Das indes ist nur schwer vorstellbar. Als Bahnchef zählte Mehdorn zu den bekanntesten und umstrittensten Spitzenmanagern des Landes. Schmäh-Auszeichnungen wie „Verschlossene Auster“ und „Sprachpanscher des Jahres“ erwarb er sich in dieser rund zehn Jahre langen Zeit ebenso wie ein Abo aufs Schlusslicht in Image-Rankings. Mehdorns Langzeitvertrauter Dirk Große-Leege reicht seinem Ex-Chef aus Heidelberger Tagen noch heute immer mal wieder als Berater einen Eisbeutel, aber klar ist auch: Eine derart ausgewiesene Reizfigur bleibt, nimmt sie wieder auf einem Chefsessel Platz, von den Medien nicht unbeachtet.

Zumal es Raum für Spekulationen gibt. Unklar etwa ist, wie lange Mehdorns Gastspiel bei der kriselnden Airline dauern wird. „Übergangsweise“, so eine Pressemitteilung im August 2011 zum Abgang Hunolds, „wird Hartmut Mehdorn die Aufgabe des CEO übernehmen.“ Übergangsweise? Ein paar Monate? Ein Jahr? „Sicherlich eineinhalb Jahre oder gegebenenfalls auch mehr“, zitiert ihn der „Tagesspiegel“ aus dem Video an die Mitarbeiter. Offiziell bleibt seine Amtszeit im Ungefähren: „bis ein Nachfolger gefunden ist“, lautet die Sprachregelung. Das zieht sich nun schon eine Weile hin. Eilig hat man es anscheinend nicht. Achselzucken am Saatwinkler Damm. An Spekulationen, teilt Uwe Berlinghoff mit, „beteiligen wir uns verständlicherweise nicht“.

Das hält die Gerüchteküche am Brodeln. Was hat Mehdorn vor? Warum hat sich der 69-Jährige noch mal auf ein Abenteuer wie Air Berlin eingelassen? Aus Gefälligkeit? Als Sitzwärmer? Oder als Sanierer auf Wegen, die sein „Buddy“ Hunold („stern.de“) nicht gehen mochte? Mehdorns Sparprogramm fällt deutlich schärfer aus, als Hunold plante. Übrigens hatte Hunold die Araber 2008 abblitzen lassen. Eine solche Lesart würde bedeuten: Mehdorn wird bleiben, bis die Weichen gestellt sind für Air Berlins Weg in die Zukunft, und nicht nur „bis ein Nachfolger gefunden ist“. Gleichwie. „Ein befristetes Mandat ist kein Nachteil“, meint Anselm Görres, Inhaber der Münchner Agentur ZMM, die Interims-Manager vermittelt. „Wer wenig Zeit hat, verschwendet auch keine.“ Nach innen kann das im Idealfall ungeahnte Energien freisetzen. „Mitarbeiter wissen: Jetzt heißt es ranklotzen“, so Görres, „aber nur für eine gewisse Zeit, dann ist das Gröbste überstanden.“


Was passiert in zwei Jahren?
Allerdings: Zusicherungen eines Übergangschefs haben ein unsicheres Verfallsdatum. Der Nachfolger wird sich nicht unbedingt an Versprechen Mehdorns gebunden fühlen. Das eröffnet der Unternehmensführung, falls der jetzige Kurs keinen Erfolg hat, zusätzlichen Handlungsspielraum. Etihad etwa hat sich vertraglich lediglich verpflichtet, die nächsten zwei Jahre stillzuhalten. Danach könnten die Scheichs Air Berlin übernehmen oder den Weg frei machen für einen anderen Investor.

Die Führungsspitze zumindest glaubt an die Zukunft des Wertpapiers. Kurz vor Mehdorns Amtsantritt deckten sich Gründer Hunold und der Verwaltungsratsvorsitzende Hans-Joachim Körber mit Air-Berlin-Aktien ein. Auch der Ex-Bahnchef selbst: Mehdorn orderte 125.000 Stück.


„Hallo, liebes AB-Team“
In der Kommunikation nach außen setzt Air Berlin auf Social Media – und, wenn auch abgespeckt, auf klassische Werbung: „Happy Valentines Day!“ twittert Air Berlin, „1.000.000 zusätzliche Tickets zum Jubelpreis am 13. und 14. Februar 2012!“ Im Kontakt zur Kundschaft gewinnen Twitter & Co. an Bedeutung. Als Marketingkanal ebenso wie im Service und zur Kundenbindung. Air Berlins Facebook-Seite etwa sei „sehr kundenorientiert und hat eine hohe Interaktionsrate“, berichtet Kommunikationschef Uwe Berlinghoff. „Anfragen werden an sieben Tagen die Woche beantwortet“, egal ob es sich um Beschwerden handelt („Das ist Wucher!“) oder um Unklarheiten bei der Online-Buchung („Hallo, liebes AB-Team, es gibt da ein kleines Problem.“). „Auch in der Krisenkommunikation“, so Berlinghoff, „haben sich unsere Social-Media-Kanäle in der Kommunikation mit unseren Kunden bewährt“, etwa mit Informationen zur Aschewolke oder zu angedrohten Fluglotsenstreiks. Die Zahl der Air-Berlin-Anhänger auf Facebook stieg binnen eines Jahres von rund 20.000 auf mehr als 80.000; knapp 12.000 Follower hat die Fluggesellschaft auf Twitter. „Seit Beginn vergangenen Jahres bauen wir unsere Social-Media-Aktivitäten aus“, teilt Berlinghoff mit. Das fällt zusammen mit seinem Einstieg bei Air Berlin. Die Leitung des Bereichs übertrug er Melanie Schyja. Die Germanistin kam von der Düsseldorfer Internetagentur Euroweb, wo sie Pressesprecherin und Leiterin der Online-Redaktion war. Verstärkung für ihre jetzige Abteilung sucht sie, passend, via Xing und Twitter. Im Offline schraubt Air Berlin derweil seine Präsenz zurück. „Unsere Teilnahme an Veranstaltungen haben wir stark zurückgefahren“, erklärt Uwe Berlinghoff. An Anzeigen- und Plakatwerbung, betreut von Rapp Germany, Düsseldorf, halte man jedoch weiterhin fest, genau wie „an der Air Berlin Wettershow auf n-tv“. Offenbar hat Berlinghoff den Fernseher lange nicht mehr eingeschaltet. Die Wettershow der Airline läuft auf N24.
 

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