Netzwerke auf Beutezug
Für PR-Kunden ist Deutschland ein Einkaufsparadies, nach wie vor. Der Agenturmarkt ist kleinteilig und inhabergeprägt. Fast alle Versuche einer industriellen Filialisierung seitens großer, internationaler Agenturkonzerne sind, in verschiedenen Wellen, hierzulande gescheitert. Das Nachfrageverhalten in der Breite der Kundenszene ist der Hauptgrund dafür: Nicht Apparate und Tools zählen, sondern Köpfe und Ideen.
Intellektuell und kulturell gesehen ist dieses sehr deutsche Phänomen fantastisch. Strukturell führt es dazu, dass jeder, der einen Kugelschreiber halten kann, eine PR-Agentur aufmacht, die er liebt und hegt und absolut einzigartig findet. Die zu Hunderten Kleinstbetrieben kulminierenden Einzigartigkeiten erzeugen aber eben auch Kleinteiligkeit und Unübersichtlichkeit. Nach wie vor.
Die „Großen“ in diesem Land könnten den Markt „machen“, indem sie jene Leerstellen ausnutzten, die das provinzielle Gefüge zwangsläufig lässt. Sie könnten Impulse setzen. Aber von der Spitze des Marktes kommt derzeit wenig: Der eine ist damit beschäftigt, den Niedergang oder entsprechende Unkenrufe abzuwehren; die anderen sehen sich zu Höherem geboren (oder gewachsen) und negieren die Wurzeln ihres Erfolgs eher, anstatt diese aus sich selbst heraus zu beleben.
Es wird noch mal spannend im Markt
Weil die „Großen“ sich im Stammgeschäft kleiner machen, als sie sind, wird es im deutschen Agenturmarkt jetzt doch noch mal spannend. Wer hätte das noch vor ein paar Jahren gedacht? Die Pfründe schienen verteilt, der Markt recht klar strukturiert. Wachsen, sich spezialisieren oder sterben, lautete die Losung der Propheten: Die für Deutschland so typische, kleine Bauchladen-Inhaberagentur mit ihren paar langjährigen, treuen Kunden schien ein Auslaufmodell zu sein, über kurz oder lang dem sicheren Ende geweiht. In der Tat haben Dynamiker wie ergo (durch kluge Spezialisierung) oder achtung! (durch ein integriertes Kunden-Unit-Modell) respektable Entwicklungen hingelegt und die Schallmauer von 100 Leuten durchbrochen. In der Breite der Kleinteiligkeitsbranche aber kam es anders: Etliche haben, irgendwie, überlebt. Und genau die werden momentan von den internationalen Networks umworben, dass es nur so knistert. Die Kriegskassen der Konzerne sind voll, ihr Wille, diesen verschrobenen deutschen Markt, den sie nie wirklich verstanden haben, endlich auch zu erobern, ist derzeit mit Händen zu greifen.
Scheitert das deutsche Agenturgründer-Alphatier dann ein paar Monate nach dem Verkauf von Seele und Firma in den Logiken des Networks, wird sie oder er wieder eine Beratung auf der grünen Wiese aufmachen und den betreffenden Top-Kunden mitnehmen. Und wieder klein anfangen.
Langfristig bleibt es dabei: Das PR-Geschäft hängt an Personen, nicht an Apparaten. Was Befürworter einer sanften Industrialisierung hoffen lässt: Auf den Managementpositionen der wenigen Networks in Deutschland sitzen Einheimische, die den lokalen Markt kennen: seien es langjährige Erfolgsstory-Garanten wie bei Edelman oder aufblühende Konvertiten aus der Konzernwelt wie bei Brunswick oder ambitionierte bisherige Inhaberagentur-Insassen wie bei Euro RSCG ABC (um nur einige zu nennen). Auch diese Lohnarbeiter verkörpern „people’s business“.
Wenn das Alphatier scheitert
Für die tapfer durch Krisen getaumelten Mittelständler, die derzeit von den lauernden Networks abtelefoniert werden, mag das ein Köder sein. Die Crux liegt darin, dass die meisten Gründer es nicht ertragen werden (was sie erfahrungsgemäß im ersten Schritt der Euphorie natürlich nicht bemerken), dass jenes einzigartige Unternehmen, das sie mühsam und mit Herzblut gepäppelt haben, plötzlich auf ein Reporting-Sheet passen muss.
Historisch betrachtet lässt sich die Zahl der Fälle an einer Hand abzählen, in denen eine Integration einer Inhaberfirma in ein Network – die ohne Zweifel auch viele Vorteile mit sich bringen kann – als gelungen bezeichnet werden kann. Insofern wird Deutschland wahrscheinlich ein introvertierter Markt mit vielen Einzelkämpfern bleiben. Und damit ein Einkaufsparadies für Kunden.
Sebastian Vesper ist Editorial Director von Haymarket in Deutschland. Von 1997 bis 2009 war er Chefredakteur beim PR Report.