„Agenturen haben Federn gelassen“
Seit zehn Jahren beobachtet Oliver Kleins Beratungsfirma cherrypicker den deutschen Markt der Kommunikationsdienstleister. Mit PR Report sprach der Unternehmer über Vorbehalte gegenüber seiner Zunft. Erstmals soll ein Code of Conduct dem Geschäftsmodell international mehr Vertrauen verschaffen. Herr Klein, cherrypicker ist im Oktober zehn Jahre alt geworden. Wie hat sich das Geschäft der Agenturmanagement-Beratung in der vergangenen Dekade verändert?
Sehr stark. Als ich meine Firma 2001 quasi vom Schlafzimmer aus gegründet habe, haben viele in der Kommunikationsbranche diese neue Idee belächelt oder kritisch betrachtet. Nur wenige wussten mit dem Begriff Agenturmanagement, wie wir ihn verstehen, also Unternehmen in allen Belangen bei der Zusammenarbeit mit Agenturen zu beraten, etwas anzufangen. Unsere Dienstleistung wird von Unternehmen und Agenturen anders wahrgenommen. Hinzu kommt, dass die Menschen heute beruflich stärker unter Druck stehen und nicht mehr alles allein machen können – zumal eine gute Agenturauswahl für vie- le Kommunikationsverantwortliche auch einen wichtigen Erfolgsfaktor für ihre eigene Arbeit darstellt. PR-Agenturen tun sich mit ihrer Eigenpräsentation oft schwerer als etwa Design- oder Werbeagenturen. Sie kommen auch nicht so mitreißend und emotional rüber und nicht so schnell auf den Punkt.
Wie hat sich die Beziehung zwischen Auftraggeber und Agentur in den vergangenen zehn Jahren gewandelt?
Diese Beziehung ist nicht mehr so stark von Leichtgläubigkeit und Naivität geprägt. Vor zehn Jahren hat man seiner Agentur sehr vertraut, hat sie vieles machen lassen. Gerade auch im PR-Bereich hat man viele Dinge gar nicht so kritisch hinterfragt – etwa die sogenannte Kommunikationskostenpauschale, die im Flatrate-Zeitalter schon fast an Betrug grenzt.
Sie haben im Oktober vermeldet, dass sich die im International AdForum organisierten Agency Consultants einen Code of Conduct gegeben haben. Ist die professionelle Vermittlung von Agenturpartnern so umstritten, dass es einer solchen Vereinbarung bedarf?
Die Kommunikationsbranche ist geprägt von vielen Vorurteilen und von viel Mundpropaganda, weniger von Fakten und mehr von Vermutungen. Das war schon immer so und gilt für alle Themen, die die Branche treibt – international genauso. Deshalb haben wir vor zwei Jahren begonnen, uns international auszutauschen, um einheitliche Standards zu entwickeln, nach denen wir uns verpflichten zu arbeiten, um der Branche zu zeigen, wofür wir stehen – auch in Abgrenzung zu anderen Geschäftsmodellen, die ganz andere Ziele verfolgen. Etwa, dass wir für Unternehmen und nicht für Agenturen arbeiten, aber gut mit Agenturen arbeiten und sie sehr ernst nehmen. Parallel zu unserer Arbeit, an der sich 34 Beratungen aus unterschiedlichen Ländern beteiligt haben, kam Anfang des Jahres das Thema Code of Conduct von Seiten der Agenturen auf, ausgelöst durch eine Umfrage des GWA.
Welche Rolle hat die vor zwei Jahren akute Finanz- und Weltwirtschaftskrise dabei gespielt, dass Sie Ihre Leistungen transparenter machen wollten?
Vor zwei Jahren war die Situation für Agenturmanagement-Berater eine – leider Gottes – sehr gute Zeit. Nicht jede Agentur ist geeignet, Unternehmen in Krisenzeiten zu begleiten. Wir hatten in der Krise ausreichend Aufträge, aber eher in Richtung Prozessoptimierung, weniger die typischen Auswahlprozesse. Der Code of Conduct ist also keine Krisenidee, sondern kam aus einer längerfristigen Betrachtung, dass es in der Branche viele Gerüchte und auch Sorgen darüber gab, was Agency Selection Services genau machen. Diese Aufklärungsarbeit werden wir weiter betreiben.
Was ja auch nötig ist, wenn man bedenkt, welche Aufregung Sie Mitte des Jahres innerhalb der Agenturszene hervorgerufen haben. Damals haben Sie vorgeschlagen, dass sich die besten drei Agenturen im Auswahlprozess der von cherrypicker initiierten Credential Awards (CREA) vor dem Marketing eines echten Kunden präsentieren sollten. Das Verständnis für Ihre Dienstleistungen scheint nach wie vor nicht vorhanden zu sein?
Das wird es wohl letztlich nie. Für viele Agenturen sind wir ein Störfaktor. Für andere Agenturen sind wir aber auch eine Chance für Neukunden und ein Garant für einen professionellen Auswahlprozess.
Gegen Ende des Jahres lohnt ein Rückblick: Was beschäftigt Agenturen zurzeit am meisten? Und: Wie haben sie die Krisenjahre 2009/2010 verwunden?
Die PR-Agenturen haben 2011 im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren einen wahnsinnigen Wandel innerhalb der Kommunikationsbranche erlebt. Ich glaube nicht, dass sie ihn alle auch durchlebt haben und sich verändert haben. Ich hoffe, dass sich Agenturen Ende 2011 viel stärker bewusst sind, als noch vor einem Jahr, dass sie sich in einem massiven Paradigmenwechsel befinden. Es stellt sich die Frage, welche Zukunft PR-Agenturen, wie sie seit 20, 30 Jahren existieren, haben werden. Agenturen müssen sich ihrer Kernkompetenz – dem zielgruppengerechten Umgang mit Inhalten – besinnen und daraus zeitgemäße Angebote kreieren. Ich vermute, dass die Agenturen sehr stark Federn gelassen haben. Was sehr schade ist, was aber auch die Chance bietet, dass jemand, der unter Druck geraten ist, selbst einen Veränderungsprozess anschiebt.
Fotos: cherrypicker