Aufbruchstimmung
Tunesien und Ägypten befinden sich bereits in der postrevolutionären Phase, in Libyen wird vermutlich nicht mehr lange gekämpft. Ist der Arabische Frühling auch ein Frühling für die Kommunikationsbranche? Was hat sich bereits verändert, was kommt? Und wie reagieren Unternehmen und Kommunikatoren auf die Herausforderungen? Dazu Analysen und Statements von Experten, die es wissen müssen. Von Chan Sidki-Lundius
Jeder Veränderungsprozess ist auch ein Kommunikationsprozess. Bestes Beispiel dafür ist ein Bericht des „Daily Telegraph“ von Ende August. Aus Unterlagen des libyschen Premierministers Baghdadi al-Mahmudi geht hervor, dass es einen 8,8 Millionen Britische Pfund schweren Etat für Agenturen in England und anderen Ländern geben sollte, mit dem Ziel, die positive öffentliche Meinung zum Nato-Einsatz gegen Libyen zu drehen. Diese Meldung passt gut zu einer Wochen zurückliegenden Anfrage des libyschen Informationsministeriums an britische Agenturen, PR-Unterstützung zum Aufpolieren des Gaddafi-Images zu leisten. Auch hier wäre gut dotiert worden, berichtet der „Daily Telegraph“. Führende Vertreter aus der britischen PR-Branche kommentierten das als naiven Versuch in Unkenntnis darüber, was PR leisten kann – und vor allem, was nicht. Außerdem hätte sich wohl keine Agentur für diese Kampagne jenseits des moralisch Akzeptablen gefunden, egal was sie an Geld gebracht hätte.
Moderne Kommunikationskanäle als Helfer
Die libysche Bevölkerung behilft sich mangels Geld wie in anderen arabischen und nordafrikanischen Ländern zuvor geschehen, mit dem Internet als zentralem Kommunikationskanal. PR-Experten wie auch politische Beobachter und Entscheidungsträger stimmen darin überein, dass moderne Massenmedien wie das Internet und länderübergreifende Fernsehsender wie Al-Dschasira einen großen Anteil daran haben, dass es zu den genannten Entwicklungen kommen konnte. Der Grund: Die Menschen in den betreffenden Staaten sind vergleichsweise jung – etwa 60 Prozent der Bevölkerung ist unter 30 Jahre alt – überwiegend gut ausgebildet und internetaffin – und sie nutzen mobile Geräte wie Smartphones. Über die Medien und das Netz erhalten sie Informationen darüber, wie zum Beispiel Wirtschaftsreformen und Rohstoffeinnahmen einer zumeist kleinen Elite zugute kamen und kommen. Und schließlich können sich die Menschen vor Ort über die Medien sehr schnell austauschen und gezielt Widerstand organisieren. Der richtet sich unter Umständen gegen einzelne ausländische Firmen, wenn Gerüchte kursieren, sie hätten die alten Regierungen mit Produkten und Serviceleistungen unterstützt und damit dazu beigetragen, die Bevölkerung besser unterdrücken zu können.
In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, was die skizzierte Situation für zukünftige Kommunikationsaktivitäten bedeutet, welche Werkzeuge sich etwa zur Krisenbewältigung anbieten und welchen Einfluss die Veränderungen gerade für internationale Firmen haben. Denn eines steht fest: Einhergehend mit den Konflikten müssen sich Kommunikationsfachleute neuen Herausforderungen stellen.
Alte Partner können zum Problem werden
„Der arabische Frühling bringt für Kommunikatoren nicht nur Chancen, sondern auch Risiken“, sagt Tomas Jensen, bei Microsoft Director Corporate Communications für die Regionen Naher Osten und Afrika. Niemand könne wissen, so der Experte für internationale PR, wie sich die Dinge mittel- und langfristig entwickeln werden. Dennoch lassen sich für Jensen heute in vielen Ländern der arabischen Welt eindeutige Trends ablesen – hin nicht nur zu jüngeren Entscheidern und Zielgruppen, sondern vor allem hin zu digitalen Kanälen, zu Themen und Inhalten, die die gesamtwirtschaftliche Rolle der jeweiligen Unternehmung oder Branche unterstreichen. „Darüber hinaus können sich durchaus auch Problemstellungen aus ehemaligen Partnerschaften mit Eliten der alten Regimes ergeben, gleichzeitig aber auch Potenzial für positive Berichterstattung, wenn gesamtgesellschaftliche Vorteile sich nach wie vor aus diesen Partnerschaften ableiten und in die Gegenwart übertragen lassen.“ Als Beispiele dafür nennt Jensen Initiativen im Bildungs- und Gesundheitsbereich oder Anteile an der gesamtwirtschaftlichen Leistung eines Marktes, den eine Unternehmung erbracht hat – und weiter erbringen wird.
Entwicklungen in Echtzeit verfolgen
Jensen und seine Kommunikationskollegen beobachten, dass viele der etablierten Zielgruppen gerade im öffentlichen Umfeld und Regierungsbereich nicht mehr existieren. Daher gelte es, die neuen Eliten, die Entscheider von morgen – Berufseinsteiger, Absolventen, aufstrebende Politiker und Journalisten –, zu identifizieren und die entsprechenden Kanäle zu nutzen. Zudem müssen Kommunikatoren in multinationalen Unternehmen über einzelne Märkte hinaus denken: Wie sieht die Positionierung international aus? Ist das Unternehmen nach wie vor Zulieferer oder Partner benachbarter, etablierter Regierungen, und welche kommunikativen Risiken verbergen sich hier möglicherweise? Denn Kommunikation in einem bestimmten Markt kann heute schnell weltweite Konsequenzen haben: Auslandsinvestitionen gehen zurück, der Tourismus bricht ein, die Produktion fällt aus.
„Durch ein langfristiges Bekenntnis zum jeweiligen Markt lassen sich die wirtschaftlichen Folgen der Revolutionen in Positionierungschancen umwandeln. Es bieten sich Chancen, nationale Agenden mit zu beeinflussen“, betont Jensen. Das könne unter anderem durch eine konsistente und konsequente Kontaktpflege zu Journalisten und nachhaltige Engagements wie etwa Public Private Partnerships im Bildungsbereich gelingen. Außerdem seien gerade in Zeiten politischer Umbrüche nationale Identifikationsfiguren enorm wichtig, und nur mit Sprechern aus den jeweiligen Märkten sei eine starke, langfristige Positionierung unter den neuen Gegebenheiten überhaupt möglich.
Ein weiterer unabdingbarer, wichtiger Punkt für Jensen ist das „Issue Management“. Kommunikatoren müssten die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in Echtzeit verfolgen, um immer entsprechend reagieren zu können. Dabei gilt wie in der Krisenkommunikation: Jede Situation ist anders. Die Instrumentarien sind vergleichbar, aber Reaktion, Positionierung und Herangehensweise immer fallabhängig. Durch die Komplexität der Entwicklungen und die mehrdimensionale Ansprache neuer Zielgruppen mit politisch brisanten Themen ist für Jensen auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den betreffenden Unternehmenseinheiten unabdingbar. Dazu gehören Kollegen aus dem Öffentlichen Sektor, CSR-Entscheidungsträger oder auch Experten der Rechtsabteilung.
Medienlandschaft wandelt sich rasant
Ein Kommunikationsexperte, der sich in der arabischen Welt ebenfalls gut auskennt, ist Jürgen Gangoly aus Wien, Managing Partner bei The Skills Group. Das Unternehmen geht gerade mit der „Skills Academy“ in Kairo an den Start und eröffnet in der ägyptischen Hauptstadt ein Büro. Damit konzentriert sich Skills vorerst mit neuen Aktivitäten auf Ägypten, führt aber laufende Kooperationen und Beratungsprojekte in Saudi Arabien weiter fort. Gangoly erwartet, dass sich die Medienlandschaft in der arabischen Welt mit Riesenschritten entwickeln wird, dass zeitnah endlich freie, unzensierte Medien entstehen. „Medien- und Öffentlichkeitsarbeit, so wie wir sie kennen, wird plötzlich gebraucht, weil es nicht mehr um die dickste Geldbörse oder eine Clan-Zugehörigkeit, sondern um den Wettstreit der besten Ideen und Storys geht. Damit entstehen für PR-Agenturen westlicher Prägung enorme Marktchancen, da weder die Wirtschaft, noch die Institutionen im Umgang mit freien Medien geschult sind“, progostiziert Gangoly.
Mit Blick auf die einzelnen Länder berichtet er, Ägypten sei schon vor dem Umsturz ein recht entwickelter Werbe- und PR-Markt gewesen, der nun noch mehr Wachstumspotenzial berge. In Tunesien hingegen würde man weitgehend bei Null anfangen. Marokko ist für Gangoly ebenfalls ein spannender Markt, weil er sich langsam zu öffnen beginne. Marktprognosen für alle anderen Länder hält er zum jetzigen Zeitpunkt für verfrüht und unrealistisch.
Unternehmen, die in den Ländern des Nahen Ostens PR machen wollen, warnt er vor „Goldgräberstimmung“: Nur wer wirklich Interesse an einem langfristigem Engagement und Imageaufbau vor Ort habe oder bereits am Markt vertreten sei, solle jetzt in Markt und Image investieren. Jetzt sei die richtige Zeit, um sich verlässliche Partner vor Ort zu suchen, den Markt zu sondieren und erste Kontakte zu den neuen Entscheidungsträgern in Wirtschaft, Politik und Medien aufzubauen. Für die nahe Zukunft erwartet Gangoly, dass zusätzlich zur demokratisch(er)en Marktentwicklung in vielen Ländern in der Wiederaufbauphase großer Bedarf an PR- Unterstützung in Europa vor allem aus dem öffentlichen Bereich und aus dem Tourismus in den arabischen Ländern bestehen werde.
Ein anderer Experte mit ausgewiesener Kompetenz für PR im Nahen Osten, der selbst jahrelang mit den verschiedensten Bevölkerungsgruppen und Ethnien aus Afrika und dem Orient zusammengearbeitet hat, ist Murat Mermer, General Manager und Deutschland-Chef von Bell Pottinger Harvard. Wie auch Gangoly und Jensen empfiehlt er Unternehmen, die mit PR in den Ländern des Nahen Ostens durchstarten wollen, die Medien und stark frequentierten Social Media, die von den verschiedenen Zielgruppen in den jeweiligen Ländern genutzt werden, genau zu kennen, zu beobachten und zu analysieren. „Nicht zu unterschätzen ist auch der Impact von word-of-mouth“, sagt Mermer, der ein Studium der Soziologie (Krisen- und Katastrophenforschung), der Psychologie sowie der Kriminologie absolviert hat. Für ihn bedeuten die Veränderungen im Nahen Osten mehr Chancen als Risiken, sofern PR-Aktivitäten sauber geplant und jedes noch so kleine Detail in die Überlegungen einbezogen wird. „In einer sehr kurzen Zeit ändert sich für eine sehr große Anzahl der Menschen, mitunter sogar für alle, ob nun gewollt oder ungewollt, ihr sozialer Status, ihr Platz in der Gesellschaft. In dieser Phase stehen die Menschen ehrlicher, echter und authentischer Unterstützung auf der einen Seite sehr sensibel und empfänglich, andererseits auch kritisch und teilweise sogar misstrauisch gegenüber.“ Sämtliche Kommunikationsaktivitäten sollten daher passgenau konzipiert und nachhaltig eingesetzt werden. Dabei sei es auch wichtig zu clustern, ob ein Unternehmen in den Umbruchländern schon ansässig ist oder ob es gerade im Begriff ist, Fuß zu fassen. Unternehmen, die schon ansässig sind, haben den Vorteil, dass ganz andere Ad-hoc-Mechanismen zur Verfügung stehen: Zum Beispiel in Richtung ihrer Belegschaft, und zwar ohne „politisch“ zu werden und sich damit unnötigen Risiken auszusetzen.
Lösungen gestalten, abseits der Schusslinie
Grundsätzlich vertritt Mermer die Auffassung, dass PR immer möglich ist, also auch in Ländern wie Ägypten, Tunesien und Libyen. Bei Syrien sollte man, so der PR-Fachmann, eher einen Umweg über die Türkei gehen. Sein Lösungsansatz: gestalten, ohne selbst zu stark – im wahrsten Sinne des Wortes – in die Schusslinie zu geraten. Auch Mermer erwartet für die nahe Zukunft sehr viele Entwicklungsmöglichkeiten: „Globalisierung bedeutet nicht nur globaler Vertrieb von Dienstleistungen und Produkten, sondern auch globale Verantwortung, die es bewusst zu leben gilt. Das setzt voraus, dass Unternehmen sowohl auf Entscheiderebene, als auch auf Ebene der Exekutive und ganz besonders in der Kommunika-tionsabteilung, international, also multikulturell, zusammengesetzt sind.“ Hier sieht er gerade bei deutschen Unternehmen großen Nachholbedarf, da seien die Amerikaner und Engländer um Längen voraus: „Denn nur wer global mitfühlt, kann auch global erfolgreich sein.“