Auf die Spitze getrieben
Vorwegnehmende Recherche, unterdrückte Fakten, manipulative Beiträge: Statt Wahrheit und Klarheit fühlen sich TV-Redaktionen von Wirtschafts-, Polit- und Verbrauchermagazinen zunehmend nur ihrer Zuschauerquote verpflichtet. Unternehmenssprecher klagen offen über Kampagnenjournalismus. Von Bijan Peymani
Der Nächste, bitte! Wenn die ARD an ihrer Programmierung festhält, steht am 31. August ab Viertel vor zehn einmal mehr ein Unternehmen am Pranger. Unter dem Titel „Das System Wiesenhof“ will der TV-Beitrag dokumentieren, wie einer der größten deutschen Geflügelkonzerne „Menschen, Tiere und die Umwelt ausbeutet“ (O-Ton ARD). Bekannte Marke, skrupellose Firma, einprägsame Bilder – das verspricht gute Quoten. Nun also Wiesenhof, nach Finanzdienstleister AWD, den Discountern Kik und Lidl oder der Fluglinie Air Berlin.
„Investigativer Journalismus“ klingt gut. Aber etliche TV-Journalisten – im Einklang mit manchen Print-Kollegen – legen Respekt- und Rücksichtslosigkeit an den Tag. Im Kampf um ihr Publikum suchen Dokumentationen, Wirtschafts-, Polit- und Verbrauchermagazine ihr Heil in einer boulevardesken und tendenziösen Aufbereitung der Themen. Der dramaturgische Verlauf entspringt dabei keiner offenen Recherche, sondern wird, wie auch die Bewertung eines Sachverhalts, in der Redaktionskonferenz festgelegt. Aggressive, vorwegnehmende Recherche und manipulative Beiträge, die das komplette Arsenal an Mitteln des Mediums Fernsehen ausschöpfen, sind längst nicht mehr ein Phänomen der Privatsender. „Die investigativen Formate haben sich diesbezüglich über die Jahre angeglichen“, bestätigt Mario Köpers, bei TUI Deutschland in Hannover Executive Director Unternehmenskommunikation, „ARD und ZDF sind hier keinen Deut besser als RTL & Co.“ Jörg Bodanowitz, Pressesprecher der in Hamburg ansässigen Krankenkasse DAK, sekundiert: „Wir erleben dieses Muster zunehmend auch im öffentlich-rechtlichen Bereich.“
Alles muss man sich nicht gefallen lassen
Die DAK selbst sah sich in Interviews und Berichten wiederholt „vorgeführt“, so Bodanowitz. „Die pseudo-journalistischen Formate sind stets gleich aufgebaut, bedienen den Stammtisch und die Vorurteile ihrer Zuschauer“, analysiert Bodanowitz. Er habe deshalb entschieden, für die DAK nicht mehr vor die Kamera zu gehen, wenn einzelne Leistungsfälle der Aufhänger sind: „Wir möchten der inszenierten Negativberichterstattung kein Gesicht geben.“ Die Erfahrung zeige, dass diese Strategie richtig sei. Heiße es in einem Beitrag, die Krankenkasse sei nicht bereit gewesen, vor die Kamera zu treten, gebe es weniger Reaktionen unter den Mitgliedern.
Nur schriftlich zu antworten, hat laut TUI-Sprecher Köpers jedoch auch seine Tücken: „Zitiert wird in der Regel nur kurz und nicht selten so, dass Statements aus dem Kontext gerissen werden. Und oft bleibt das schriftliche Statement unerwähnt.“ Doch alles müsse man sich nicht gefallen lassen, betont Bodanowitz. Bei rufschädigenden Vorgängen wendet er sich auch schon mal direkt an die Intendanz des jeweiligen Senders. Das scheint allemal klüger, als die Realität auszublenden, wie es der Textildiscounter Kik tut. Auf Anfrage des PR Report erklärt Sprecherin Beatrice Volkenandt, man könne „in diesem Bereich auf keine vollumfänglichen Erfahrungen zurückgreifen“. Da irrt sie: Kik musste im vergangenen Jahr hinnehmen, wie der Sender in zwei Beiträgen „menschenunwürdige“ Produktions- bedingungen in Niedriglohnländern und einen skrupellosen Umgang des Unternehmens mit seinen hiesigen Mitarbeitern anprangerte.
Mut und Konfliktbereitschaft sind gefordert
Bemerkenswert ist der Schritt des Geflügelkonzerns PHW mit Sitz in Visbek-Rechterfeld, dem die Marke Wiesenhof gehört. Im Vorgriff auf die nahende ARD-Dokumentation sucht PHW zusammen mit Betriebsräten und Geflügelmästern die breite Öffentlichkeit. Angesichts der zunehmenden Aggressivität der „Kampagnen“ seien im schlimmsten Fall Arbeitsplätze und Investitionen gefährdet, begründet Vorstandschef Peter Wesjohann die Offensive gegenüber dem Branchenorgan „Lebensmittelzeitung“. Er habe es „satt, verleumdet zu werden“.
Wesjohann fühlt sich persönlich angegriffen, spricht von „moderner Hexenverbrennung“. Doch der Familienbetrieb in dritter Generation will kämpfen. In offenen Briefen an Medien und Politik kritisieren die Unterstützer vor allem das „polemische, effekthascherische und theatralische“ Agieren von Peta. Die Tierrechtsorganisation hatte Aufnahmen von vermeintlicher Tierquälerei auf den Höfen des Geflügelkonzerns gemacht, die die SWR-Autoren Edgar Verheyen und Monika Anthes für die Erstellung ihrer ARD-Reportage nutzten. „Die Einflussnahme bestimmter NGOs, die zugegebenermaßen sehr kampagnenfähig sind, nimmt zu“, beobachtet Frank Schroedter, Vorstand der PR-Beratung Engel & Zimmermann in Gauting und zugleich Wiesenhof-Sprecher. Es sei „schwerer geworden, mit eigenen Argumenten gehört zu werden“.
In diesem Zusammenhang irritiert, dass Firmenchef Wesjohann zwar einen offenen Dialog propagiert, einem ARD-Team dem Vernehmen nach Mitte Juli aber die Teilnahme an einer Pressekonferenz verwehrte. Womöglich, weil „einige TV-Magazine und einige ,investigative‘ Reporter in der Tat zu immer größerer Emotionalisierung und Skandalisierung neigen“, wie Schroedter konstatiert. Alibi-Anfragen (Schroedter: „das nimmt zu“) dienten dann lediglich dazu, den Vorwurf auszuhebeln, man habe nicht ausreichend in alle Richtungen recherchiert. Schroedter empfiehlt in besonders aggressiven Fällen Mut und Konfliktbereitschaft. Er selbst sei dem „Kameraüberfall“ des SWR-Autors „mit einem eigenen Team – und eigenen Fragen an den Autor – entgegengetreten. Mal schauen, ob’s was nutzt.“
Inszenierung ist wichtiger als Investigation
Inzwischen läuten in den Pressestuben schon automatisch die Alarmglocken, wenn eine Anfrage erkennbar „im Auftrag“ ehemaliger Mitarbeiter, Geschäftspartner, Wettbewerber oder bestimmter Nicht-Regierungsorganisationen erfolgt. PR-Profi Uwe Kohrs, mit seiner Agentur Impact in Frankfurt sturmerprobt in Branchen wie Zeitarbeit (Randstad) oder Fleischerzeugung (Reinert), räumt zwar ein: „TV ist keine Gefälligkeitsveranstaltung.“ Aber „gut und sachlich Recherchiertes darf’s dann schon sein“, so Kohrs. Wenn Redaktionen nur noch nach Bildern für den fertig konzipierten Beitrag suchten und die Unerfahrenheit von Unternehmen und Menschen ausnutzten, die auf die Seriosität von Journalisten vertrauten, sei „die Inszenierung wichtiger als die Investigation. Die PR verkomme häufig zur ersten Frontlinie in einer Materialschlacht, bei der am Schluss die Anwälte immer mehr zu tun bekommen“. Wie im Falle des Geflügelfleischproduzenten Heidemark mit Sitz im niedersächsischen Ort Garrel. Ende Juli hat das Landgericht Hamburg eine Schadensersatzklage des Unternehmens gegen den NDR in erster Instanz abgewiesen. Nun werde Heidemark Berufung einlegen, bestätigt dessen Anwalt Walter Scheuerl. Hintergrund des seit fast vier Jahren andauernden Rechtsstreits sind Berichte des ARD-Magazins „Panorama“ und des Hörfunksenders NDR Info von Ende 2007, nach denen in einem Heidemark-Betrieb „stinkendes und glitschiges Putenfleisch“ umverpackt worden sein soll. Die Zeugen: drei ehemalige Heidemark-Mitarbeiter. Auch AWD in Hannover suchte den Rechtsweg nach aus seiner Sicht diffamierender, in Teilen sachlich falscher Berichterstattung. Und zwar in Gestalt von Firmengründer Carsten Maschmeyer, der – persönlich beraten durch CNC-Chef Christoph Walther – Medienanwalt Matthias Prinz mit der Vertretung gegenüber dem NDR beauftragte. Stein des Anstoßes war auch hier ein investigativer „Panorama“-Bericht. Letztlich einigten sich beide Parteien außergerichtlich.
„Grundsätzlich ist es das gute Recht von Journalisten, kritisch zu hinterfragen und kritisch zu berichten“, erklärt AWD-Sprecher Béla Anda. Viele Akteure hätten ihre Geschichte jedoch bereits im Kopf. „Das wird natürlich jeder Redakteur offiziell verneinen müssen“, so Anda. Ihn ärgert besonders, wenn wissentlich Fakten verdreht, Informationen ausgelassen werden und Kommunikationsabteilungen nicht angemessen Gelegenheit erhielten, Stellung zu nehmen. Auch Anda suchte den Briefwechsel mit dem Rundfunkrat des NDR, der allerdings nicht viel mehr ergab als ein politisch korrektes Räuspern über den „Panorama“-Bericht. Immerhin, so der Ex- Regierungssprecher von Gerhard Schröder, habe Unternehmens-PR heute andere Möglichkeiten, auf derlei Vorgänge zu reagieren, etwa über eigene kritische Beiträge zur Mediendarstellung im Internet in Gestalt von Filmen oder Blogs. „Damit begeben Sie sich natürlich in eine dualistische, konfrontative Situation“, so Anda, „das muss man aushalten.“
Mit Vorsicht begegnen Unternehmenssprecher vor allem Wirtschafts- und Politmagazinen. „Deren Formatvorgaben fordern eine extreme Zuspitzung der Themen“, begründet Jürgen Kornmann, Leiter Kommunikation Personenverkehr bei der Deutschen Bahn, „hier muss eine klare Kontroverse herausgearbeitet werden, und dazu positioniert sich das Magazin in aller Regel auch eindeutig.“ Mit anderen Worten: Die investigativen Magazine setzen zumeist mehr auf Emotion, die nutzwertorientierten mehr auf Information.
Aggressive Fragetechnik und Null-Botschaft
„Als Sprecher eines Unternehmens, über das für eine gute Quote auch gerne sehr kritisch berichtet wird, gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Letzteren natürlich etwas einfacher“, kommentiert Kornmann zurückhaltend. Deutlicher werden Sprecher im vertraulichen Vier-Augen-Gespräch. Von rausgeschnittenen Statements und im besten Falle „Null-Botschaften“ erzählt dann der eine. Von einer von vornherein aggressiven Befragungstechnik, mit der möglichst unsympathisch wirkende Statements provoziert werden, spricht ein anderer.
Und immer wieder beklagt wird die Methode, äußerst detaillierte Fragekataloge mit enger Zeitvorgabe für die Beantwortung zu übermitteln – oft mit zusätzlichen Nachfragen, die die ursprüngliche Recherche weiter aufblähen. „Dieses ,Bombardement‘ ist von uns als Pressestelle auch unter personellen Gesichtspunkten kaum zu bewältigen“, sagt die Sprecherin eines Unternehmens, die nicht genannt werden will. Sie spricht unumwunden von Zumutung. Mancher nimmt’s persönlich. Eine zartbesaitete PR-Seele fragt sich gar, ob ein derartiges Vorgehen nicht den „Tatbestand des Stalking“ erfülle.
Ein kritischer Journalist wird nie bequem sein
Manche Sprecher konstatieren, dass es in dem speziellen Branchenumfeld ihres Unternehmens hierzulande nur wenige Fachleute gebe. Laut der Sprecherin, die anonym bleiben will, handelt es sich dabei um „eine kleine Gruppe stets derselben Protagonisten, die Themen vordergründig setzen, weil sie sich gut verkaufen und massenkompatibel sind“. Ihr Haus betrachte es als Pflicht der Medien, Dinge kritisch zu beleuchten. Kritik dürfe aber nicht zum Selbstzweck werden und nicht mit einseitiger Berichterstattung einhergehen, „was leider immer häufiger der Fall zu sein scheint“.
All das wirft die Frage auf, ob die Presse heute alles darf. Ob insbesondere die öffentlich-rechtlichen Sender ihrem Auftrag, ihrer Verantwortung noch gerecht werden. Wo die Linie zwischen investigativer Recherche und Denunziation verläuft. Und wie sich auch und gerade elektronische Medien vor einer Instrumentalisierung durch ihre Informanten schützen. Der Bitte des PR Report, sich mit diesen Aspekten auseinanderzusetzen, kam unter gut einem Dutzend TV-Journalisten lediglich einer nach – der Rest war zu keiner Stellungnahme bereit.
Umso offener spricht Steffen Eßbach, Leiter der NDR-Formate „Zapp“ und „extra 3“. Ein kritischer Journalist werde einer PR-Stelle nie besonders bequem sein. „Soll er auch gar nicht. Trotzdem müssen sich auch die Journalisten immer wieder fragen, ob ihr Umgang mit der Gegenseite zu jedem Zeitpunkt der Recherche noch menschlich anständig und inhaltlich fair ist“, mahnt Eßbach. Er bestätigt zugleich die Ahnung, viele Kollegen hätten „ihre“ Geschichte von Anfang an im Kopf – „eine der größten Fallen im investigativen Journalismus“.
Eßbach appelliert an die Pressestellen, alle wichtigen Aspekte aus Sicht des Unternehmens zu nennen. „Machen sie aus Angst oder Arroganz zu schnell dicht, hat der Journalist oft nicht mal die Chance, wirklich von allen Fakten zu erfahren. Wie er sie bewertet, liegt natürlich immer noch in seiner Verantwortung.“ Der dieser aus Sicht der Gegenseite offenbar selten gerecht wird: DB-Sprecher Kornmann ist besorgt über die „zunehmende Tendenz, mit höchst zweifelhaften ,Experten‘, anonymen Statements oder angeblichen Geheimpapieren irreführende Realitäten zu konstruieren“.
„Deshalb beschleicht mich bei manchem investigativen Magazin ab und an ein professionelles Unbehagen“, sagt Kornmann. Und Air-Berlin-Sprecherin Alexandra Bakir ergänzt: „Medien und PR hängen voneinander ab. Dies wird von einigen Redakteuren gern einmal vergessen, ein respektvoller Umgang miteinander sollte die Voraussetzung jedes professionellen Arbeitens sein. Ein flott gemachter TV-Beitrag mag zum Anschauen nett sein, aber wenn er erhebliche Informationsschwächen enthält, ist er für alle Zuschauer ärgerlich und bringt eine ganze Gruppe Fernsehschaffender in Misskredit.“