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27.02.2009   News
Einbahnstraßen-Info
 

Die deutsche Bildungslandschaft gilt als ein Areal von Dauerbaustellen. Das Image der Lehrer lässt zu wünschen übrig. Pädagogen und Elternhäuser machen sich gegenseitig für Defizite bei der Erziehung verantwortlich. Das traditionelle, mehrgliedrige Schulsystem steht in der Kritik. Ein Blick in die Kommunikationsstrategien bei Deutschlands derzeit größtem Umbauprojekt. Von Matthias Heining

Bildung, heutzutage hauptsächlich als ökonomische Ressource verstanden, kommt bei Schülern scheinbar nicht mehr richtig an. Allein in Hamburg werden fast 30 Prozent aller 15-Jährigen von den PISA-Studien als „Risikoschüler“ eingestuft – sie lernen nicht genug, um eine Chance an weiterführenden Schulen oder in einer Berufsausbildung zu haben. Die Forschung nach den Ursachen endet meistens beim Streit um das richtige Schulkonzept.

In einem chaotisch anmutenden Spannungsfeld zwischen politischen Vorgaben und Elternerwartungen müssen sich die Lehrer behaupten. Sie sind die ausführenden Organe, und schulischer Misserfolg wird meistens ihnen angelastet. Ihre gewerkschaftlichen Interessenvertretungen spiegeln indes die bestehenden Konflikte wider: Der Deutsche Philologenverband (DPhV), Mitglied im Beamtenbund, steht hinter den eher traditionell orientierten Lehrern der höheren Schulen und macht sich für die Beibehaltung des gegliederten Schulsystems und die Sicherung der gymnasialen Bildung stark. Auf der anderen Seite vertritt die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Deutschen Gewerkschaftsbund jene Lehrer und Erzieher, die – nach skandinavischem Vorbild – im längeren gemeinsamen Lernen der Schüler eine deutliche Verbesserung der Chancengleichheit sehen. Zwischen diesen Fronten – hier der elitäre Ansatz, dort der egalitäre – tobt in Deutschland ein Bildungskrieg.

Konträre Positionen

In Hamburg wird unter der politischen Koalition von CDU und Grünen derzeit versucht, die konträren Positionen unter einen Hut zu bringen. Die CDU hat dabei den von ihr erwarteten Erhalt der Gymnasien durchgebracht, die Grünen zwei Jahre längeres gemeinsames Lernen in der einen Schule für alle.

Nach Beendigung einer sechsjährigen Primarschule entscheidet die Lehrerkonferenz nach Beratung mit den Eltern, ob die Kinder künftig auf eine der neuen Stadtteilschulen oder auf ein Gymnasium gehen, wo die Abiturprüfung nach zwölf Schuljahren wartet. Bislang konnten Eltern nach der vierten Klasse ihre Kinder auch ohne Empfehlung am Gymnasium anmelden. Die bisherigen Schultypen Haupt-, Real- und Gesamtschule werden abgeschafft, vergleichbare Abschlüsse sowie auch ein Abitur nach 13 Schuljahren werden die Stadtteilschulen bieten.  

Die Hansestadt will mit diesem bundesweit größten Umbau der Schulstruktur in der Nachkriegsgeschichte einen besseren Unterricht mit früherer individueller Förderung in kleineren Klassen erreichen, um die Zahl der Abiturienten zu erhöhen und die Zahl der Schulabbrecher zu senken. Das  Projekt wird als „Hamburger Bildungsoffensive“ bezeichnet, wohl auch, um den Begriff „Reform“ zu vermeiden. Mit dem verbindet ein großer Teil der Öffentlichkeit nicht unbedingt Gutes – Arbeitsmarkt, Gesundheitswesen und Rechtschreibung lassen grüßen.

Gleichwohl läuft die Werbung um Akzeptanz in der Bevölkerung für das Großvorhaben etwas holprig an. Mal bietet die Debatte um Sinn oder Unsinn von zwei Einschulungen pro Jahr Gesprächsstoff, mal geht es um Latein an der Primarschule im Speziellen und humanistische Bildungswerte im Allgemeinen, mal wird über Grundlagen und Verlässlichkeit jener Entwicklungsprognosen gestritten, die nach der sechsten Klasse die weitere schulische Laufbahn der Kinder bestimmen werden – und mal sorgt in Erweiterung des Themas die Frage nach der Notwendigkeit von Erziehungsunterricht für Schüler­eltern für Aufregung.

Viele fühlen sich zu medienwirksamen Themenbeiträgen berufen. Das wundert nicht, da der schwarz-grüne Kompromiss für Kritiker beider Lager genügend Angriffsfläche und Raum für Befürchtungen bietet.

Ratlose Kommunikationsexperten
Dieser Gegensätzlichkeit der politischen Lager stehen auch PR-Profis „ohne Königsweg“ gegenüber, wie etwa Jan Flaskamp von der fischerAppelt Kommunikation GmbH sagt. Nach Ansicht des Directors PR am Standort Hamburg lasse sich die Kommunikation eines solchen „Change-Prozesses“, der weit über die Veränderung interner Strukturen hinausgehe, nicht in jeder Nuance harmonisch gestalten.

Außerdem: „Wenn es um Kinder geht, kommen oft irrationale Emotionen und Ängste der Eltern ins Spiel.“ Hier, so zeigt sich Flaskamp überzeugt, ließen sich nur über Dialog-Angebote Annäherung und Vertrauen erzielen.

Nach einer repräsentativen Emnid-Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung sind rund 60 Prozent der befragten Eltern der Ansicht, dass alle Kinder eher faire Bildungschancen hätten, wenn sie möglichst lange gemeinsam unterrichtet würden. Weniger als ein Drittel der Befragten – im Osten gar nur jeder Fünfte – hält die gegenwärtige Aufteilung nach der vierten Klasse für gut.

Bislang steht nur der politische Beschluss fest, der zum 1. August 2010 in die Tat umgesetzt werden soll. Die Lehrerschaft dürfte dabei – durch die Lobbyarbeit und die Vernetzung ihre Interessenvertretungen in den Parteien – allenfalls marginal zu Gehör gekommen sein. Zu dringend wurde der Kompromiss angesichts der politischen Machtkonstellation in der Stadt benötigt.

Desinformierte Lehrerschaft
Weiteres Indiz dafür: Fragte man Lehrer noch vor einigen Wochen nach denkbaren Details der Reform, so erntete man meistens nur ein Schulterzucken. Rahmenkonzepte der Bildungsoffensive wurden erst Anfang Februar 2009 veröffentlicht – knapp zehn Monate nach der schwarz-grünen Einigung auf eine Schulreform.

Christa Goetsch (GAL), die bis zur Übernahme des Amtes der Schulsenatorin aktiv in das inzwischen gescheiterte Hamburger Volksbegehren „Eine Schule für Alle“ eingebunden war, hat für die Umsetzung der schwarz-grünen Schulreform keinen umfassenden Masterplan ausgegeben. Regionale Schulentwicklungskonferenzen (RSKen), in denen die Behörde sowie Schulleitungen, Lehrer und auch Eltern der bisherigen Schulen vertreten sind, sollen die politische Vorgabe mit fachlich kompetenten und bedarfsgerechten Ausgestaltungsvorschlägen füllen. Die Detailplanung der Reform durch die RSKen wird von den Verbänden der Schulleiter, Lehrer und Eltern durchweg ebenso positiv beurteilt wie von Handwerks- und Handelskammer oder auch der GEW. Allerdings drängt die Zeit, denn bis zum Mai 2009 sollen die RSKen, die seit September 2008 aktiv sind, in den 22 schulischen Regionen der Stadt die Planung ausgearbeitet haben. Aktuell wichtigste Aufgabe: Standorte und notwendige schulische Angebote ausloten.

Redigierte Berichte im Web
Die Öffentlichkeit ist bei der Arbeit der RSKen nicht zugelassen. Um aber dennoch Einblicke zu gewähren, hat die Schulbehörde neun freie Journalisten angeheuert, die über jede der vermutlich 110 Konferenzen berichten sollen. Die Behörde sieht dies als „Höchstmaß an Transparenz“ – auch wenn alle Berichte, von ihr redigiert, nur auf der eigenen Internetseite präsentiert werden. Der schulpolitische SPD-Sprecher Ties Rabe: „Ich halte grundsätzlich den Ausschluss der Öffentlichkeit für falsch. Aber wenn man schon diesen Weg geht, dann bitte gar keine Berichte, auch keine gesteuerte Propaganda der Behörde.“ Und der Hamburger GEW-Vorsitzende Klaus Bullan „hätte es richtiger gefunden, wenn auch Eltern, Lehrer und Schüler die Gelegenheit gehabt hätten, ihre Sicht der Sitzungen auf der Behörden-Homepage darzustellen“. Hier sieht denn auch PR-Spezialist Flaskamp einen der Punkte, an dem in der kommunikativen Begleitung des Projektes „kleinere Anpassungen und Nachjustierungen“ sinnvoll und notwendig sein könnten.

Mit Kommunikation hat der Umgang der Schulsenatorin mit der „schulinteressierten Öffentlichkeit“ an dieser Stelle wenig zu tun. In bester Tradition eines streng hierarchischen Behördensystem wird hier nur Einbahnstraßen-Information geboten. Das zieht sich durch: So obliegt etwa die Außenvertretung einer Schule zwar deren Leitung, aber öffentliche Äußerungen von schulpolitischer Relevanz sind nicht erwünscht, sondern der Pressestelle der Behörde vorbehalten, wie mancher Direx im Privatgespräch mit Bedauern moniert. Man erinnere sich sehr wohl an die Hamburger Maulkorb-Affäre, die eine zu gesprächige Uni-Dozentin im Frühjahr 2007 den Job kostete.

Schule als Kommunikationsaufgabe

Auch im reformierten Schulsystem wird jedoch gute Außen-Kommunikation eine zentrale Rolle spielen, ist man sich unter Lehrern von der Grundschule bis zum Gymnasium sicher. Nur darüber könne das Profil einer Schule transportiert werden. Und: Nur ein gutes  Profil sichere eine ausreichende Schülerzahl. Dabei wird zunächst weiter auf erprobte Instrumente wie Info-Abende, Tage der offenen Tür oder in Grundschulen auch auf das Angebot von Unterrichts-Hospitation für Eltern gesetzt.

Allerdings wird auch die enge Kooperation künftiger Primarschulen mit umliegenden weiterführenden Schulen oder Gymnasien für Eltern ein wichtiges Kriterium für die Anmeldung ihrer Kinder an einer bestimmten Primarschule sein. Zwar appelliert die Elternkammer Hamburg: „Insbesondere darf die Entscheidung für eine Primarschule nicht vorwegnehmend sein hinsichtlich der späteren Wahl einer weiterführenden Schule.“ Doch etwa im Elternrat des Johanneums in Winterhude, Hamburgs älteste und traditionsreichste höhere Schule, wird gerade hierin eine Gefahr gesehen, die soziale Spaltung nicht zu überwinden, sondern zu vertiefen.

Für zusätzlichen Zündstoff hat die Diskussion um eine Gymnasial-Quote gesorgt, bei der die Schulbehörde von nur noch rund 35 Prozent Gymnasiasten auszugehen scheint, obwohl weit mehr Eltern ihre Kinder an Gymnasien sehen möchten. Nach Einschätzung der Arbeitsgemeinschaft der Elternräte der Gesamtschulen in Hamburg wird dieser Trend sogar noch zunehmen, denn angesichts der vielen Veränderungen im Schulsystem würden Eltern die größtmögliche Sicherheit für einen Weg zu einem angesehenen Schulabschluss wählen – das Gymnasium. Wird die Erlangung der Allgemeinen Hochschulreife nach 13 Jahren an einer Stadtteilschule schon im Vorfeld zum B-Abitur? Droht eine Welle von Gerichtsverfahren durch Eltern, deren Kinder wegen einer ungünstigen Beurteilung nicht für das Gymnasium empfohlen werden? Ist mit einer verstärkten Abwanderung zu Privatschulen zu rechnen, was angesichts der Kosten die soziale Spaltung im Bildungsbereich massiv vertiefen würde?  

Nicht nur für die Außen-Kommunikation der Schulreform besteht einiger Nachbesserungsbedarf. Bei der internen Kommunikation sieht es kaum anders aus. Schon macht unter Hamburger Pädagogen der Witz die Runde: Als Lehrer müsse man das „Abendblatt“ abonnieren, um frühzeitig von aktuellen schulischen Entwicklungen zu erfahren.

Kommunikationsdefizite haben zu einer gewissen Reform-Müdigkeit mit beigetragen: In der zurückliegenden Dekade haben die Lehrer fast jährlich Neuerungen übergestülpt bekommen, die sie als ausführende Organe umsetzen mussten und die oft fern der pädagogischen Arbeit zunehmend Zeit forderten.

„Niemand weiß, was da kommt“
Für die aktuelle Mammut-Reform löse dies eher Skepsis aus, wie eine junge Lehrerin aus ihrem Grundschul-Kollegium berichtet: „Noch weiß niemand, was auf uns zukommt, was zu leisten sein wird. Viele Kollegen sind unzufrieden, weil sie kaum Informationen erhalten.“ In keiner Betriebsstruktur wird ohne Information und Dialog eine hohe Identifikation der Mitarbeiter erzielt. Nur gut informierte Mitarbeiter sind motiviert, können Entscheidungen nachvollziehen und diese als Multiplikatoren auch kommunizieren. Gerade in Veränderungsprozessen wie der Schulreform wäre das besonders wichtig.

In einigen bundesdeutschen Schulen hat man die Zeichen der Zeit bereits erkannt und im Modellversuch „Modus 21“ eigene PR-Teams in den Schulen eingerichtet. Sie fungieren in der Schule als Schnittstellen sowohl für die externe als auch die interne Kommunikation. „Aufgrund der Herausforderungen in der Bildungslandschaft sind in Zukunft Faktoren wie ein positives Image und entsprechende Öffentlichkeitsarbeit von Bedeutung“, heißt es etwa bei Bayerns größter staatlicher Berufsschule in Weiden. Der Versuch richtete sich zunächst an verschiedene Schularten und wurde unterdessen – bei berufsbildenden Schulen – durch das Projekt „Profil 21“ fortgeschrieben. Die Teilnehmer haben nicht nur Vorteile und Notwendigkeit funktionierender Kommunikation erkannt, sondern auch, dass diese weit mehr umfasst und auslöst als statische Information es je vermag.

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