Früher war in der PR-Arbeit nicht alles besser, aber vieles einfacher. Oder etwa nicht? Ein Streifzug durch die jüngere Geschichte eines Berufstandes, der wenig von seinen Wurzeln weiß. Von Sebastian Vesper
Da sitzen sie: Zwei alte Männer, die von früher reden. In einem Berufsstand, der einem vermeintlichen Trend nach dem anderen hinterherspurtet, sind Erinnerungen nicht gerade populär – schließlich lebt man davon, sich und sein Tun zweimal in der Woche neu zu erfinden. Dennoch sind an jenem Abend im Spätherbst 2008 etwa hundert Menschen in Leipzig erschienen, darunter viele junge Leute, um einen PR-Veteran feierlich aus jenem Amt zu verabschieden, das dieser, mit 65 Lenzen und nach zahllosen Funktionen in der Zunft, bis zuletzt voller Hingebung ausgefüllt hat: Jürg W. Leipziger, einst – im „Damals“ – ein höchst erfolgreicher Agenturinhaber und in den Neunzigern als Guru der PR gefeiert, hört als Honorarprofessor an der Uni Leipzig auf, nach 15 Jahren. An seiner Seite, zur Feier des Tages, Richard Gaul, langjähriger Kommunikationschef von BMW, mittlerweile Berater in Berlin und Vorsitzender des Deutschen Rats für PR.
An diesem unterhaltsamen Abend, den manch wohlwollender Beobachter als eine Art Sternstunde der ansonsten dünnen Reflexion über PR-Geschichte einstuft, erinnern die beiden Männer ein bisschen an Waldorf und Statler aus der „Muppet Show“. Die holzvertäfelte Villa Rosental wirkt wie ein Schutzschild, keines der aktuellen Alphatiere ist da, die gern mal behaupten, Leipziger habe seinen Zenith längst überschritten, und niemand unkt wichtigtuerisch, Kollege Gaul sei dafür, dass er Berater in Berlin ist, „zu sichtbar“. Nein, das Publikum in diesem kuscheligen Raum rekrutiert sich aus jener übersichtlichen Szene, die man getrost den tapferen „harten Kern der PR-Branche“ nennen darf. Damit das, was Leipziger und Gaul zum Besten geben, auch jenseits der Holzvertäfelung anschlussfähig ist, muss man es freilegen aus dem Sumpf des Anekdotischen.
Auch die Zukunft ist übrigens anwesend, nicht twitternd oder skypend, sondern real: echte Studierende aus Leipzig. Ein paar von ihnen bekennen in der Zigarettenpause sogar ungefragt, dass sie froh sind, als Letzte noch einen Magister und eben keinen Bachelor zu machen. Vielleicht sind die Milieus einander doch nicht so fern, wie es häufig scheint.
Vordergründig kann man sich natürlich fragen, was an Papa Leipzigers Bemerkungen so komisch ist, dass vor allem die jungen Damen im Saal immer wieder hingerissen glucksen. Beispielsweise, wenn der Ex-Dozent grinsend von einer Promo-Tour zur Einführung der Chiquita-Banane erzählt: „Da war ein süßes Mädchen aus Kolumbien dabei, die hatte eine Aufpasserin – keiner wusste, warum.“ Hö, hö! Kicher. Im Mantel des Herrenwitzes wird hier ein Prinzip beschrieben, das für Öffentlichkeitsarbeit konstitutiv war, lange bevor die Absolventen von heute geboren wurden: „Publicity“ in den Siebzigern, kombiniert mit der – seinerzeit innovativen – Idee, dass man „eine Banane zu einer Marke“ machen könne.
In Ermangelung gemeinsam geteilter und systematisch vermittelter Geschichte muss sich, wer sich heute für den Beruf PR interessiert, leider an derlei Anekdoten halten. Besser als nichts. Ab und zu lassen sich Waldorf und Statler auf die kluge Phaseneinteilung ein, die sich der solide Moderator Ansgar Zerfaß überlegt hat, um den Abend wenigstens einigermaßen zu strukturieren. Also, mal grob gesagt und zum Mitschreiben: Der puren Publicity folgte in den Achtzigern die „Dialogkommunikation“, ein für damalige Verhältnisse revolutionäres Konzept; dann, in den Neunzigern, die „Ausdifferenzierung“ des Berufsfeldes; und schließlich das Diktat der tristen Ökonomisierung von Unternehmenskommunikation und Medienberichterstattung, die sich stärker an Finanzmärkten denn an gesellschaftlichen Öffentlichkeiten orientieren.
Wie kam es dazu? Irgendwann habe es einfach nicht mehr ausgereicht, gute Anlässe für gute Pressefotos von irgend welchen Aktionen zu schaffen, doziert Leipziger. Der Jubilar wedelt mit einem Konzeptpapier aus jenen glorreichen Tagen, das er aus seinem Keller gekramt hat. „Bahnbrechend“ seien diese Arbeiten gewesen. „Super, das muss ich Euch zeigen“, ruft Leipziger in den holzvertäfelten Resonanzkörper. „Das sind Konzepte, die zerreißen Euch!“ So hat man früher Präsentationen gewonnen.
Und wirklich: Streicht man all das Beratersprachen-Pathos weg, so erscheint die inhaltlich-thematische Entwicklung der PR in Deutschland wie ein Brennglas der Kulturgeschichte der (alten) Bundesrepublik. Die PR-Pioniere in Unternehmen, Organisationen, Ministerien und Agenturen, so jedenfalls empfinden sie das heute, schlugen Schneisen in einen Wald von lauter schweigsamen, in sich gekehrten Institutionen. Eine Art Kulturrevolution: Mitbestimmung, Umweltschutz, AIDS, Kernkraft... – für die Agenturbranche, die seinerzeit noch recht übersichtlich war, waren das Etats, für die Gesellschaft waren es mehr oder weniger „große“ Themen. Heute sind Etats keine Themen mehr, sondern Etats.
Und die Welt ist für PR-Menschen nicht einfacher geworden. So erinnert Gaul mit zarter Wehmut an die „unglaubliche Zeit“, als Redakteure aus Spanien geduldig zwei Wochen warteten, bis sie, weit nach den Kollegen aus Deutschland, ein neues Auto testen durften. Und heute? „Heute laden Sie zur PK, und die Leute gehen noch vor dem Abendessen online, um die ersten Meldungen abzusetzen.“
Nicht jeder, der heute Pressekonferenzen organisiert, kann sich vorstellen, dass bis vor wenigen Jahren Redakteure die Unternehmensbilanz vorab bekamen, viel Zeit für ihre Analysen hatten und sich am Rande der PK zwecks Hintergrundgespräch durchaus mal neben ein Vorstandsmitglied setzen durften. Längst hindern Störsender im Presseraum die Schreiberlinge daran, vorab die paar Informationshäppchen, deren Herausgabe durch die Börsenaufsicht streng geregelt ist, in die Welt zu twittern.
Gaul hadert – zu recht – mit der Kapitalmarktorientierung heutiger medialer Berichterstattung. Er beklagt auch die Bedingungen, unter denen journalistische Qualität entstehen könnte, aber eben nicht entsteht. Seine Hoffnung: „Wir werden wieder dazu kommen, dass berichtet wird, was Unternehmen tun, und nicht nur, wie ihr Aktienkurs ist.“ Nach der Wende von 1989 hätte zunächst der „Zahlen-Wirtschaftsjournalismus“ westlicher Prägung an Einfluss gewonnen, die aktuelle Finanzkrise aber werde diesen Trend umkehren. Das klingt nicht nostalgisch, es klingt plausibel.
Aber es gibt auch Dinge, die sich für Berufsöffentlichkeitsarbeiter wohl nie ändern werden. Dazu gehört, als Hauptproblem, die Ignoranz der Fachkräfte in Bezug auf Kommunikation. Gaul hat auch dazu eine klare Meinung: „Sie müssen bei jeder Ingenieur-Generation von vorn anfangen.“ Niemals, so der Kommunikationsprofi sinngemäß, werde dieser Menschenschlag verstehen, dass es nicht ausreicht, dass ein Auto oder dessen Achse objektiv toll sei, sondern dass man das eben auch den Öffentlichkeiten vermitteln müsse. In diesem Sinne, so Gauls drastische Diagnose, „haben wir in der Kommunikation kein höheres Niveau erreicht, wir haben nur mehr Beispiele für Versagen und Flops."