Voice from Espoo, Finnland: In der Ukraine werden die Meisten Geschichten verkauft – statt erzählt
Die Ukraine hat großes Potenzial, sich zu einem ökonomischen Zugpferd zu entwickeln: 45 Millionen Einwohner, gut ausgebildete Arbeitskräfte mit geringem Lohnniveau, ertragreiche landwirtschaftliche Flächen, eine Infrastruktur, die Europa und Russland verbindet sowie reiche Rohstoffvorräte.
Aus einer Vielzahl von Gründen hat sie dieses Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft. Das Land scheint von einer Krise in die nächste zu rutschen. Durch politische Instabilität, Korruption und das Aufschieben von Reformen ist der wirtschaftliche Aufschwung zuletzt immer wieder verzögert worden.
Schon zeichnet sich die nächste Krise ab. Die Baumaßnahmen für die Fußball-Europameisterschaft 2012, die Polen und die Ukraine gemeinsam ausrichten, hinken in der Ukraine so weit hinter dem Zeitplan hinterher, dass die UEFA bereits mit einem Entzug der Veranstaltung gedroht hat.
„Das Rechtssystem der Ukraine ist eine Farce. Die Korruption ist allgegenwärtig.“
Ein offensichtlicher Grund für diese Krisen ist das politische System. Lokalpolitiker scheinen sich einen Wettstreit darum zu liefern, wer die Steuerzahler am kräftigsten melkt, und werden dabei strafrechtlich von einer fast kompletten Immunität geschützt. Ohne Schmiergeld gibt es keine Zustimmung zu Reformen.
Auch das Rechtssystem ist eine Farce. Gerichte vergeben Urteile an Höchstbietende. Illegale Übernahmen von Firmen – von der Justiz gedeckt – sind an der Tagesordnung, und die Polizei kassiert Strafzettel in Cash. Die Korruption ist allgegenwärtig.
Kein Wunder, dass sich dies auch auf die Medien auswirkt. Im Unterschied zu Russland – wo die PR ihre Wurzeln in der politischen Arbeit hat – ging die PR in der Ukraine aus der Marketing- und Werbebrache hervor. Daher sind die Medien stark von bezahlten Beiträgen beeinflusst.
Der ukrainische Markt für bezahlte Inhalte wurde vor einigen Jahren auf 50 Millionen Euro geschätzt. Die meisten TV-Stationen verlangen bis zu 5.000 Euro für einen 30-Sekunden-Beitrag in Nachrichtensendungen – unabhängig von dessen Nachrichtenwert. Trotz einiger Verbesserungen sind bezahlte Beiträge noch weit verbreitet.
Zwar nutzt derzeit nur jeder vierte Ukrainer das Internet und nur fünf Prozent nutzen Social Media, aber der Online-Markt wächst schnell. Facebook ist 2010 zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten für lokale und russische Anbieter geworden, Linkedin hat auch die Karriereorientierten in der Ukraine erreicht, und Twitter hat seine Nutzerzahlen auf 50.000 verdoppelt. Hat die rasch steigende Popularität von Social Media, Blogs und frei zugänglichen Online-Medien das Zeug dazu, die Ära der bezahlten Inhalte in der Ukraine zu beenden? Wenn es keinen Grund mehr gibt, für Geschichten zu bezahlen, bricht vielleicht die Zeit an, in der sie einfach erzählt werden.